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Integrierte Diagnostik: Der Mensch im Isozentrum
Diagnostik besteht heute nicht mehr allein aus Radiologie, Labormedizin oder Pathologie, sondern findet als enge interdisziplinäre Zusammenarbeit statt, für die sich der Begriff „integrierte Diagnostik“ herausgeschält hat.
Für den Patienten, um den es ja letztendlich geht, ist es bedeutungslos, zu welchen Fächern jene Methoden gehören, mit denen seine Erkrankung untersucht und beurteilt wird. Dem entspricht auch das Motto des 19. CT-Symposiums Garmisch: „CT Innovationen – der Mensch im Isozentrum“.
Prof. Dr. Jens Ricke, Direktor der Klinik und Poliklinik für Radiologie am Klinikum der Universität München, hat gemeinsam mit Prof. Dr. Andrea G. Rockall (Department of Radiology, Imperial College London), Prof. Dr. Dr. h.c. Maximilian F. Reiser (Klinik und Poliklinik für Radiologie Klinikum der Universität München) und Prof. Dr. Valérie Vilgrain (Department of Radiology, University Beaujon Hospital, Clichy) die wissenschaftliche Leitung des Symposiums inne. Im Folgenden erläutert er das Konzept der integrierten Diagnostik und macht sich persönliche Gedanken über die Zukunft der Radiologie: Wie wird sich das Fach angesichts der Konkurrenz durch funktionelle Bildgebung, Biomarker und Liquid Biopsy sowie mit Blick auf den Einzug der Künstlichen Intelligenz positionieren (müssen)?
„Beispiele für außergewöhnliche medizinische Fortschritte der letzten Jahre sind hämatologische Erkrankungen oder auch die personalisierte Therapie des Bronchialkarzinoms. Der Fortschritt in der Hämatologie mit fantastischen Ansprech- und Heilungsraten ist in weiten Teilen dadurch erklärlich, dass es leicht ist, Blut abzunehmen, um auf diese Weise an die ursprünglichen Tumorzellen zu kommen und tiefgehende Analysen zur Pathogenese durchzuführen: das Wort der Stunde sind Hochdurchsatz-DNA-Sequenzierungen. Etwas später, aber in gleicher Weise sind die enormen Erfolge durch personalisierte Medizin beim Bronchialkarzinom entstanden, weil die beteiligten Ärztinnen und Ärzte sehr früh begonnen haben, mittels Bronchoskopien Gewebe zu gewinnen und insbesondere Mutationsanalysen auf der Suche nach geeigneten Biomarkern durchzuführen. Dies geht weit über das klassische histologische Bild hinaus – und gleichfalls weit über die klassische Ausbreitungsdiagnostik, wie wir sie in der Radiologie kennen und beherrschen.
Hochkomplexe diagnostische Puzzleteile erfordern interdisziplinäre Zusammenarbeit
Integrierte Diagnostik („integrated diagnostics“) lautet der Schlüsselbegriff. Darunter ist im Grunde ein Bündel an diagnostischen Schritten zu verstehen, die schließlich zu einer interdisziplinären Diskussion über das bestmögliche therapeutische Vorgehen führen. Noch handelt es sich eher um einzelne, dafür hochkomplexe Puzzlestücke, die erst zusammengeführt werden müssen. Die Grundvoraussetzungen dafür liegen auf der Ebene des Managements: eine intelligente Verwaltung, eine passende IT-Infrastruktur und der richtige Umgang der Ärzte untereinander bilden die Basis. Entscheidend ist die Integration der unterschiedlichen diagnostischen Methoden. Ich spreche lieber von Methoden als von Fächern, weil die integrierte Diagnostik die Fächergrenzen zwar nicht aufheben, aber deutlich fließender machen wird – ein wichtiger Teilaspekt, der vielleicht unterschätzt wird.
In der Krebsmedizin mit ihren Tumorkonferenzen funktioniert diese Integration am offensichtlichsten – die Onkologie ist gewissermaßen Vorreiter der interdisziplinären Disziplin. Alles beginnt mit dem klinischen Befinden des Patienten, seinen Komorbiditäten, seinem Alter, seinem Gesamtzustand und den psychosozialen Faktoren. Dazu kommen dann die Ausbreitungsdiagnostik, das Genexpressionsmuster und multiple Biomarker. Aus all diesen Aspekten zusammen resultiert eine Empfehlung, die schließlich in der Tumorkonferenz interdisziplinär aufgearbeitet wird.
