Historie

Radiologie an vorderster Front 1914-1918

Vor 100 Jahren hat Marie Curie persönlich die Radiologie auf das Schlachtfeld gebracht: mit ihrem ersten „Röntgenwagen“ und einer Kompagnie Radiologie-Technikerinnen.

Report: John Brosky

(1): 1914: Marie Curie am Steuer der ersten Petite Curie, die sie selbst...
(1): 1914: Marie Curie am Steuer der ersten Petite Curie, die sie selbst konzipiert und mit der sie in den Feldlazaretten selbst Röntgenuntersuchungen durchgeführt hat. (2): 1916 gab es bereits 20 Röntgenwagen. (3): Wir bauten auf, wo immer wir Platz fanden, und wenn nichts dazwischenkam, waren wir in einer halben Stunde einsatzbereit. (Marie Curie, La Radiologie et la guerre, 1919)
Quelle: (2): Société Française de Radiologie ; (3) Bibliothèque nationale de France

Als Deutschland im August 1914 Frankreich den Krieg erklärte, feierte Marie Curie, zweimalige Nobelpreis-Gewinnerin, gerade die Eröffnung ihres neu erbauten Radium-Instituts in der nach ihrem Mann benannten Pariser Rue Pierre-Curie.

Mit der Mobilmachung Frankreichs leerte sich das Institut schlagartig, da die meisten männlichen Mitarbeiter eingezogen wurden. „Die erste Pflicht jedes Einzelnen war es damals, dem Land nach Kräften durch diese schwere Krise zu helfen”, schrieb Marie Curie in ihrem 1919 erscheinen Buch La Radiologie et la guerre. „Die Universität machte keine Vorgaben, wie dies zu geschehen habe. Es blieb jedem einzelnen überlassen, die Initiative zu ergreifen und zu handeln.“

Ihre eigene Initiative sah Curie klar und deutlich vor Augen: Sie würde den Ärzten an der Front die Segnungen der kürzlich entdeckten Röntgenstrahlenverfügbar machen, damit sie Kugeln und Splitter finden und gebrochene Knochen richten können. Zunächst macht sich Marie Curie daran, neue Röntgeneinheiten zu entwerfen und in Krankenhäusern Personal zu schulen. Doch vom Abschlachten auf den so passend bezeichneten Schlachtfeldern, von den unvorstellbaren Verletzungen, die die damals neuen Maschinengewehre und die Artilleriebeschüsse verursachten, waren die Krankenhäuser bald heillos überfordert.

„Die sich überschlagenden Ereignisse im August 1914 zeigten deutlich, dass . . . die Organisation des Gesundheitssystems gravierende Schwächen hatte“, schrieb Curie. Die französische Öffentlichkeit war schockiert von Berichten über Hunderte von verwundeten Soldaten, die auf dem Transport in die weit entfernten Krankenhäuser starben. „Meine Aufmerksamkeit richtete sich auf dieses Thema und schon bald hatte ich ein Handlungsfeld gefunden, das bis Kriegsende und darüber hinaus den größten Teil meiner Zeit in Anspruch nehmen sollte“, so Curie.
Mit der Hilfe von Freunden und Unterstützern gelingt es Curie schon im Oktober 1914 zwei Lastwagen mit Röntgengeräten auszustatten. Die Dynamos der Röntgengeräte lässt sie von den LKW-Motoren antreiben. Unbeeindruckt von den Einwänden der französischen Militärs macht sich Curie am 1. November 1914 auf den Weg ins Feldlazarett in der Nähe von Creil, etwa 30 km hinter der Front.

Allgemein gilt dies als der erste Fronteinsatz von Röntgengeräten. Bei Kriegsende unterstützen 20 dieser Röntgenwagen, liebevoll „Petites Curies“ genannt, etwa 200 permanente – auch auf die Initiative von Curie hin eingerichtete - Radiologiestationen. Unablässig verbessert und optimiert Marie Curie die zunächst improvisierten Petites Curies, so dass sie schon bald nicht nur Physikerin und Chemikerin ersten Ranges ist, sondern auch Automechanikerin. Einen entscheidenden Durchbruch für die Radiologie an der Front erzielt der französische Radiologe Charles Vaillant, als es ihm gelingt, die Röntgenbilder auf Papier zu bannen anstatt auf Glasplatten.

Begleitet wird Madame Curie auf ihrer ersten Fahrt an die Front von ihrer wichtigsten Assistentin, ihrer 17-jährigen Tochter Irène, die während des gesamten Krieges eine zentrale Rolle spielen sollte. Wenn Irène nicht an der Seite ihrer Mutter arbeitet, schult sie Personal, ab 1918 auch amerikanische Offiziere.

Im Radium-Institut bildeten Marie und Irène Curie 180 Frauen zu qualifizierten Radiologieassistentinnen aus. In einem Brief an den Direktor des französischen Gesundheitsamts beschreibt Madame Curie im Dezember 1914 wie sie einer Anfrage der belgischen Armee nachgekommen ist: „Ich kam in Furnes mit einem Röntgenwagen an, dessen Ausstattung mir persönlich gehört und mit dem ich an mehreren Standorten arbeitete.“

Eine Woche lang waren dort Madame Curie und Irène Tag und Nacht im Einsatz, um den nie enden wollenden Strom der Verwundeten zu betreuen. Sie sei unermüdlich, so ein Arzt vor Ort, der berichtete, Madame Curie habe innerhalb von einer halben Stunde die Röntgenstation in einer Schule aufgebaut und mit der Arbeit begonnen.

Schätzungen zufolge wurden in den Petites Curies und in den Röntgenstationen, die Madame Curie eingerichtet hatte, etwa 1,2 Millionen Verwundete untersucht. Sie lieferten den Militärärzten wichtige diagnostische Wegweiser, die die Erkennung und Behandlung von Verletzungen wesentlich beschleunigten. Rund 900.000 Untersuchungen wurden während der letzten beiden Kriegsjahre durchgeführt. Diese Arbeit, schrieb Curie später, „sicherte der Radiologie ihren Platz in der medizinischen Diagnostik.“ Ein Platz, der, wie Curie erkannte, nicht nur in Zeiten des Kriegs, sondern auch in Zeiten des Frieden eminent wichtig ist.

08.05.2015

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