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Interventionelle Medizin profitiert von 3D-Visualiserung

Auf den Medizinkongressen dieses Jahr waren 3D-Visualisierungen in vielen Bereichen ein Schwerpunktthema, da die Industrie in immer kürzeren Abständen verbesserte Hard- und Software anbietet. Die interventionelle Medizin bricht in eine neue Dimension auf, lautete vielfach der Schlachtruf. Natürlich ist die glasklare farbige Darstellung von bis vor kurzem noch eher wolkig schwarz-weiß gesehenen Körperhöhlen faszinierend, ersetzt aber nicht die Interpretation des erfahrenen Arztes.

Report: Anja Behringer

In der Koloskopie erlaubt das Weitwinkel- und „Full-Spektrum“-Endoskop Blicke hinter Falten und Flexuren, aber die Detektionsrate liegt erfahrungsgemäß bei etwa 68 Prozent. „In der Vorsorge findet man mindestens 30 Prozent der Polypen nicht“, gab ein erfahrener Operateur an. Bereits in den 90er Jahren gab es Wirbel um die stereoskopische Bildgebung, der jedoch aufgrund der damals noch unzulänglichen Visualisierungstechnik bald abflaute. Doch die deutlich verbesserte Qualität der heutigen Bildgebungssysteme lässt wieder hoffen, denn sie gilt den aktuellen 2D-Displaysystemen jetzt als mindestens ebenbürtig. Um zu überprüfen, ob es einen messbaren Mehrwert von 3D-Bildern beim Anwender gibt, führte die Forschungsgruppe MITI an der Chirurgischen Klinik und Poliklinik der Technischen Universität München unter Leitung von Prof. Hubertus Feußner eine prospektive klinische Studie durch. Die neuesten 3D-Systeme wurden mit einem High-End-2D-Monitorsystem in der Laparoskopie verglichen.

Dazu hatte die European Hospital drei Fragen an Professor Feußner. Zunächst, warum denn die vielversprechenden Ansätze von vor zwanzig Jahren nicht weiter verfolgt wurden. Feußner: „Die technische Qualität der Stereoskopie war damals längst nicht so gut wie heute. Das verschwommene Sehen führte zu Müdigkeit und Kopfschmerzen bei den Operateuren, die Monitor-Brillen verursachten Übelkeit.“

Nicht jeder kann stereoskopisch sehen

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Prof. Dr. Hubertus Feußner

In der Studie wurde insbesondere der Unterschied von Ärzten mit wenig Operationserfahrung gegenüber Experten mit langjähriger OP-Praxis verglichen. „Allerdings“, schränkt Feußner gleich ein, „5 Prozent der Menschen können nicht stereoskopisch sehen.“  Auch heute noch ist dreidimensionales Sehen anstrengend, und man muss sich daran gewöhnen. Trotzdem klagte kein Studienteilnehmer über visuelle Beeinträchtigungen oder Missempfindungen, auch nicht beim brillenbasierten 3D-System gegenüber dem 2D-Display.

Welche Ergebnisse hat die Studie noch erbracht? „Die wohl überraschendste Erkenntnis ist, dass auch erfahrene Experten von der Visualisierung profitierten, obwohl sie es subjektiv nicht wahrnahmen. Wir konnten die Leistungssteigerung aber objektiv nachweisen.“ Wenn sich diese Erkenntnisse zukünftig durchsetzen, wird 3D zumindest in der Laparoskopie Standard werden, kann sich der Chirurg vorstellen.

Auf die Frage nach weiteren Einsatzbereichen der Technik erwähnt er die ersten Ansätze in der anspruchsvollen interventionellen endoskopischen Manipulation der Gastroenterologie. „Theoretisch sind unsere Erkenntnisse auch hierin übertragbar. Einschränkend ist jedoch, dass die technischen Anforderungen an ein 3D-System in der endoluminalen Endoskopie aufgrund ihrer deutlich geringeren räumlichen Tiefe noch einmal entsprechend höher sind als in der laparoskopischen Chirurgie“, betont Professor Feußner. Dennoch hält er experimentelle und klinische Studien zum Thema auch für die Gastroenterologie für sinnvoll.


Profil:
Prof. Dr. Hubertus Feußner hat Medizinstudium an der Philipps – Universität Marburg studiert und dort auch seine Promotion abgelegt. Seine Facharztausbildung absolvierte er in Kassel, Bad Kissingen und an der TU München. Er gilt als Pionier der minimal-invasiven Chirurgie mit dem Schwerpunkt Viszeralmedizin. Er ist Gründer und Leiter der seit 1999 bestehenden interdisziplinären Forschergruppe „Minimalinvasive interdisziplinäre therapeutische Intervention“ (Institut MITI). Er hat maßgebliche Arbeiten auf dem Gebiet der Medizingerätetechnik und der laparoskopischen und narbenlosen Chirurgie veröffentlicht.

22.08.2016

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