Nierentransplantation

MHH startet neues Projekt für nierentransplantierte Patienten

Sechs Millionen Euro aus dem Innovationsfonds / „NTx 360°“soll langfristige Versorgung der Betroffenen nachhaltig verbessern / 1.000 Patienten beteiligt

Jan Seeger, Professor Schiffer, Professor Pape, Professorin de Zwaan und...
Jan Seeger, Professor Schiffer, Professor Pape, Professorin de Zwaan und Professor Tegtbur (stehend, von links) sowie die Patienten Christoph W. und Gerlinde K. (sitzend, von links).
Quelle: Foto: MHH/Kaiser
Jan Seeger, Professor Schiffer, Professor Pape, Patient Moses L. (sitzend auf...
Jan Seeger, Professor Schiffer, Professor Pape, Patient Moses L. (sitzend auf dem Gerät), Professorin de Zwaan und Professor Tegtbur (von links).
Quelle: Foto: MHH/Kaiser

An der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) startet ein neuartiges Nachsorgemodell für Erwachsene und Kinder, denen eine Niere transplantiert wurde. Das Innovationsprojekt namens „NTx 360°“ verfolgt drei Hauptziele: Das neue Organ soll möglichst lange funktionieren, die Lebensqualität der Patienten soll sich verbessern, und die medizinische Versorgung der Betroffenen soll optimiert und wirtschaftlich effizienter werden. Das Nachsorgeprogramm wird als sogenannte neue Versorgungsform mit rund sechs Millionen Euro aus dem Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) gefördert. 

Optimale Versorgung nierentransplantierter Patienten ist komplex

Bei einer terminalen Niereninsuffizienz, also dem dauerhaften Versagen der Nierenfunktion, stellt eine Nierentransplantation für die Betroffenen die beste Therapieform dar. Jedoch verlieren acht Prozent der Transplantierten das neue Organ in den ersten drei Jahren nach der Verpflanzung wieder. In den Folgejahren nimmt das Transplantatversagen weiter stetig zu – für die einzelnen Betroffenen und auch angesichts des allgemeinen Mangels an Spenderorganen eine traurige Situation. „Bei Jugendlichen ist besonders während der Übergangsphase ins Erwachsenenalter ein Anstieg von Transplantatversagen zu beobachten“, erklärt Professor Dr. Lars Pape von der Klinik für Pädiatrische Nieren-, Leber- und Stoffwechselerkrankungen, der gemeinsam mit Professor Dr. Mario Schiffer von der Klinik für Nieren- und Hochdruckerkrankungen das Projekt „NTx 360°“ leitet. Schon geringe Abweichungen in der Medikamenteneinnahme erhöhen das Risiko für eine Abstoßung deutlich. „Die optimale Versorgung eines nierentransplantierten Patienten ist komplex und sollte neben einer für jeden Patienten individuell angepassten Therapie idealerweise auch Erkrankungen, die bei Transplantierten im Laufe der Zeit häufiger auftreten, reduzieren. Dazu gehören Herz-Kreislauferkrankungen“, erläutert Professor Schiffer. „Das geförderte Programm ermöglicht uns, durch eine enge Zusammenarbeit mit den Kollegen in den heimatnahen Praxen und mit weiteren Fachdisziplinen dieses zu erreichen.“

Neuartiges Versorgungsnetzwerk wird geschaffen

„Das Programm gibt uns als größtem Transplantationszentrum Deutschlands die Möglichkeit, ein neuartiges Versorgungsnetzwerk aufzubauen und ungelöste Probleme in der gesamten Transplantationsnachsorge systematisch anzugehen“, sagt Dr. Andreas Tecklenburg, Vize-Präsident der MHH und zuständig für das Ressort Krankenversorgung. „Von Hannover aus wird damit ein Modell für ganz Deutschland entwickelt.“ Das Projekt „NTx 360°“ ist das erste Versorgungsprogramm, in dem Kinder und Erwachsene gemeinsam betreut werden. Es können alle Patientinnen und Patienten daran teilnehmen, die 2010 oder später in der MHH oder im Nephrologischen Zentrum Niedersachsen (NZN) in Hannoversch Münden transplantiert wurden und deren Krankenkasse an dem Versorgungsvertrag teilnimmt. Insgesamt wird das Programm rund 1.000 Nierentransplantierte einschließen.

„Sektorenübergreifende Versorgung ist richtungsweisend“

Bei der Umsetzung des Programms haben Professor Schiffer und Professor Pape neben zwei internen Partnern, dem Institut für Sportmedizin und der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie, auch die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen (KVN) und die AOK Niedersachsen (AOKN) an ihrer Seite. 400 Projektteilnehmer sind bei der AOK versichert. „Wir haben die Förderung dieses Projekts durch den Innovationsfonds nicht nur für eine optimale Versorgung der 400 bei uns versicherten Patienten unterstützt. Wir sind überzeugt, dass die sektorenübergreifende Versorgung richtungsweisend ist“, erklärt Jan Seeger, Geschäftsführer der AOK Niedersachsen. Mehrere andere Krankenkassen haben inzwischen ebenfalls ihre Bereitschaft erklärt, an dem Projekt teilzunehmen: BKK Landesverband Mitte stellvertretend für die Mitglieder der BKK Vertragsarbeitsgemeinschaft Mitte, BKK Mobil Oil, hkk, IKK Classic und TK.

