News • Studie zu mikrobiellen Veränderungen

Abstoßung nach Nierentransplantation: Darm-Mikrobiom als Frühwarnsystem

Studie untersucht das Darmmikrobiom von Empfängern einer transplantierten Niere aus der DZIF-Transplantationskohorte und stellt einen Zusammenhang zwischen mikrobiellen Veränderungen des Darmmikrobioms und der Abstoßung des Transplantats und der Transplantatdysfunktion her.

Stilisiertes Verdauungssystem mit Magen und Darm Bakterien

© ArtemisDiana – stock.adobe.com

Nieren sind das meisttransplantierte Organ in Deutschland. 2023 wurden laut der Deutschen Stiftung Organtransplantation insgesamt 1.514 Nieren nach postmortaler Organspende transplantiert, bei insgesamt 2.986 transplantierten Organen. Für Patienten mit fortgeschrittenem Nierenversagen ist eine Nierentransplantation weiterhin die beste Behandlungsoption. Entsprechend groß ist der Bedarf: 2023 standen 6.513 Patienten auf der Warteliste für eine Nierentransplantation. Ein schwerwiegendes Risiko für bereits transplantierte Patienten besteht in einer Abstoßung des Transplantats. Darunter versteht man eine Abwehrreaktion des Körpers gegen das fremde Gewebe, was im Ernstfall zu einem kompletten Verlust der Organfunktion führen kann. 

Warum Transplantate manchmal abgestoßen werden und manchmal nicht, hängt weitgehend von Immunmechanismen ab, deren Ursachen komplex und oftmals unzureichend verstanden sind. Um zu dieser Frage einen Beitrag zu leisten, haben Forschende der Charité – Universitätsmedizin Berlin, des Max Delbrück Center für Molekulare Medizin, sowie des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) die Veränderungen in der Zusammensetzung und Funktion des Darmmikrobioms von Nierentransplantierten analysiert, die in die DZIF-Transplantationskohorte aufgenommen wurden. Dabei entdeckten sie eine veränderte Signatur im Darmmikrobiom, die Abstoßungsreaktionen des Transplantats vorausgingen. Diese Studie, veröffentlicht im American Journal of Transplantation, bietet einen möglichen Ansatzpunkt dafür, das Risiko einer Abstoßung frühzeitig zu erkennen.

Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass das Mikrobiom eine wichtige Rolle dabei spielt, wie das Immunsystem nach einer Nierentransplantation reagiert

Johannes Holle und Rosa Reitmeir

Unser Darm beherbergt unzählige Mikroorganismen, die eine wichtige Rolle dabei spielen, wie unser Immunsystem funktioniert. Das ist das sogenannte Mikrobiom. Ein Großteil davon, nämlich über 90%, sind Bakterien. Diese Bakterien und die Substanzen, die sie herstellen, kommunizieren mit unserem Körper – insbesondere mit den Zellen, die uns vor Krankheiten schützen. Sie helfen also dabei, unser Immunsystem zu steuern und zu stärken, was sowohl für gesunde als auch für kranke Menschen wichtig ist. Bei Patienten mit chronischer Nierenerkrankung ist die Zusammensetzung des Darmmikrobioms stark verändert, was zu einer niedrigeren Konzentration an entzündungshemmenden kurzkettigen Fettsäuren (SCFA) und erhöhten Konzentrationen an entzündungsfördernden Metaboliten aus dem Mikrobiom führt. 

Die Forschenden um die Erstautoren Johannes Holle und Rosa Reitmeir aus der Arbeitsgruppe von Nicola Wilck vom Experimental and Clinical Research Center, einer gemeinsamen Institution der Charité und des Max Delbrück Center in Berlin, haben in ihrer Studie die Veränderungen in der Zusammensetzung und der Funktion des Darmmikrobioms von Patienten nach Nierentransplantation analysiert und Veränderungen im Darmmikrobiom festgestellt, die bereits vor der Abstoßungsreaktion des Transplantats nachweisbar waren. Alle in dieser Studie analysierten Patienten waren Teil der prospektiven Kohortenstudie des DZIF, die an fünf deutschen Transplantationszentren in Universitätskliniken in Heidelberg, Hannover, Tübingen und in München an der Technischen Universität und der Ludwig-Maximilians-Universität durchgeführt wurde. Diese Zentren decken zusammen über 20% der Organtransplantationen in Deutschland ab und liefern ein repräsentatives Bild des Verlaufs nach der Nierentransplantation. 

Die Analyse der insgesamt 562 Stuhlproben, gruppiert nach gesunden Nierenspendern, Patienten vor der Nierentransplantation, 0-3 Monate nach der Nierentransplantation, 3-12 Monate, 12-24 Monate und über 24 Monate nach Nierentransplantation, zeigt eine dynamische Regeneration des Mikrobioms im Laufe der Zeit nach der Nierentransplantation, wobei sich das Mikrobiom wieder dem natürlichen und gesunden Zustand annähert. „Da wir diese dynamische Veränderung beobachtet haben, wollten wir verstehen, ob und wie Transplantatabstoßungen diesen Prozess beeinflussen“, erklärt Johannes Holle. „Und auch umgekehrt, wie sich Mikrobiomveränderungen auf die Immunität und Abstoßung von Transplantaten auswirken können“, ergänzt Rosa Reitmeir. Die Forschenden stellten fest, dass Patienten, bei denen es zu einer Transplantatabstoßung gekommen ist, bereits vor der klinisch auffälligen und bioptisch nachgewiesen Abstoßungsreaktion eine veränderte Zusammensetzung des Darmmikrobioms aufwiesen. 

So war auffällig, dass bei Patienten, die eine Abstoßungsreaktion zeigten, Bakterien wieder zunahmen, die typischerweise bei Patienten mit fortgeschrittenem Nierenversagen vorkommen, wie Fusobacterium und krankheitsassoziierten Gattungen wie Streptococcus. Bei der anderen untersuchten Gruppe, der „Nicht-Abstoßungs-Gruppe“, war das nicht der Fall. Insgesamt zeigten die Analysen, dass sich das Produktionspotenzial kurzkettiger Fettsäuren im Stuhl vor der Abstoßung der Niere reduziert. Darauf weist die verminderte Häufigkeit von bakteriellen Enzymen, aus denen kurzkettige Fettsäuren hervorgehen, vor der Abstoßung hin. 

Die zuvor festgestellte dynamische Regeneration des Mikrobioms nach einer Nierentransplantation ist im Falle einer Transplantatabstoßung womöglich erheblich gestört: Vor der Abstoßung treten tiefgreifende Veränderungen in der Zusammensetzung des Mikrobioms auf, die durch eine verminderte Diversität und eine geringe Anzahl von SCFA-produzierenden Bakterienpopulationen gekennzeichnet sind. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass das Mikrobiom eine wichtige Rolle dabei spielt, wie das Immunsystem nach einer Nierentransplantation reagiert. Diese Beobachtung kann dabei helfen, die Gefahr einer Transplantatabstoßung frühzeitig zu erkennen oder vielleicht therapeutisch zu beeinflussen“, fassen Johannes Holle und Rosa Reitmeir zusammen.


Quelle: Deutsches Zentrum für Infektionsforschung

09.04.2025

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