Artikel • Lungenrundherd
Jenseits von Gut und Böse
Wer bei zufällig diagnostizierten Lungenherden immer sofort an ein Malignom beziehungsweise eine Metastase denkt, der zieht voreilige Schlüsse. Denn nicht immer sind pulmonale Herde das, was sie auf den ersten Blick zu sein scheinen, denn die Herde können eine sehr unterschiedliche Genese haben.
Bevor man sich deshalb in letzter Konsequenz für eine Biopsie oder gleich die chirurgische Resektion entscheidet, ist es umso wichtiger, die Läsion so weit wie möglich abzuklären, weiß PD Dr. Hilmar Kühl, Oberarzt am Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie und Neuroradiologie am Universitätsklinikum Essen.
Anstatt von Rundherden spricht Hilmar Kühl lieber von Verdichtungsherden, denn nicht alle seien zwingend kugelförmig und glatt. Entscheidend bei der begrifflichen Definition ist die Größe. Denn alles, was über die definierte Grenze von 3 Zentimetern hinausgeht, wird nicht mehr als Herd, sondern als Raumforderung bezeichnet. Wobei im Allgemeinen gilt: Je größer die Läsion, umso höher die Malignitätswahrscheinlichkeit. „Ab 8 Millimetern Durchmesser sollte man wachsam sein“, rät der Essener Experte, „ab 1 Zentimeter Durchmesser sollte man eine weiterführende Diagnostik wie zum Beispiel PET-CT durchführen. Wenn der Herd zudem noch andere Malignitätsmerkmale wie unregelmäßige Ränder, sternförmige Ausläufer oder eine umgebende Milchglastrübung aufweist, ist die Indikation für eine Biopsie gegeben.“ Zudem sollte der Radiologe auch stets Risikofaktoren (Raucheranamnese) oder Vorerkrankungen des Patienten wie eine Fibrose in seine Beurteilung einbeziehen.
In den meisten Fällen sind kleine solide Herde unter 8 Millimetern jedoch nicht bösartig. Darunter fällt eine vielfältige Bandbreite von benignen Veränderungen wie Granulome, Fibrome, Fibroelastome oder Hamartome, die sich durch einen hohen Kalk- oder Fettanteil auszeichnen, aber auch Gewebsnarben nach einer fokalen Entzündung oder einer organisierenden Pneumonie, die sich im Verlauf regredient zeigen. Bei kleinen, dreieckigen Herden kann es sich zudem auch um intrapulmonale Lymphknoten handeln. Deshalb warnt Kühl vor zu engmaschigen Verlaufskontrollen bei kleinen Herden: „Drei bis sechs Monate sollte man zwischen den Untersuchungen schon verstreichen lassen, sonst bemerkt man die Veränderungen nicht.“ Zudem empfiehlt er, einen zusätzlichen Volumenscan in das CT-Verlaufsprotokoll aufzunehmen, um daraus eine automatisierte Volumetrie zu erstellen. Denn gerade bei kleinen Herden lassen sich anhand des Volumens anstatt des Durchmessers eher Aussagen über ein Wachstum treffen.
Eine Handlungsanleitung zum weiteren Management von kleinen Rundherden liefern seit 2005 die Empfehlungsrichtlinien der Fleischner Society, der amerikanischen Gesellschaft für die Thoraxbildgebung und -diagnostik. Aber auch hier gilt: Man kann einen Rundherd überhaupt erst auf spezifische Zeichen wie Dichte, Kontur oder Binnenstruktur hin bewerten, wenn er eine gewisse Größe erreicht hat. Die computertomographischen Multidetektorgeräte sind zwar in der Lage, Auffälligkeiten im Bereich von 1 bis 2 Millimetern nachzuweisen – das ist aber zu früh, um eine fundierte Differenzialdiagnose abzugeben. „Lungenherde zwischen 4 und 8 Millimetern sind beispielsweise zu klein, um sie mit dem PET abzuklären“, erläutert der Thoraxspezialist, „das heißt, selbst wenn es sich wirklich um ein Lungenkarzinom im Frühstadium handelt, reichert das Tumorgewebe nicht ausreichend Tracer an, um ein eindeutiges PET-Signal abzugeben.“
Wenn Sie einem Patienten sagen, 'Wir haben da einen verdächtig aussehenden Herd gefunden, den müssen wir in drei Monaten noch einmal nachuntersuchen', dann bereiten Sie dem Patienten drei unruhige Monate.
Priv.-Doz. Dr. Hilmar Kühl
Abschließend warnt Dr. Kühl davor, bei Patienten, bei denen zufällig ein Lungenherd entdeckt wurde und die keine Risikofaktoren aufweisen, eine ganze Lawine an Kontrolluntersuchungen loszutreten: „Wenn Sie einem Patienten sagen, wir haben da einen 8 Millimeter großen Herd gefunden, der sieht verdächtig aus und den müssen wir in drei Monaten noch einmal nachuntersuchen, dann bereiten Sie dem Patienten drei unruhige Monate. Wenn es über den CT-Befund hinaus keine weiteren (klinischen) Hinweise auf maligne Prozesse gibt, sollte man nicht vom Schlimmsten ausgehen, sondern daran denken, was dieser Herd sonst noch alles sein könnte.“
Profil:
Priv.-Doz. Dr. Hilmar Kühl absolvierte sein Medizinstudium in Greifswald und seine Facharztausbildung zum diagnostischen Radiologen in Wuppertal. 2000 kam er an das Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie und Neuroradiologie am Universitätsklinikum Essen, wo er 2009 die Betreuung des damals neu installierten Computertomographen am Westdeutschen Lungenzentrum in der Ruhrlandklinik Essen übernahm. Im selben Jahr habilitierte sich der heute 47-Jährige zu dem Thema „Radiologische Evaluation der CT-gesteuerten Radiofrequenz-Ablation maligner Lebertumoren“.
Veranstaltungshinweis
Raum: Congress-Saal
Samstag, 31.10.2015, 08:00–08.45 Uhr
Der Lungenrundherd: Differenzialdiagnose und Management
Hilmar Kühl, Essen
Session: Thoraxdiagnostik
30.10.2015