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News • Gefäßmedizin bei älteren Patienten
Vor pAVK-Eingriff: Auf Anzeichen von Gebrechlichkeit achten
Mit der Lebenserwartung steigt auch die Zahl der Operationen bei Menschen im fortgeschrittenen Alter. Gefäßchirurgen stehen besonders häufig vor der Entscheidung, wie sie bei betagten Menschen Durchblutungsstörungen in den Beinen behandeln sollen.
Warum es so wichtig ist, vor einem Eingriff den Grad der Gebrechlichkeit zu ermitteln, wie Prähabilitation hilft und weshalb die Lebensqualität oberstes Therapieziel ist, erläutert ein Experte der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin e. V. (DGG).
Durchblutungsstörungen in den Beinen, die aus verkalkten Arterien resultieren, treten im Alter sehr viel häufiger auf. Schon heute leiden mehr als 20% der über 80-Jährigen an der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK), umgangssprachlich auch Schaufensterkrankheit genannt. „Wir sehen eine stetig wachsende Zahl an Betroffenen in dieser Altersgruppe“, berichtet Dr. Hartmut Görtz, Vorstandsmitglied der DGG. Treten nächtliche Ruheschmerzen, offene Stellen und Wunden auf, kann interventioneller oder operativer Handlungsbedarf bestehen. Doch wie soll man bei dieser Hochrisikogruppe vorgehen, wie findet man die richtige, angemessene Therapie?
Ziel muss sein, Beschwerden zu lindern, ohne ein unangemessen hohes Risiko einzugehen, dass sich die ADLs verschlechtern. Die Lebensqualität, der Grad der Selbstständigkeit der Älteren, ihr Aktivitätsniveau im Alltag sollen erhalten bleiben
Hartmut Görtz
„Hier findet derzeit ein Umdenken in der Gefäßmedizin statt“, so Görtz. Der Grund: Studien belegen einstimmig, dass Gebrechlichkeit – das sogenannte Frailty-Syndrom – die Lebenserwartung nach Gefäßeingriffen oder Amputationen signifikant verringert, Sterbe- und Komplikationsraten stark erhöht.1,2,3 Häufig verschlechtern sich bei Gebrechlichen auch die Aktivitäten des täglichen Lebens („Activities of daily living“, ADLs) durch die Eingriffe. „Sie können danach beispielweise nicht mehr selbstständig trinken oder essen, den Harn kontrollieren, die Toilette benutzen, duschen oder Treppen bewältigen“, führt der DGG-Experte aus.4 „Dabei spielt die Art des Eingriffs keine Rolle, es macht keinen Unterschied, ob er minimalinvasiv oder offen operativ erfolgt.“5 Frailty umfasst Zustände wie Muskelschwund, Mobilitätseinschränkungen, Sturzneigung, Schwindel und kognitive Defizite, des weiteren Mangelernährung, Polypharmazie, Tagesmüdigkeit und Depression.
In der Konsequenz bewerten Gefäßchirurgen die Therapieziele bei Hochbetagten neu. „Ziel muss sein, Beschwerden zu lindern, ohne ein unangemessen hohes Risiko einzugehen, dass sich die ADLs verschlechtern“, betont Görtz. „Die Lebensqualität, der Grad der Selbstständigkeit der Älteren, ihr Aktivitätsniveau im Alltag sollen erhalten bleiben.“ Das kann konkret bedeuten, nur eine kleine Gefäßstrecke wieder durchgängig zu machen, um Schmerzen zu lindern, oder rein medikamentös zu behandeln. „Wir müssen uns fragen: Muss ich operieren – und wenn ja: wie ausgedehnt? Nicht alles, was technisch machbar ist, ist in dieser Altersgruppe sinnvoll“, bilanziert Görtz. Die Neubewertung ist auch in die aktualisierten Leitlinien zur Behandlung der pAVK eingeflossen.
