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Maschinelle Beatmung: Entwöhnungs-Risiken besser verstehen
Wittener Forscher fassen wissenschaftliche Indikatoren zusammen, damit Risiken in der Beatmungsentwöhnung besser erkannt werden können.
Die Ergebnisse wurden im Critical Care Journal veröffentlicht.
Die Sterblichkeitsrate von künstlich beatmeten Patienten liegt in Deutschland bei 40% bis 50%. Eine schnellstmögliche, erfolgreiche Entwöhnung vom Beatmungsgerät ist daher ein entscheidender Schritt in der intensivmedizinischen Versorgung. Weaning bezeichnet die Phase, in der Patienten die eigene Atmung trainieren und schrittweise von ihrer maschinellen Unterstützung entwöhnt werden. Doch nicht alle schaffen diesen Übergang problemlos: Das sogenannte Weaning-Versagen führt dazu, dass sie erneut intubiert werden müssen. Damit steigen die Wahrscheinlichkeit für Komplikationen und die Mortalitätsrate wiederum erheblich.
Beim Weaning [reicht es] nicht aus, einzelne Faktoren wie Herz- und Atemfrequenz, Druckvolumen oder den Zustand der Atemhilfsmuskulatur losgelöst voneinander zu betrachten. Die Zusammenschau ist entscheidend
Fritz Sterr
Um Risikopatienten zu identifizieren, bei denen Weaning-Versagen wahrscheinlich ist, wurden bereits eine Vielzahl medizinischer Anzeichen in Einzelstudien erforscht. Eine Forschungsarbeit der Universität Witten/Herdecke (UW/H) gibt nun erstmals einen Überblick über 145 wissenschaftlich untersuchte Indikatoren und liefert damit wichtige Impulse für Pflegepraxis und Intensivmedizin. „Unsere Arbeit bietet eine wertvolle Grundlage für die Verbesserung der Patientensicherheit auf Intensivstationen. Jeden Tag müssen Pflegende und Medizinern anhand von Patientendaten und Untersuchungen darüber entscheiden, ob sie die künstliche Beatmung fortführen oder ob eine Entwöhnung möglich ist. Bei dieser kritischen Abwägung sollten sie sich auf die Parameter mit der größten Evidenzdichte stützen“, erläutert Fritz Sterr, Doktorand am Department für Pflegewissenschaft der UW/H. Hier setzen er und sein Team an. Mit einer systematischen Auswertung von Forschungsdatenbanken konnten sie nicht nur die entscheidenden Prädiktoren für Weaning-Versagen ermitteln und kategorisieren, sondern auch herausstellen, zu welchen Faktoren weitere Studien nötig sind.
Die wissenschaftliche Veröffentlichung zeigt außerdem: Es zählt der Mensch in seiner Gesamtheit. „Genauso wie in allen anderen Bereichen der Medizin und Pflege reicht es auch beim Weaning nicht aus, einzelne Faktoren wie Herz- und Atemfrequenz, Druckvolumen oder den Zustand der Atemhilfsmuskulatur losgelöst voneinander zu betrachten. Die Zusammenschau ist entscheidend“, so der Pflegewissenschaftler.
Neben bildgebenden Verfahren wie ein Ultraschall des Zwerchfells und der Auswertung physiologischer Faktoren kamen in den vergangenen Jahren zunehmend maschinelle Programme auf Basis künstlicher Intelligenz in der Intensivmedizin zum Einsatz, um den Erfolg des Weaning-Prozesses vorherzusagen. Hier sieht Fritz Sterr erhebliches Potenzial für die Praxis: „Maschinelle Lernmodelle können eine unterstützende Entscheidungshilfe sein, da sie Patientendaten in Sekundenschnelle auswerten und mögliche Risiken ausmachen können. Hier lohnt sich weitere Forschung.“
In seiner Doktorarbeit untersucht Fritz Sterr sämtliche Aspekte des Weanings. So widmet er sich in einem weiteren Arbeitsschritt der Frage, wie Intensivpatienten unter künstlicher Beatmung ihre Umwelt wahrnehmen, um alle an der Versorgung beteiligten Personen für das hochempfindsame Erleben zu sensibilisieren.
Quelle: Universität Witten/Herdecke
09.12.2024