News • "Blaues Buch" Pädiatrische Onkologie
Kindliche Tumoren – in vieler Hinsicht einzigartig
Die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC), Einrichtung der Weltgesundheitsorganisation WHO, wird in Kürze die erste Ausgabe ihrer Klassifikation kindlicher Krebserkrankungen veröffentlichen.
Die neue WHO-Klassifikation bildet für Ärzte und Kinderonkologen weltweit die Grundlage einer modernen präzisen Krebsdiagnostik und basiert auf den neuesten internationalen Forschungsergebnissen, unter anderem aus dem Hopp-Kindertumorzentrum Heidelberg (KiTZ), dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ), dem Universitätsklinikum Heidelberg (UKHD) und vielen anderen pathologischen und kinderonkologischen Zentren weltweit. Die wichtigsten Erkenntnisse und Prinzipien des ersten Nachschlagewerkes kindlicher Tumoren wurden nun veröffentlicht.
Obwohl kindliche Krebserkrankungen selten sind, sind sie die häufigste krankheitsbedingte Todesursache bei Kindern. Grundlage für die Diagnose von Krebs bei Kindern und Erwachsenen sind die sogenannten WHO (World Health Organization)-Klassifikationen. Eine entnommene Tumorprobe wird dabei anhand ihrer Gewebeeigenschaften, ihrer molekularen Eigenschaften und je nach Lokalisation des Tumors, klassifiziert und präzise charakterisiert. Der Tumor erhält somit ein einheitliches und international gültiges Etikett, das die Grundlage für seine Behandlung liefert.
Kindliche Tumoren sind jedoch in vielerlei Hinsicht einzigartig. „Tumoren im Kindes- und Jugendalter unterscheiden sich grundlegend in Bezug auf Tumortypen, Entstehungsursachen, Biologie und therapeutische Ansätze von Tumoren bei Erwachsenen“, betont Stefan Pfister, Direktor des Hopp-Kinderkrebszentrums Heidelberg (KiTZ), Abteilungsleiter am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und Kinderonkologe am Universitätsklinikum Heidelberg (UKHD), der zu den Hauptautoren der aktuellen Veröffentlichung gehört. Viele kindliche Krebserkrankungen werden durch ein einzelnes genetisches Ereignis verursacht, das in einer Zelle während ihrer Entwicklungsphase auftritt und in der Folge zu einer unkontrollierten Zellteilung führt. Im Gegensatz dazu sind bösartige Erkrankungen bei Erwachsenen in der Regel auf mehrere genetische Ereignisse zurückzuführen, häufig verursacht durch äußere chronische Einflüsse wie Rauchen, Alkohol, Infektionen oder UV-Licht. In der Praxis bedeutet dies, dass Tumoren, deren Gewebe unter dem Mikroskop ähnlich aussehen und die im gleichen Organ auftreten, trotzdem einen ganz anderen Ursprung, eine völlig verschiedene Biologie und einen unterschiedlichen Krankheitsverlauf haben können.
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News • Tumorproben-Screening
Molekulare "Landkarte" der Krebsarten im Kindesalter
Forschern ist es jetzt gelungen, eine besonders detaillierte molekulare „Landkarte" kindlicher Krebserkrankungen zu zeichnen. Sie durchsuchten fast tausend Tumorproben von 24 Krebsarten nach genetischen Veränderungen und klassifizierten diese. In der Hälfte der Proben fanden sie Angriffspunkte für neuartige Krebsmedikamente, wodurch sich neue Therapieansätze ergeben.
Die neue WHO-Klassifikation kindlicher Tumoren, die gemeinsam von Wissenschaftlern am KiTZ, des UKHD und des DKFZ und zahlreichen weiteren internationalen Experten entwickelt wurde, beruht deshalb auf einem modernen, vielschichtigen Ansatz, der nicht nur alle mikroskopisch sichtbaren, sondern auch zahlreiche molekulare Merkmale in die Diagnose miteinfließen lässt. Das Buch, das jetzt als Band 7 der fünften Ausgabe der WHO-Klassifikation von Tumoren veröffentlicht wird, stellt das bislang erste Nachschlagewerk aller Tumorarten dar, die im Kindes- und Jugendalter auftreten können. „Bisher waren die kindlichen Tumoren lediglich in den Organ-spezifischen WHO-Klassifikationen unter den zahlreichen Krebsarten aufgeführt, die praktisch nur im Erwachsenenalter vorkommen“, sagt Andreas von Deimling, ärztlicher Direktor der Neuropathologie des UKHD und Leiter der klinischen Kooperationseinheit Neuropathologie am DKFZ. Neben der üblichen Einordnung nach Organen, wird auch zwischen den Krebserkrankungen, die typischerweise bei Säuglingen, älteren Kindern und Jugendlichen auftreten, unterschieden. „Eine ganzheitliche Sichtweise sollte schließlich den Tumor eines Kindes nicht nur als Erkrankung eines Organs, sondern als Erkrankung eines Organs in einem sich entwickelnden Kind betrachten“, erläutert die Mitautorin Rita Alaggio, Leiterin der Abteilung für Pathologie am Bambino Gesù Kinderkrankenhaus in Rom.
Durch die Ergänzung genetischer und anderer molekularer Tumoreigenschaften sei es zudem auch möglich, ganz neue Tumorarten zu identifizieren, therapeutische Angriffspunkte aufzuzeigen und Einschätzungen des Krankheitsverlaufs vorzunehmen, so die Autoren. Während beispielsweise Tumoren des Bindegewebes immer noch hauptsächlich anhand von Gewebestrukturen eingeteilt werden, werden Tumoren des zentralen Nervensystems und Leukämien heutzutage meist auf der Grundlage wiederkehrender molekularer oder epigenetischer Veränderungen oder Muster klassifiziert.
Mittelfristig könnten auch Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen von den neuen präziseren Diagnosekriterien zur Behandlung krebskranker Kinder profitieren, hoffen die Experten. „Eine wichtige Voraussetzung dafür ist die Entwicklung erschwinglicher Tests und die Anbindung an die pathologischen und kinderonkologischen Netzwerke“, sagt Stefan Pfister. Gerade in solchen Ländern, in denen es oft zu wenige spezialisierte Pathologen zur Beurteilung von Tumorproben gibt, könnten diese Methoden helfen, präzisere Diagnoseansätze speziell für krebskranke Kinder standardmäßig einzusetzen. Pfister ist überzeugt, dass eine frühzeitige Präzisionsdiagnostik die Situation vieler Patienten bereits entscheidend verbessern kann: „Wenn wir nur zwei oder drei Prozent der Kosten einer modernen Krebstherapie in eine objektive, präzise und eindeutige Diagnose investieren, in der wir molekulare Tumorprofile, Biomarker zur Vorhersage des Krankheitsverlaufs und erbliche Krebsveranlagungen zusammenzubringen, ist das eine extrem gute Investition für die Patienten. Um passgenaue Behandlungen empfehlen zu können und Nebenwirkungen zu vermeiden.“
Quelle: Universitätsklinikum Heidelberg
17.12.2021