Multiple Mutationen rücken ins Blickfeld
Die Ausbreitungsdiagnostik ist momentan noch eine Domäne der CT und PET/CT. Gerade für Verlaufskontrollen wird in Zukunft Liquid Biopsy, also die Gewinnung von Tumor-DNA aus dem Blut und deren genetische Untersuchung, eine größere Rolle spielen. Aktuelle Diskussionen zu Studienkonzepten in der EORTC konzentrieren sich bei Liquid Biopsy schon nicht mehr auf die Prognose als Studienendpunkt, also beispielsweise die Bedeutung zunehmender Tumor-DNA für das Überleben, sondern gleich auf Prädiktion: wie hoch ist die Ansprechwahrscheinlichkeit einer bestimmten Therapie basierend auf Liquid Biopsy-Informationen? Die Erkenntnis, dass Tumoren im Laufe ihrer Entwicklung eine Reihe genetischer Mutationen durchmachen, hat die wiederholte Erhebung des Mutationsstatus in Diskussion gebracht. Übrigens beantwortet die Liquid Biopsy nur die Frage nach dem dominanten Klon; eine Klärung der Frage, ob mehrere Metastasen dem gleichen dominanten Klon entsprechen, ist Sache der Biopsie und zukünftig, meine große Überzeugung, von Radiomics, also der Analyse von quantitativen Merkmalen aus der morphologischen Bildgebung.
Die personalisierte Therapie ist wie jede systemische Chemotherapie auf die dominante Mutation des Tumors zugeschnitten. Diese Hauptmutation wird durch eine systemische Behandlung kleingehalten, bis eine oder mehrere neue Hauptmutationen auftreten – klonaler Selektionsdruck. Dank dieses multiplen Mutationsgebarens von Tumoren nehmen die Behandlungsmöglichkeiten eine ungeahnte Komplexität an. Während sich die medikamentöse Therapie auf die Hauptmutation konzentriert, werden jene Teile des Tumors, in denen eine andere Mutation vorherrscht, lokal ablativ, chirurgisch oder radiotherapeutisch behandelt. Das ist keine Zukunftsmusik, sondern bereits Realität zumindest in aktuellen Studienformaten. Der nächste Schritt führt eindeutig in Richtung Konzentration auf klonale Heterogenität.
Der Stellenwert der bildgeführten Biopsie und der Liquid Biopsy wird in der Onkologie zweifellos dramatisch wachsen. Ich glaube nicht, dass aufgrund dieser Entwicklung die Bedeutung der klassischen diagnostischen Radiologie zurückgeht. Im Gegenteil werden neue Instrumente wie Radiomics der radiologischen Bildgebung auch künftig außerordentliches Gewicht verleihen – ganz abgesehen davon, dass die klassische Ausbreitungsdiagnostik unverzichtbar bleiben wird. Ich mache mir um das Fach überhaupt keine Sorgen – die beste Zeit kommt erst noch!
Die Zukunft: Maschinelle Effizienz und menschliche Emotion
Weil ein einzelner Mensch mit dem exponentiellen Wachstum des medizinischen Wissens unmöglich Schritt halten kann, wird auf diesem Gebiet wohl Künstliche Intelligenz (KI) zum Einsatz kommen
Jens Ricke
Die größte Herausforderung bei der integrierten Diagnostik ist die Trennung der wichtigen von der unwichtigen Information. Es geht darum, aus dem Gesamtbild der Information das störende Rauschen herauszubringen, das den Blick auf die wichtigen Inhalte verstellt – eine Metapher, die wohl jeder Radiologe nur allzu gut versteht. Überdies muss die Fülle an Information mit dem letzten Stand der Wissenschaft abgeglichen werden. Weil ein einzelner Mensch mit dem exponentiellen Wachstum des medizinischen Wissens unmöglich Schritt halten kann, wird auf diesem Gebiet wohl Künstliche Intelligenz (KI) zum Einsatz kommen. Um das Rauschen aus dem Gesamtbild herauszubekommen, ist Software eine sehr willkommene Unterstützung. Ob diese Programme tatsächlich alle selbstlernend und damit KI sein müssen, wird die Zukunft zeigen.
KI kann Radiologen auch an anderen Stellen unter die Arme greifen: sie kann komplexe Information strukturieren und Entscheidungsoptionen erarbeiten. Denn die ärztliche Tätigkeit ist ja häufig dadurch gekennzeichnet, unter mehreren Optionen die beste auszuwählen und danach zu handeln. Dass KI die Ärzte künftig überflüssig machen könnte, halte ich für einen Mythos – das Gegenteil ist der Fall. Eine ausschließlich evidenz- und KI-getriebene Medizin kann nicht das Ziel sein: die emotionale, die psychosoziale Seite des Menschen wird in der Medizin immer unverzichtbarer, um die reine mathematische Evidenz auf den Boden der Humanitas zurückzuholen.“
23.01.2020