Artikel • Angst vor Ansteckung mit COVID-19
Schlaganfall-Symptome trotz Corona-Pandemie ernst nehmen
Beunruhigend sind die Rückmeldungen, die die Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft derzeit aus den großen Schlaganfallzentren bekommt: Die Zahl der Patienten mit leichteren und mittleren Schlaganfällen hat in den Krankenhäusern deutlich abgenommen. Grundsätzlich wäre das zwar eine gute Nachricht, doch liegt die Vermutung nahe, dass nicht etwa weniger Menschen einen Schlaganfall erleiden, sondern viele aus Angst vor einer Infektion mit dem Coronavirus trotz deutlicher Symptome nicht ins Krankenhaus gehen.
Bericht: Sonja Buske
Eine fatale und lebensgefährliche Entscheidung, sagt Prof. Dr. Wolf-Rüdiger Schäbitz, Pressesprecher der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) und Chefarzt der Klinik für Neurologie am Evangelischen Klinikum Bethel in Bielefeld.
„Die Sorge mag zwar auf der Gefühlsebene nachvollziehbar sein, doch sie ist absolut unbegründet, da wir in Deutschland vielleicht mit die besten Strukturen auf der ganzen Welt zum Schutz von Patienten aufgebaut haben“, ist sich Schäbitz sicher. „Die Menschen sehen die erschreckenden Bilder aus Italien von überfüllten Stationen und sterbenden Patienten und haben verständlicherweise Angst. Doch ich glaube nicht, dass wir hier italienische Zustände bekommen werden“, zeigt sich der Neurologe zuversichtlich. „Vermutlich ist es wahrscheinlicher, sich beim Einkaufen mit Corona anzustecken, als während eines Aufenthaltes als Schlaganfallpatient im Krankenhaus.“ In deutschen Kliniken werden potenziell mit COVID-19 infizierte Personen strikt von allen anderen Patienten getrennt. Sie haben keinerlei Berührungspunkte, nutzen nicht die gleichen Räumlichkeiten, und das medizinische und pflegerische Personal wechselt nicht zwischen den Patientengruppen hin und her.
Zögern entscheidet über Leben und Tod
280.000 Schlaganfallpatienten gibt es jährlich in Deutschland, 30 Prozent davon versterben. Der Faktor Zeit ist dabei enorm wichtig. Schäbitz: „Das kurze Zögern kann entscheidend sein: Wer erst darüber nachdenkt, ob er sich im Krankenhaus mit dem Virus infizieren könnte, statt bei den ersten Anzeichen eines Schlaganfalls sofort die 112 zu wählen, riskiert dauerhafte Beeinträchtigungen, wie zum Beispiel Lähmungen, und im schlimmsten Fall sein Leben.“ Die typischen Schlaganfall-Symptome sind Gefühls-, Seh- und Sprachstörungen, Gangunsicherheit, einseitige Lähmungserscheinungen sowie plötzlich auftretende Kopfschmerzen.
Neben dem Schlaganfall ist auch die transitorische ischämische Attacke (TIA) ein medizinischer Notfall, der sofort in einer Stroke Unit behandelt werden muss. Die Symptome sind die gleichen wie bei einem Schlaganfall, jedoch verschwinden sie nach kurzer Zeit wieder. Aber: In zehn Prozent der Fälle ist die TIA Vorbote eines großen Schlaganfalls. Wird sie schnellstmöglich adäquat versorgt, kann dieser „Folge-Schlaganfall“ in vier von fünf Fällen verhindert werden, wie jüngste Auswertungen des internationalen TIA-Registers zeigen.
FAST-Test kann helfen
Die meisten [COVID-19] Fälle nehmen einen leichten Verlauf. Ein nicht behandelter Schlaganfall kann dagegen zu schwerer Behinderung führen und sogar tödlich enden
Wolf-Rüdiger Schäbitz
Schäbitz und seine Kollegen appellieren eindringlich an Betroffene und Angehörige, die Angst vor einer Corona-Infektion nicht siegen zu lassen, sondern die Anzeichen eines Schlaganfalls ernst zu nehmen und sofort zu handeln: „Schlaganfall- und TIA-Patienten sind akute Notfälle und müssen umgehend in einer Klinik behandelt werden. Die aktuelle Pandemie darf dabei keine Rolle spielen.“ Der Bielefelder-Chefarzt möchte die gesamte Bevölkerung für das Thema sensibilisieren. Jeder sollte aufmerksam im Umgang mit seinen Mitmenschen sein, um Schlaganfall-Anzeichen schnell zu erkennen. Dabei hilft der FAST-Test (Face, Arm, Speech, Time): Gelingt ein normales Lächeln? (Face)? Kann der Betroffene beide Arme nach vorne strecken und die Handflächen nach oben drehen (Arm)? Ist es dem Gegenüber möglich, einen einfachen Satz klar und deutlich nachzusprechen (Speech)? Wenn nur eine dieser drei Fragen mit nein beantwortet wird, muss sofort die 112 gewählt werden. Der oft zitierte Satz „Time is brain“ bringt es auf den Punkt: Mit jeder Minute Verzögerung werden wichtige Bereiche im Gehirn geschädigt.
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Profil:
Prof. Dr. Wolf-Rüdiger Schäbitz ist Chefarzt der Klinik für Neurologie am Evangelischen Klinikum Bethel in Bielefeld, Regionalbeauftragter der Stiftung Deutsche Schlaganfallhilfe und Pressesprecher der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG).
08.04.2020