Kommunikation zwischen Klinik und niedergelassenen Ärzten wird verbessert

Weitere Projektbeteiligte sind die niedergelassenen Nephrologen in Niedersachsen. Sie übernehmen die Betreuung der Patienten nah am Wohnort und sind daher wichtige Partner bei der Nachsorge der Nierentransplantierten. „Bei der Vorbereitung des Projekts zeigte sich, dass insbesondere die Kommunikation zwischen den unterschiedlichen Sektoren, also der MHH und den Facharztpraxen, eine Schwachstelle war. Durch die jetzt entwickelten Maßnahmen wird diese Situation verbessert“, erläutert Professor Dr. Gerhard Lonnemann vom Nephrologischen Regionalverbund Niedersachsen. 

Telemedizinisches Netzwerk mit elektronischer Patientenakte 

Das Projekt „NTx 360°“ wird zentral in der MHH koordiniert und bietet den Patienten eine enge Anbindung an ein sektorenübergreifendes Nachsorgeprogramm, das individuell auf ihre Situation abgestimmt ist. Kernstück des Programms ist ein telemedizinisches Netzwerk mit gemeinsamer elektronischer Patientenakte, auf die alle ins Programm eingebundenen Ärzte – in der MHH und auch in den Praxen vor Ort – Zugriff haben. Auch die Patienten selbst haben Einblick in ihre Daten, das ist Professor Pape und Professor Schiffer besonders wichtig. So werden Untersuchungen, Diagnosen, Medikationen, Therapien und vieles mehr für alle sichtbar und die Kommunikation zwischen den Betreuern zum Wohle der Patienten strukturiert und intensiviert. „Die Telemedizin wird zu einer besseren Koordination der Versorgung und zu effektiveren Nachsorgeuntersuchungen auf allen Ebenen bei weniger Fahrten in die MHH führen“, ist sich Professor Pape sicher. Durch sogenannte Televisiten können Risiken für die Gesundheit der Patienten früher erkannt und entsprechende therapeutische Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Die Technik wurde von dem Softwareunternehmen symeda GmbH entwickelt. 

Psychosomatiker unterstützen die Patienten

Zur Optimierung der Versorgung soll jeder Patient regelmäßig vom Psychosomatiker gesehen werden, denn schwerwiegende psychische Störungen können den Transplantationserfolg beeinträchtigen. „Wir werden Lebensqualität und psychosoziale Situation erheben sowie die Adhärenz der Patienten mit den medizinischen Maßnahmen prüfen. Wenn psychologischer Unterstützungsbedarf besteht, bieten wir zeitnah ein Coaching an, das auch telemedizinisch erfolgen kann“, erläutert Professorin Dr. Martina de Zwaan, Direktorin der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie. 

Sportmediziner entwickeln auf jeden Patienten abgestimmte Trainingstherapien

Patienten nach Nierentransplantation haben wegen der jahrelangen Krankheitsphase und der damit verbundenen Inaktivität erhebliche Einschränkungen der alltäglichen Belastbarkeit. Um den Alltag besser körperlich bewältigen zu können, die kardiovaskulären Begleiterkrankungen zu reduzieren und den durch die immunsuppressive Therapie beschleunigten Abbau von Knochendichte und Muskulatur entgegenzutreten, erhalten die Patienten im Institut für Sportmedizin eine Belastungs- und Leistungsdiagnostik und eine darauf abgestimmte persönliche Trainingstherapie. „Das Training der Patienten wird durch eine Trainings-App telemedizinisch gesteuert und regelmäßig an die Belastbarkeit des einzelnen Patienten angepasst“, sagt Professor Dr. Uwe Tegtbur, Direktor des Instituts für Sportmedizin. Über die telemedizinische Plattform sind auch Trainingssprechstunden per Video möglich.

Damit transplantierte Kinder und Jugendliche während der Pubertät und beim Eintritts ins Erwachsenenleben lernen, die nötigen Medikamente regelmäßig einzunehmen, gehört ein Transitionsprogramm zum Projekt, das den Übergang der Betreuung vom Kinder- zum Erwachsenen-Nephrologen begleitet. Die Integration von Patienten aller Altersklassen ist ein einzigartiger Aspekt des Projekts.

Weiterführende Informationen: http://ntx360grad.de

Ansprechpartner: 

Professor Dr. Lars Pape, Klinik für Pädiatrische Nieren-, Leber- und Stoffwechselerkrankungen, Telefon (0511) 532-3283, pape.lars@mh-hannover.de

Professor Dr. Mario Schiffer, Klinik für Nieren- und Hochdruckerkrankungen, Telefon (0511) 532-4708, schiffer.mario@mh-hannover.de

23.01.2017

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