Artikel • Flüchtlinge & Radiologie
Kommunikation ist die größte Herausforderung
Im Vergleich zum Vorjahr hat der große Flüchtlingsansturm in Bayern deutlich nachgelassen. In der Folge wird möglicherweise das Erstaufnahmelager in der Bayernkaserne in München, das über zwei Röntgengeräte mit direkter Datenübertragung ins Gesundheitsamt (RGU) verfügt, geschlossen werden.
Hier, wie auch in vielen Münchener Kliniken wurden vor allem im letzten Jahr zahlreiche Flüchtlingskinder im Rahmen der Erstversorgung radiologisch untersucht. Wie war das genau? Ein Blick zurück mit Dr. Birgit Kammer, Leitende Oberärztin der Kinderradiologie am Dr. von Haunerschen Kinderspital.
Was wurde bei den Kindern diagnostiziert?
Befunde wie eine tuberkulöse Coxitis habe ich in dieser extremen Ausprägung bisher in meinem beruflichen Leben noch nie gesehen.
Dr. Birgit Kammer
Die häufigste schwere Infektionserkrankung, die bei den Flüchtlingskindern radiologisch diagnostiziert wurde, war die Tuberkulose. „Wie der Infektiologe Dr. von Both berichtete, wurde im August 2015 angesichts der steigenden Zahlen an Tuberkulosefällen auf Initiative des Tropeninstituts sowie der Pädiatrischen Infektiologie unserer Klinik ein ‚Round TableTB Munich‘ ins Leben gerufen“, so Dr. Kammer. An diesem Round Table treffen sich zudem Vertreter des Münchener Gesundheitsamts (RGU), der Infektiologie und der Kinderklinik des Klinikums Schwabing, der Asklepios Lungenklinik sowie des SYNLAB in Gauting, des LGL und des Bayerischen Gesundheitsministeriums in regelmäßigen Abständen, um einzelne klinische Fälle sowie strukturelle Probleme bei der Versorgung von Geflüchteten mit Tuberkulose zu diskutieren. Auch komplizierte Fälle aus unserer Kinderklinik wurden in diesem Forum interdisziplinär besprochen. „Befunde wie eine tuberkulöse Coxitis oder schwere tuberkulöse Senkungsabszesse bei Spondylitis habe ich in dieser extremen Ausprägung bisher in meinem beruflichen Leben nicht so gehäuft bzw. noch nie gesehen“, erinnert sich Kammer.
Auch andere, in unseren Breiten eher seltene Krankheitsbilder tauchten verstärkt in Bayern, aber auch in den Niederlanden, Finnland und der Schweiz auf: So wurde vor allem bei Flüchtlingen, die vom Horn von Afrika stammten, mehrfach die Infektionskrankheit Läuserückfallfieber diagnostiziert, die durch den Erreger Borrelia recurrentis verursacht wird und durch Kleiderläuse unter schlechten hygienischen Bedingungen übertragen wird. Glücklicherweise kann sie relativ einfach mit Doxycyclin behandelt werden. Unbehandelt kann sie jedoch in vielen Fällen tödlich verlaufen. Auch Malaria und HIV-Infektionen traten vor allem bei Kindern vom afrikanischen Kontinent auf. Syrische Flüchtlingskinder waren und sind hingegen seltener körperlich krank, bei ihnen stehen psychische Probleme aufgrund der Kriegstraumata im Vordergrund.
Trauma und Kommunikation
Vor allem bei Nachteinsätzen musste oft mit Händen und Füßen kommuniziert werden.
Dr. Birgit Kammer
Traumata und Verständigungsprobleme erschwerten die Durchführung der notwendigen, aber für die Kinder gänzlich unbekannten Untersuchungsverfahren. MRT- und CT-Untersuchungen lösen auch bei vielen einheimischen Patienten häufig Ängste aus. Erst recht aber bei den Flüchtlingskindern, die allein auf sich gestellt in einem fremden Land, der Sprache nicht mächtig und vom teilweise dramatischen Fluchtverlauf körperlich und seelisch gezeichnet sind: „Eine echte Herausforderung für Flüchtlinge und Ärzte“, bestätigt auch die Radiologin. Aufgrund der internationalen Zusammensetzung des Klinikteams konnte manche Sprachbarriere überwunden werden: „Unsere Kolleginnen und Kollegen kommen glücklicherweise aus aller Herren Länder und haben in vielen Fällen bei der Verständigung ausgeholfen.“ Vor allem bei Nachteinsätzen musste aber oft mit Händen und Füßen kommuniziert werden.
Die Hilfe steht im Vordergrund
Unterm Strich zieht Kammer eine positive Bilanz ihrer Arbeit im vergangenen Jahr: „Obwohl die Kooperationen mit den Kindern nicht immer einfach war, wir alle zeitlich mehr eingespannt waren bis zu nächtlichen Stresssituationen, das gute Gefühl, den Kindern auf ihrem schwierigen Weg in die neue Welt geholfen zu haben, überwiegt.“
Profil:
Dr. Birgit Kammer studierte Humanmedizin an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU). Im Rahmen der Facharztausbildung zur Radiologin an der LMU forschte sie unter anderem an der Harvard Medical School in Boston. Nach Abschluss der Facharztausbildung im Jahr 1995 arbeitete sie als Funktionsoberärztin der Röntgenabteilung der Chirurgischen Klinik mit dem Schwerpunkt MRT und wechselte im Juni 1997 als Oberärztin in die Pädiatrische Radiologie des Dr. von Haunerschen Kinderspitals. Seit September 2013 leitet sie die dortige Kinderradiologie. Ein besonderes Anliegen ist ihr die Fort- und Weiterbildung der Radiologen in der Kinderradiologie in der BRG und DRG.
Veranstaltungshinweis:
Raum: Kultbox
Freitag, 14. Oktober 2016, 16:30-16:50 Uhr
Normvarianten und pathologische Befunde an der kindlichen Schulter
Birgit Kammer (München)
Symposium 8: Kinder
13.10.2016