Entscheidend ist, vor jedem Eingriff den Frailty-Grad durch ein geriatrisches Screening zu ermitteln und die Gebrechlichkeit nach Möglichkeit vorab zu behandeln. „Für eine erste Einschätzung gibt es einfache Fragebögen und Tests, die nur wenige Minuten in Anspruch nehmen“, so Görtz. „Gegebenenfalls kann geriatrische Fachkompetenz hinzugezogen werden, zum Beispiel bei Internisten mit entsprechender Zusatzbezeichnung.“ Liegt ein hoher Gebrechlichkeitsgrad vor, sollte bei planbaren Eingriffen die Wartezeit bis zum Eingriff genutzt werden, um den Zustand durch eine sogenannte Prähabilitation zu verbessern – etwa durch körperliches Training, Ernährungsoptimierung und psychologische Unterstützung. „Auch eine Anpassung der Medikamente und eine Delirprophylaxe sind sinnvoll“, ergänzt der DGG-Experte.
Sofern keine Klinik mit Prähabilitationsangebot verfügbar ist, kann auch ein Trainingsprogramm etwa mit gefüllten Wasserflaschen als Hanteln oder eine ärztlich geprüfte Prehab-App (DiGA) zu Hause auf den Eingriff vorbereiten. „Ein Mangel an Muskulatur lässt das Risiko für Komplikationen enorm ansteigen“, betont Görtz. „Je mehr die Muskeln vor dem Eingriff trainiert werden, umso besser.“ Gute Organisationsstrukturen gibt es für die Nachsorge, die geriatrische Frührehabilitation nach der Operation. „Sie ist stationär oder auch in Tageskliniken möglich, wobei die Patienten von zu Hause abgeholt werden“, so Görtz. Die geriatrische Frührehabilitation senkt nach Eingriffen die Sterblichkeitsrate, bessert den Allgemeinzustand und reduziert Pflegeheim-Einweisungen.
„Wir benötigen für diese Altersgruppe dringend die Zusammenarbeit mit der Geriatrie“, resümiert Gefäßchirurg Görtz. Als Vorbild dient die Alterstraumatologie6: Wenn Unfallchirurgie und Geriatrie hochaltrige Patienten mit Knochenbrüchen von Beginn an gemeinsam behandeln, kann die Sterblichkeit um etwa 25% gesenkt werden und die Selbstständigkeit sowie Lebensqualität bestmöglich erhalten bleiben oder gar verbessert werden. „Das ist das Ziel auch in der Gefäßchirurgie“, so Görtz.
Literatur:
- Karim AM, Li J, Panhwar MS, et al. Impact of malnutrition and frailty on mortality and major amputation in patients with CLTI. Catheter Cardiovasc Interv. 2022;99:1300-1309.
- Yannoutsos A, Lin F, Gaisset R, et al. Characteristics and outcomes of octogenarians with revascularized critical limb ischemia: Impact of altered cardiac function for early mortality. J Med Vasc.2021;46:224-231.
- Li J, Arora S, Ikeoka K, et al. The utility of geriatric nutritional risk index to predict outcomes in chronic limb-threatening ischemia. Catheter Cardiovasc Interv. 2022;99:121-133.
- Soon SX, D'Çruz D, Yap CJ, et al. The modified frailty index-11 predicts medium-term outcomes after endovascular revascularisation for chronic limb threatening ischaemia in Asian patients. Vascular. 2022;30:42-51.
- Butala NM, Raja A, Xu J, Strom JB, et al. Association of Frailty With Treatment Selection and Long-Term Outcomes Among Patients With Chronic Limb-Threatening Ischemia. J Am Heart Assoc. 2021;10:e023138.
- Dadwal G, Schulte Huxel T, Kolb G. Geriatric traumatology (e.g."Alterstraumatologie") is more than orthogeriatrics - Experiences of a physician in advanced training. Zschr Gerontol Ger 2022;55:513-518
Quelle: Deutsche Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin
04.09.2024