Bildquelle: Baadsvik EL et al., Magnetic Resonance in Medicine 2024 (CC BY-NC 4.0)
News • Myelin in der Bildgebung
Neues MRT-Verfahren macht Multiple Sklerose sichtbar
ETH-Forschende haben ein neues Verfahren der Magnetresonanztomographie (MRT) entwickelt, mit dem Multiple Sklerose (MS) frühzeitig erkannt und besser überwacht werden kann.
Multiple Sklerose ist eine neurologische Erkrankung, die meist zu bleibenden Behinderungen führt. Weltweit sind etwa 2,9 Millionen Menschen davon betroffen, rund 15.000 allein in der Schweiz. Ein zentrales Merkmal der Erkrankung ist, dass das eigene Immunsystem die Myelinscheiden im Zentralnervensystem angreift und zerstört. Diese Schutzhüllen isolieren die Nervenfasern – ähnlich einer Kunststoffverkleidung um einen Kupferdraht. Myelinhüllen sorgen dafür, dass elektrische Impulse schnell und effizient von Nervenzelle zu Nervenzelle gelangen. Sind sie beschädigt oder ausgedünnt, kann dies unter anderem zu irreversiblen Seh-, Sprech- und Koordinationsstörungen führen.
Bislang ist es jedoch nicht gelungen, die Myelinscheiden so gut sichtbar zu machen, dass diese Information für die Diagnose und Verlaufskontrolle von MS dienen könnte. ETH-Forschende um Markus Weiger und Emily Baadsvik vom Institut für Biomedizinische Technik der ETH Zürich und Universität Zürich haben dies nun geschafft. Sie haben ein neues MRT-Verfahren entwickelt, das den Zustand der Myelinscheiden genauer als bisher möglich abbildet. Die Forschenden testeten das Verfahren erstmals erfolgreich an gesunden Menschen.
Ihre Erkenntnisse wurden publiziert in den Fachjournalen Magnetic Resonance in Medicine und Science Advances.
Das MRT-System mit speziellem Kopfscanner könnte Ärzten in Zukunft dabei helfen, MS frühzeitig zu erkennen und den Verlauf der Krankheit besser zu überwachen. Zudem könnte die Technologie die Entwicklung neuer Medikamente gegen MS erleichtern. Doch damit nicht genug: Das neue MRT-Verfahren könnte Forschenden auch dazu dienen, weitere feste Gewebetypen wie Bindegewebe, Sehnen und Bänder besser sichtbar machen.
Mit herkömmlichen MRT-Geräten lassen sich die Myelinscheiden nur ungenau und indirekt abbilden. Der Grund dafür ist, dass die meisten Geräte auf Wassermoleküle im Körper reagieren, die durch Radiowellen in einem starken Magnetfeld angeregt werden. Die Myelinscheiden, die sich in mehreren Lagen um die Nervenfasern wickeln, bestehen jedoch hauptsächlich aus Fettgewebe und Proteinen. Nur zwischen diesen Lagen befindet sich das sogenannte Myelinwasser. Standard-MRTs nutzen für ihre Bilder vor allem die Signale der Wasserstoffatome im Myelinwasser und bilden die Myelinscheiden nicht direkt ab.
Bildquelle: ETH Zürich
Das neue MRT-Verfahren der ETH-Forschenden löst dieses Problem und misst den Myelingehalt direkt. Es versieht die MRT-Aufnahmen des Gehirns mit Zahlenwerten. Diese zeigen, wie viel Myelin an einer bestimmten Stelle im Vergleich zu anderen Bereichen des Bildes vorhanden ist. So bedeutet die Zahl 8, dass der Myelingehalt an dieser Stelle nur 8% von einem Maximalwert von 100 beträgt, was auf eine deutliche Ausdünnung der Myelinscheiden hinweist. Grundsätzlich gilt: Je dunkler der Bereich und je kleiner die Zahl im Bild, desto stärker sind die Myelinscheiden reduziert. Mit diesen Angaben könnten Ärztinnen und Ärzte den Schweregrad und Verlauf von MS besser einschätzen.
Die Myelinscheiden direkt abzubilden, ist allerdings schwierig. Das liegt daran, dass die Signale, die das MRT im Gewebe auslöst, viel kurzlebiger sind als die Signale, die vom Myelinwasser ausgehen. "Vereinfacht gesagt bewegen sich die Wasserstoffatome im Myelingewebe weniger frei als im Myelinwasser. Sie erzeugen daher viel kurzlebigere Signale, die nach einigen Mikrosekunden wieder verschwinden", erklärt Weiger und ergänzt: "Und das ist sehr kurz, denn eine Mikrosekunde ist der Millionste Teil einer Sekunde." Ein herkömmlicher Kernspintomograph kann diese flüchtigen Signale gar nicht erfassen, da er nicht schnell genug misst.
Um genau das zu tun, verwendeten die Forschenden einen speziell angepassten MRT-Kopfscanner, den sie in den letzten zehn Jahren zusammen mit den Firmen Philips und Futura entwickelt haben. Dieser zeichnet sich durch besonders starkes Gefälle im Magnetfeld aus, im Fachjargon Gradient genannt. "Je größer die Veränderung der Magnetfeldstärke ist, welche die drei Spulen im Scanner erzeugen, desto schneller können Informationen über die Position von Wasserstoffatomen aufgezeichnet werden", sagt Baadsvik.
Bildquelle: ETH Zürich
Erzeugen lässt sich ein solch starker Gradient über starken Strom und ein ausgeklügeltes Design. Da die Forschenden nur den Kopf scannen, ist das Magnetfeld weniger ausgedehnt und konzentrierter als bei herkömmlichen Geräten. Darüber hinaus kann das System schnell vom Senden der Radiowellen auf den Empfang der Signale umstellen. Dafür haben die Forschenden und ihre Industriepartner eine spezielle Schaltung entwickelt.
Die Forschenden haben ihr MRT-Verfahren bereits erfolgreich an Gewebeproben von MS-Patienten und an zwei gesunden Personen getestet. Als nächstes wollen sie es an MS-Patienten selbst testen. Ob der neue MRT-Kopfscanner künftig in Kliniken zu finden sein wird, hängt nun von der Industrie ab. "Wir haben gezeigt, dass unser Verfahren funktioniert. Jetzt liegt es an Industriepartnern, es zu implementieren und auf den Markt zu bringen", sagt Weiger.
Quelle: ETH Zürich; Autor: Christoph Elhardt
07.02.2024