Bildquelle: UKJ; Foto: Inka Rodigast
News • Studie zeigt Gründe für Zurückhaltung
Multiple Sklerose und die falsche Angst vor der Impfung
Jenaer Studie untersucht deutschlandweit Impfstatus bei chronischer neurologischer Erkrankung
Obwohl eine besondere Gefahr für Infektionen besteht, sind Patienten mit Multipler Sklerose häufig nicht entsprechend der Fachempfehlungen geimpft. Eine jetzt im Fachjournal "Therapeutic Advances in Neurological Disorders" veröffentlichte Beobachtungsstudie des Jenaer Uniklinikums identifiziert die Zurückhaltung der behandelnden Hausarztpraxen als einen Grund dafür und empfiehlt die Einrichtung von MS-Impfzentren.
Impfungen gehören zu den effektivsten Maßnahmen zum Schutz vor schweren Infektionen. Besonders wichtig ist diese Vorbeugung bei Menschen mit chronischen Erkrankungen. Wenn die Grunderkrankung immunvermittelt ist und deren Behandlung das Immunsystem schwächt, gewinnt der Impfschutz noch einmal an Bedeutung. Die Behandlungsrichtlinien für chronisch-entzündliche Erkrankungen berücksichtigen dies und empfehlen, zeitlich abgestimmt mit den Behandlungszyklen und den jeweiligen Therapien, die vollständige Immunisierung auch gegen seltenere Infektionserkrankungen.
Wir hören sowohl von Hausärzten als auch von Patienten immer wieder Befürchtungen, dass Impfungen Schübe auslösen oder den Verlauf der MS verschlechtern könnten. Dafür gibt es keinerlei Belege. Dass Infektionen die MS negativ beeinflussen können, ist dagegen gesichert
Florian Rakers
Eine Studie des Universitätsklinikums Jena untersuchte jetzt, wie diese Empfehlungen bei Patienten mit Multipler Sklerose umgesetzt werden. In Deutschland gibt es etwa 250.000 Betroffene. Sie werden in der Regel in spezialisierten MS-Zentren oder neurologischen Praxen behandelt. Dafür stehen je nach Erkrankungsphase über 20 verschiedene Therapien und Wirkstoffe zur Verfügung, die unterschiedlich stark in das Immunsystem eingreifen. Neben den allgemein empfohlenen Standardimpfungen sollten MS-Erkrankte auch mit Impfungen speziell für Menschen mit einem geschwächten Immunsystem geimpft sein. Die Immunisierung sollte möglichst vor der Einleitung einer Immuntherapie erfolgen.
Die Beobachtungsstudie erfasste in sechs spezialisierten MS-Behandlungszentren in unterschiedlichen Regionen in Deutschland den Impfstatus von knapp 400 Patienten, ihren Informationsstand und ihre Einstellung zum Impfen. Befragt wurden auch die behandelnden Hausärzte, die die Impfungen durchführen. Im Ergebnis hatten MS-Erkrankte nur gut die Hälfte der empfohlenen Standardimpfungen. In einer altersangepassten gesunden Vergleichsgruppe lag die Impfrate sogar leicht höher. Weniger als jeder fünfte MS-Erkrankte war ausreichend gegen Gürtelrose, Grippe oder andere Atemwegserkrankungen geimpft. Das galt auch für MS-Patienten mit hochwirksamen immunsupprimierenden Medikamenten. Bezüglich ihrer Einstellung zum Impfen unterschieden sich die Gruppen nicht, nur wenige zeigten eine skeptische Haltung.
Anders sah es bei den 109 an der Studie teilnehmenden Hausarztpraxen aus: 82% gaben an, dass sie wegen möglicher Nebenwirkungen oder Wechselwirkungen mit Medikamenten Bedenken haben, ihre MS-Patienten zu impfen. Diese Unsicherheit ist nachvollziehbar, da jede Hausarztpraxis im Durchschnitt nur weniger als zehn MS-Patienten betreut. „Wir hören sowohl von Hausärzten als auch von Patienten immer wieder Befürchtungen, dass Impfungen Schübe auslösen oder den Verlauf der MS verschlechtern könnten“, so der Studienleiter PD Dr. Florian Rakers. „Dafür gibt es keinerlei Belege. Dass Infektionen die MS negativ beeinflussen können, ist dagegen gesichert.“ Der Neurologe schlägt deshalb vor, einige MS-Behandlungszentren als spezialisierten Impfzentren zu etablieren. Das könne dazu beitragen, dass Patienten die leitliniengerechte Versorgung erhalten.
Quelle: Universitätsklinikum Jena
28.01.2025