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KI blickt tief in den Tumor hinein

Die großflächige Einführung von Künstlicher Intelligenz (KI) wird die Radiologie – aber auch andere medizinische Fächer – von Grund auf verändern. Die ersten Anwendungen zeigen bereits verblüffend gute Ergebnisse.

Bericht: Michael Krassnitzer

Quelle: Pixabay/geralt

Ich habe keinen Zweifel daran: In einigen Jahren wird Brustkrebsscreening von intelligenten Programmen durchgeführt werden

Michael Forsting

„KI wird die Radiologie dramatisch verändern und verbessern“, ist Prof. Dr. Michael Forsting, Direktor des Instituts für Diagnostische und Interventionelle Radiologie und Neuroradiologie des Universitätsklinikums Essen, überzeugt. Programme, die auf Deep Learning basieren – die also aus Beispielen lernen und darin selbstständig Muster und Gesetzmäßigkeiten erkennen –, können bereits mit 99-prozentiger Treffsicherheit Mammogramme richtig beurteilen. „In Ländern wie China wird es niemals genug Radiologen geben, um ein Mammographie-Screening-Programm nach derzeitigem Muster zu etablieren“, erklärt Forsting. Diese Länder werden die ersten sein, die KI dafür nutzen werden. Doch sie werden nicht die einzigen bleiben, prophezeite Forsting auf einem Vortrag beim Europäischen Radiologen-Kongress (ECR 2018) in Wien: „Ich habe keinen Zweifel daran: In einigen Jahren wird Brustkrebsscreening von intelligenten Programmen durchgeführt werden.“

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Prof. Dr. Michael Forsting ist Direktor des Instituts für Diagnostische und Interventionelle Radiologie und Neuroradiologie des Universitätsklinikums Essen.

Dasselbe gelte für Follow-Up-Untersuchungen etwa bei Prostatakrebs oder Leberkrebs, wie der deutsche Radiologe betont: „Die Größe von Karzinomen oder Metastasen mit der vorhergehenden Untersuchung zu vergleichen, wird in Zukunft von Computern und nicht mehr von Radiologen vorgenommen werden. Programme sind genauer und werden nie müde.“ 

Als weiteres Beispiel nennt Forsting MRT-Untersuchungen an Patienten mit Multipler Sklerose (MS). Auch diese könnten von KI-Programmen übernommen werden – durchaus zur Erleichterung der Radiologen: „Es gibt nichts Eintönigeres als MS-Plaques im Gehirn zu zählen. Eigentlich möchte das niemand wirklich machen.“

KI in der klinischen Routine

Am Universitätsklinikum Essen ist bereits eine Reihe von KI-Anwendungen in die klinische Routine implementiert. Eine davon ist die e-ASPECTS-Software, die frühe Infarktzeichen bei zerebraler Ischämie entdecken kann. „Das System arbeitet exzellent“, berichtet Forsting: „Gelegentlich macht es Fehler – aber die machen wir alle.“ 

Am Universitätsklinikum Essen wird natürlich auch die Forschung auf dem Gebiet der KI vorangetrieben. So ist ein dort entwickeltes System auf Basis von CT-Scans von nur 50 Bronchialkarzinom-Patienten von sich aus zu der Erkenntnis gekommen, dass es bei dieser Krebsart Langzeitüberlebende und Kurzzeitüberlebende gibt. In einem anderen Projekt wurde bei einer Kohorte von Uteruskarzinom-Patientinnen allein durch PET/MR-Bilder des Karzinoms sowie einiger anderer Parameter mit einer Treffsicherheit von 95 bis 97 Prozent vorhergesagt, ob die Patientinnen bereits Metastasen entwickelt haben. „Da haben wir allein mit KI ganz tief in die Biologie des Tumors geblickt“, sagt der Direktor der zentralen IT des Universitätsklinikums Essen. Ähnliche Einblicke lieferte auch ein System, das durch die Analyse radiologischer und Labordaten bei Patienten nach selektiver interner Radiotherapie (SIRT) vorhersagen konnte, wie deren Lebergewebe nach der Therapie wächst. Die Essener Forscher haben zudem mit nur 50 CT-Scans ein neuronales Netzwerk darauf trainiert, idiopathische interstitielle Pneumonie zu erkennen, eine radiologisch schwer zu diagnostizierende Erkrankung. Die Diagnosen eines spezialisierten Radiologen erwiesen sich in 72 Prozent der Fälle als korrekt, das KI-Programm lag bei 70 Prozent richtig – und kombiniert erreichten beide gemeinsam eine Treffsicherheit von 77 Prozent.

Frühphasen einer Erkrankung diagnostizieren

„Ich würde nicht sagen, dass KI den Radiologen ersetzen wird, aber die Radiologie wird sich massiv verändern“, bekräftigt Forsting. Andere Disziplinen freilich würden durch KI-Anwendungen in noch weit größerem Ausmaß Veränderungen erfahren, etwa die Psychiatrie. So haben US-Forscher eine Software entwickelt, die bei Usern der Social-Media-Plattform Instagram anhand der dort hochgeladenen Fotos eine Depression diagnostizieren kann. Andere Forscher haben herausgefunden, dass auch die täglichen Aktivitäten auf Facebook erkennen lassen, ob ein User gerade in eine Depression schlittert. „Das kann kein Psychiater“, sagt Forsting. Ein anderes aus den USA stammendes und auf Deep Learning basierendes Programm ist in der Lage, anhand der Daten eines kleinen tragbaren Bewegungsmessgeräts festzustellen, ob sich der Träger in der Frühphase einer Parkinson-Erkrankung befindet. 

Auch auf die Dermatologie bringe das Aufkommen der Künstlichen Intelligenz weitreichende Auswirkungen mit sich, glaubt Forsting: Ein Programm, das zwischen gutartigen und bösartigen Hautläsionen unterscheiden kann, hat sich im Test als genauso gut wie 25 US-amerikanische Top-Dermatologen erwiesen. „Das gibt einen guten Eindruck davon, was man mit KI in der Medizin alles erreichen kann“, unterstreicht der Essener Radiologe


Profil:

Prof. Dr. Michael Forsting ist Leiter der Abteilung für Radiologie und Chief Medical Officer der IT-Abteilung am Universitätsklinikum sowie Prodekan für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs an der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen. Von 2011 bis 2013 war er Präsident der Deutschen Röntgengesellschaft. Forsting wurde mit zahlreichen Auszeichnungen geehrt, unter anderem mit dem Kurt-Decker-Preis der Deutschen Gesellschaft für Neuroradiologie, dem Wilhelm-Conrad-Röntgen-Preis der Deutschen Röntgengesellschaft und dem Wissenschaftspreis der Europäischen Gesellschaft für Neuroradiologie.

09.05.2018

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