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News • Corona & Neurologie

Kann COVID-19 Schlaganfälle auslösen?

In einer aktuellen Studie aus Wuhan wiesen 40 von 88 Patienten mit schweren COVID-19-Verläufen neurologische Symptome auf. Allein fünf von ihnen hatten einen Schlaganfall erlitten.

Ob die zerebrovaskulären Ereignisse eine direkte Infektionsfolge sind oder bei schwerkranken COVID-19-Patienten häufiger auftreten, weil sie in der Regel mehr Schlaganfall-begünstigende Begleiterkrankungen aufweisen, muss weiter untersucht werden. Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) unterstreicht, dass bei COVID-19 unbedingt neurologische Expertise gefragt ist. 

Die Studie aus Wuhan ist im Fachjournal JAMA Neurology erschienen.

Insgesamt traten bei 36,4% der insgesamt 214 Patienten neurologische Symptome auf. Auffällig war zudem, dass neurologische Symptome bei Patienten mit schweren respiratorischen Verläufen vermehrt auftraten. Die Rate betrug in dieser Subgruppe sogar 45,5% (40 von 88 Patienten mit schwerem Verlauf wiesen neurologische Symptome auf). Es kam in dieser Gruppe aber nicht nur zu gehäuften, sondern auch zu schwereren neurologischen Manifestationen: Vier Patienten erlitten einen ischämischen Schlaganfall, ein Patient einen hämorrhagischen, bei 13 Patienten waren Bewusstseinsstörungen dokumentiert worden und bei einem ein Krampfanfall.

Die Autoren erklären die neurologischen Begleit-Symptomatik damit, dass SARS-CoV-2 wie die bereits bekannten Coronaviren SARS und MERS auch in das zentrale Nervensystem (ZNS) bzw. in das Gehirn eindringen können, insbesondere in den Hirnstamm, wie Ende Februar eine Publikation im Journal of Medical Virology nahelegte. Tierexperimentell konnte der neurale Infektionsweg nachgewiesen werden, er verläuft von der Nasenschleimhaut über sogenannte freie Nervenendigungen bis zum Gehirn. Dies würde auch die extrem hohe Häufigkeit eines Verlusts von Geruchs- und Geschmackssinn bei COVID-19-Erkrankungen erklären, die in einer aktuellen europäischen Studie mit 85,6% und 88% beziffert wird.

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In der vorliegenden Studie aus Wuhan wurden Laborparameter der schwer betroffenen COVID-19-Patienten ausgewertet. Auffällig war, dass Patienten mit neurologischen Symptomen eine geringere Lymphozytenzahl aufwiesen, was auf eine herabgesetzte Immunabwehr hindeutet. Außerdem hatten sie niedrigere Thrombozytenzahlen und höhere Blut-Harnstoff-Stickstoff-Spiegel (BUN). Die Gruppe der Patienten mit schweren respiratorischen Verläufen wies insgesamt auch höhere D-Dimer-Spiegel auf. „D-Dimere steigen bei einer Sepsis an, können aber auch auf eine Aktivierung des Gerinnungssystems hinweisen, wie sie auch bei anderen schweren Virusinfektionen bekannt sind. SARS-CoV-2 könnte so Schlaganfälle begünstigen“, erklärt Professor Dr. Götz Thomalla, Hamburg, Sprecher der DGN-Kommission Zerebrovaskuläre Erkrankungen. „Interessant ist, dass bei Myopathien im Rahmen der SARS-Infektion histologisch eine Vaskulitis nachgewiesen wurde. Bei der hohen Affinität auch des aktuellen Erregers zum AT 2-Rezeptor erscheint damit eine Vaskulitis als Schlaganfallursache denkbar“, ergänzt Professor Peter Berlit, Generalsekretär der DGN.

Der hohe Prozentsatz dieser Symptome deutet darauf, dass COVID-19 kein rein pneumologisches Krankheitsbild ist, sondern unbedingt neurologische Expertise gefragt ist

Peter Berlit

Die erhöhte Schlaganfallrate bei Patienten mit schweren COVID-19-Erkrankungen ist auch Gegenstand des begleitenden Editorials in JAMA Neurology. Die Editoren heben hervor, dass es vor allem multimorbide Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren wie Bluthochdruck sind, die schwer an COVID-19 erkranken. Die höhere Schlaganfallrate könnte somit einem Selektionsbias geschuldet und keine direkte Infektionsfolge sein. „Ob ein Schlaganfall nun direkte Folge der schweren SARS-CoV-2-Infektion oder Resultat der Tatsache ist, dass Patienten mit schweren COVID-19-Verläufen gleichzeitig auch zerebrovaskuläre Risikopatienten sind, ist eine wichtige Forschungsfrage, der wir gezielt nachgehen müssen. Wichtig ist aktuell aber, dass Schlaganfälle auch bei beatmeten Patienten rechtzeitig erkannt und behandelt werden“, erklärt Berlit.

Die Autoren des Editorials sprechen sich ebenfalls dafür aus, die neurologische Beteiligung bei COVID-19 weiter zu untersuchen, sehen aber schon jetzt genügend Hinweise, um die Rolle der Neurologen im Kontext von SARS-CoV-2 neu zu bewerten und sie an der 'Front' im Kampf gegen die Pandemie anzusiedeln. „In der Tat ist es so, dass uns nahezu täglich neue Daten zu neurologischen Begleitsymptomen bei COVID-19-Patienten erreichen – und der hohe Prozentsatz dieser Symptome, z.T. auch ihr Auftreten ohne jedwede Atemwegsbeteiligung, deutet darauf, dass COVID-19 kein rein pneumologisches Krankheitsbild ist, sondern unbedingt neurologische Expertise gefragt ist. Die Neurologie ist aus der Versorgung von COVID-19-Patienten daher nicht wegzudenken“, so Berlit.


Quelle: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN)

22.04.2020

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