Onkologie
Neue Methode sagt Nebenwirkungen vorher
Jedes neue Krebsmedikament kann die Überlebenschancen von Patienten erhöhen. Leider bringen diese Medikamente manchmal jedoch schwere Nebenwirkungen mit sich, deren Ursachen bisher selten entschlüsselt werden konnten.
Einem internationalen Wissenschaftlerteam aus München, Heidelberg, Schweden und Singapur ist es nun gelungen, eine neue Methode zu entwickeln, mit der sie Nebenwirkungen auf Zellebene erklären und sogar vorhersagen können.
Krebsmedikamente rufen neben der erhofften Wirkung auf Krebszellen oft schwerwiegende, teilweise schmerzhafte Nebenwirkungen hervor. Zu den bekannteren Nebenwirkungen gehören Haarausfall, Übelkeit und Immunschwäche. Viele Patienten leiden darüber hinaus an Kribbeln in den Händen bis hin zu schweren Nervenstörungen wie dem Verlust des Tastsinns oder klagen über Lichtempfindlichkeit, was die Lebensqualität erheblich einschränkt. Ein Grund dafür liegt in der Wirkungsweise der Medikamente: Viele greifen nicht nur die gewünschten Ziele, bestimmte Proteine in den Krebszellen, an, sondern auch andere Proteine in gesunden Zellen. Das kann in manchen Fällen die gewünschte Wirkung sogar noch steigern, sorgt in den meisten Fällen jedoch vorrangig für Nebenwirkungen. Ließen sich diese "falschen" Ziele eines neuen Medikaments vorab erfassen, könnten seine Nebenwirkungen vorhergesagt werden. Man wüsste, ob, warum und vor allem wie ein Medikament Nebenwirkungen hervorruft.
Mit einem einfachen aber ausgeklügelten Verfahren ist dies Wissenschaftlern von Cellzome in Heidelberg und dem Karolinska Institut Schweden in Kollaboration mit Professor Bernhard Küster von der Technischen Universität am DKTK-Partnerstandort München gelungen. Durch Erhitzen von Leukämiezellen auf Temperaturen zwischen 40 und 70 Grad konnten die Wissenschaftler neue Zielproteine von Medikamenten identifizieren. Durch die Hitze begannen die Proteine in den Zellen zu schmelzen. "Jedes der vielen verschiedenen Proteine in einer Zelle hat ein eigenes, charakteristisches Schmelzverhalten. Das können wir messen", erklärt der Erstautor der Studie, Dr. Mikhail Savitski. "Geben wir den Zellen nun Krebsmedikamente, binden diese an bestimmte Proteine und verändern sie. Diese Veränderungen schlagen sich auch im Schmelzverhalten nieder, was wir wiederum messen können." Im Idealfall binden die Medikamente nur an die gewünschten Zielproteine. In den meisten Fällen jedoch binden sie auch an Proteine, die nicht (nur) in Krebszellen, sondern auch in gesunden Zellen vorkommen. Das Resultat sind Nebenwirkungen. Mit Hilfe der Protein-Massenspektrometrie konnten die Wissenschaftler diese Veränderungen im Schmelzverhalten der Proteine in lebenden Zellen verfolgen. "Die Effekte eines Medikaments lassen sich so genau erfassen. Wir hoffen damit in Zukunft viele Nebenwirkungen erklären oder sogar vorhersagen zu können", sagt Bernhard Küster, Leiter der beteiligten Forschergruppe am DKTK Standort der TU München.
Im Rahmen ihrer Studie haben die Wissenschaftler bereits einige Krebsmedikamente mit der neuen Methode untersucht. Darunter war auch das Medikament Vemurafenib, mit dem vor allem Patienten mit schwarzem Hautkrebs, dem Melanom, behandelt werden. Entwickelt wurde es, um das Krebsprotein B-Raf zu blockieren. Es verursacht jedoch bei vielen Patienten auch eine schmerzhafte und das Leben einschränkende Lichtempfindlichkeit. Den Wissenschaftlern gelang es nun mit ihrer neuen Methode, ein neues, unerwartetes Zielprotein dieses Wirkstoffs zu entdecken: das Enzym Ferrochelatase. Es wird für die Herstellung des Blutfarbstoffs Häm benötigt. Wird gesunden Zellen Vemurafenib verabreicht, wird die Funktion des Enzyms Ferrochelatase unterbunden, was sich im Schmelzverhalten des Enzyms messen lässt. Dieser Funktionsverlust ist bereits von einer anderen Erkrankung bekannt: Patienten mit kutaner Porphyrie, einer genetisch bedingten Stoffwechselstörung, die sich in einer sehr starken und schmerzhaften Lichtempfindlichkeit der Haut zeigt, weisen den gleichen Defekt auf. Diese Erkenntnis hat einen direkten klinischen Nutzen und gibt Bernhard Küster Anlass zur Hoffnung: "Dank unserer Ergebnisse sollte es in Zukunft möglich sein, Wirkstoffe so zu entwickeln, dass sie nicht mehr an das Enzym Ferrochelatase binden und damit die Patienten keine Lichtempfindlichkeit mehr als Nebenwirkung von Krebsmedikamenten befürchten müssen."
Gemeinsame Pressemitteilung des Deutschen Konsortiums für Translationale Krebsforschung und der Technischen Universität München
09.10.2014