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MS-Forschung: Mechanismen für Wiederaufbau der Myelinhülle entschlüsselt
Das Team von Neurobiologin Prof. Dr. Claire Jacob hat einen wichtigen Mechanismus aufgedeckt, der die Wiederherstellung der Myelinhülle nach einer Verletzung durch ein Trauma oder eine degenerative Erkrankung reguliert.
Basierend auf diesen Erkenntnissen wurden geschädigte Myelinscheiden bei Mäusen durch die Behandlung mit dem Wirkstoff Theophyllin regeneriert und so die Funktion der Nervenzellen wiederhergestellt. Die Erkenntnisse beruhen auf Forschungsarbeiten, die an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und der schweizerischen Université de Fribourg durchgeführt wurden.
Der Beitrag wurde jetzt im Fachjournal Nature Communications veröffentlicht.
Nervenzellen enthalten Axone, lange faserartige Fortsätze, die Signale an andere Zellen übermitteln. Viele von ihnen sind von einer Myelinscheide umgeben, einer dicken, fetthaltigen Schicht, die dem Schutz und der schnellen Weiterleitung von Reizen dient. Ohne Myelin funktioniert die Nervenzelle und damit das Nervensystem nur eingeschränkt und es besteht die Gefahr, dass Nervenzellen degenerieren. Multiple Sklerose (MS) ist eine der Erkrankungen, die auf einen Abbau der Myelinhülle zurückgeht. Sie entsteht durch aufeinanderfolgende Schübe, bei denen MS-Patienten nach und nach ihre Nervensystemfunktionen verlieren. Durch den Wiederaufbau der Myelinscheide kann dieser Verlust verhindert werden.
Gesunde Myelinhüllen sind eine Grundvoraussetzung für ein funktionierendes peripheres oder zentrales Nervensystem. Erfolgt eine Schädigung im peripheren Nervensystem, etwa durch einen Unfall an Armen oder Beinen, können sich die Axone und die Myelinummantelung der Axone relativ gut erholen. "Das periphere Nervensystem ist in dieser Hinsicht recht effizient, es könnte aber noch verbessert werden", so Prof. Dr. Claire Jacob mit einem Hinweis darauf, dass selbst bei jungen Menschen keine hundertprozentige Regeneration erfolgt.
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MS-Diagnostik: Eine Erkundung von Raum und Zeit
Multiple Sklerose (MS) ist nicht heilbar, aber gut behandelbar. Ausschlaggebend für die Prognose sind eine frühe Diagnose und Therapie. Neben der klinischen Untersuchung nimmt die Magnetresonanztomographie den höchsten Stellenwert in der Diagnosestellung und der Detektion der Krankheitsaktivität bei MS ein.
Im Zentralnervensystem (ZNS) liegt der Fall anders: Hier findet nach einer Läsion keine effiziente Wiederherstellung der Axone und der Myelinhülle statt. Daher führen Verletzungen zu permanenter Lähmung – ebenso bei MS. Multiple Sklerose ist die häufigste neurodegenerative Erkrankung des zentralen Nervensystems und geht auf den Abbau der Myelinhüllen von Neuronen zurück. Durch wiederholte Läsionen kann ein permanenter Verlust der Funktion eintreten, wenn die Wiederherstellung der Ummantelung mit Myelin fehlschlägt. Diese Fähigkeit zur Wiederherstellung, als Remyelinisierung bezeichnet, nimmt mit dem Alter dramatisch ab. "Damit wir den Wiederaufbau von Myelin unterstützen können, müssen wir den Prozess verstehen, der den Mechanismus steuert", erklärt Jacob.
In der neuen Studie hat ihre Arbeitsgruppe untersucht, wie die Remyelinisierung sowohl im peripheren als auch im zentralen Nervensystem von Mäusen erfolgt. "Wir wollten zunächst den Prozess verstehen, der die Myelinisierung verhindert. Im zweiten Schritt ging es uns dann darum, wie man dieser Verhinderung oder Blockade begegnen kann." Jacob und die beteiligten Neurowissenschaftler identifizierten das Protein eEF1A1 als zentralen Faktor in dem Geschehen: Ist eEF1A1 durch Acetylierung aktiviert, wird der Prozess zur Remyelinisierung unterbunden. Ist eEF1A1 durch Deacetylierung deaktiviert, kann die Myelinschicht wieder aufgebaut werden. Sozusagen gestoppt wird eEF1A1 durch die Histon-Deacetylase HDAC2. Dieses Enzym macht durch Deacetylierung von eEF1A1 dessen Funktion im Zellkern unwirksam.
"Nachdem wir diesen Prozess verstanden hatten, wollten wir ihn modulieren, indem wir die Aktivität und die Synthese von HDAC2 in den Zellen erhöhen", erläutert Jacob. Dies wird mit dem Wirkstoff Theophyllin erreicht, der unter anderem in Teeblättern vorkommt und schon lange in der Therapie von Asthma eingesetzt wird. Mäuse, die vier Tage lang mit Theophyllin behandelt wurden, zeigten deutliche Verbesserungen. Die Wiederherstellung der Myelinscheide war im peripheren Nervensystem besonders beeindruckend und die Neurone erholten sich vollständig. Auch im zentralen Nervensystem verlief die Regeneration viel besser, sodass sowohl bei jungen als auch bei alten Mäusen nach einem Monat ein schneller und effizienter Aufbau der Myelinumhüllung festzustellen war. Dabei genügte eine niedrige Dosis des Wirkstoffs, um die Verbesserungen in Gang zu setzen – ein großer Pluspunkt im Hinblick auf die bekannten Nebenwirkungen von Theophyllin, die bei höheren Dosen auftreten.
"Dieser Studie zufolge erscheint Theophyllin als ein sehr vielversprechendes Präparat, um es in künftigen translationalen Studien zu testen, damit die Remyeliniserung nach einer traumatischen Verletzung oder im Zusammenhang mit Demyelinisierungserkrankungen beschleunigt und gefördert wird", schreiben die Autoren im Beitrag. Die Finanzierung für entsprechende klinische Studien an Patienten wird noch gesucht, ein Patent wurde bereits angemeldet.
Quelle: Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU)
08.08.2020