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Artikel • Weniger Organe, weniger Experten

Hat die Transplantationsmedizin in Deutschland eine Zukunft?

„Wollen wir eine Transplantationsmedizin, und wenn ja, was sind wir bereit politisch, gesellschaftlich und medizinisch dafür zu ändern?“ Diese Frage kennzeichnet die aktuelle Situation dieser medizinischen Disziplin. Seit dem Transplantationsskandal 2011 ist laut der Deutschen Stiftung für Organtransplantation (DSO) ein stetiger Rückgang an Organspenden zu verzeichnen.

Bericht: Anja Behringer

Waren es in den Jahren 2006 bis 2011 immer rund 1200 Spender pro Jahr, sank die Anzahl an Organspenden danach stetig auf knappe 800 in 2017. Die Gründe sind vielfältig. Sicherlich spielt ein deutlicher Image- und Vertrauensverlust der deutschen Transplantationsmedizin eine Rolle, es sind aber auch gesundheitspolitische und gesellschaftliche Strukturverbesserungen nötig: Trotz Maßnahmen zur Transparenz und Qualitätssicherung im Transplantationswesen wie zum Beispiel der verpflichtenden interdisziplinären Fallbesprechung in der Transplantationskonferenz vor einer Transplantation und einer neu eingeführten zentralen Meldestelle bei der Bundesärztekammer wurden laut der Deutschen Stiftung für Organtransplantation im Jahre 2017 so wenig Organe wie zuletzt 2002 transplantiert.

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Prof Dr Jörg C. Kalff ist Stellvertretender Ärztlicher Direktor und Direktor der Klinik und Poliklinik für Allgemein-, Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie am Universitätsklinikum Bonn.

Dabei warten rund 10000 Patienten auf ein Spenderorgan. Die Diskussion um die sogenannte Widerspruchslösung, die Bundesgesundheitsminister Jens Spahn für einen neuen Gesetzentwurf zur Organspende angestoßen hat, sorgt für mediale Aufmerksamkeit. Allerdings ist das Konzept nicht neu, gibt es die Widerspruchslösung in vielen europäischen Ländern doch bereits seit langem: Wo die Widerspruchslösung gilt muss man nach gesellschaftlichem Konsens zu Lebzeiten aktiv einer potentiellen Organspende widersprechen, wenn man eine solche ablehnt. Geschieht dies nicht, könnten prinzipiell Organe zur Transplantation entnommen werden. Allerdings geschieht dies in den meisten Ländern ohnehin nicht ohne die Zustimmung der Angehörigen. Diese „doppelte Widerspruchslösung“ wird beispielsweise auch in Spanien angewendet. Dort kommen seit Jahren jährlich 47 Spender auf 1 Million Einwohner, womit das Land Spitzenreiter in Europa ist. Deutschland steht mit 9 Spendern pro Million Einwohner eher am Ende der Aufstellung.

Laut Professor Dr. Jörg C. Kalff, Präsident der deutschen Gesellschaft für Allgemein,- und Viszeralchirurgie (DGAV) und Direktor der Bonner Universitätsklinik für Allgemein-, Viszeral-, Gefäß- und Thoraxchirurgie ist die aktuelle Debatte sehr begrüßenswert. Dennoch wird eine Einführung der Widerspruchslösung – doppelt oder einfach – so sinnvoll sie auch ist, vermutlich nicht isoliert automatisch höhere Spenderzahlen erbringen können. Es bestehen in Deutschland nämlich laut einer Studie im deutschen Ärzteblatt auch Probleme mit der Meldung potentieller Organspender und der Spenderrealisierung.

Die Mithilfe bei Organspende und -transplantation darf kein Verlustgeschäft für die Entnahmekrankenhäuser sein, sonst wird sich eine höhere Meldequote in Zeiten von Ökonomisierungszwängen nicht realisieren lassen

Jörg C. Kalff

Denn der ökonomische Druck auf vor allem kleine Krankenhäuser ist hoch, sollen sie doch alle potentiellen Spender identifizieren und bei der DSO melden. Dafür müssen sie jedoch speziell geschulte Transplantationsbeauftragte beschäftigen und die Sensibilität und Bereitschaft zu einer Organspende beizutragen muss auch beim medizinischen Personal entsprechend hoch sein. Wenn die identifizierten potentiellen Organspender dann nach einem gesetzlich genau vorgeschriebenen Prozess (Stichwort Hirntoddiagnostik) tatsächlich realisiert werden sollen (d.h. eine Einwilligung vorliegt und keine medizinischen Gründe gegen eine Organspende sprechen) müssen die Entnahmekrankenhäuser OP- sowie Intensiv-Kapazität zu hohen Kosten vorhalten. Wie Kalff ausführt: „Die Mithilfe bei Organspende und -transplantation darf kein Verlustgeschäft für die Entnahmekrankenhäuser sein, sonst wird sich eine höhere Meldequote in Zeiten von Ökonomisierungszwängen nicht realisieren lassen. Dort, wo im Umfeld des zunehmenden wirtschaftlichen Druckes Fehlanreize bestehen und Kliniken sich aus ökonomischen Gründen nicht (mehr) an Organtransplantationen beteiligen, müssen diese systembedingten Probleme behoben werden. Eine angepasste Vergütung der Entnahmekrankenhäuser kann hier jedoch nur eine Maßnahme sein.“ Dies hat auch die Politik erkannt, folglich ist daher auch die Stärkung der Transplantationsbeauftragten und eine angepasste Vergütung der Entnahmekrankenhäuser ein Teil des nun vom BGM vorgelegten Gesetzentwurfes.

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Nicht nur Organe fehlen, sondern auch Chirurgen

Es bleibt jedoch noch ein bislang eventuell unterschätztes Systemproblem: der fehlende chirurgische Nachwuchs. Denn der Beruf des qualifizierten Transplantationschirurgen ist unattraktiv geworden. Die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie warnte schon vor zwei Jahren. Auf dem Viszeralmedizin-Kongress im September 2018 wurden die Auswirkungen des Nachwuchsmangels für diese Hightech-Medizin noch stärker thematisiert.

Die Tätigkeit in der Transplantationsmedizin ist durch höchste Subspezialisierung geprägt – sowohl bei der chirurgischen Technik (dies bereits bei der Organentnahme), als auch bei der Patientenbetreuung vor und nach der Transplantation. „Waren es bis vor einigen Jahren noch zehn Entnahme-Operationen, so sind heutzutage beispielsweise 25 assistierte Organ-Entnahme-Operationen nötig, bis man als selbstständiger Entnahmechirurg für die DSO tätig sein kann.“ berichtete Kalff. Für junge Chirurgen ist es aufgrund sinkender Organspenden- und Transplantationen immer schwieriger die für eine gute Expertise nötigen Eingriffszahlen zu erreichen.

Galt die Transplantationschirurgie noch vor wenigen Jahren als schwierige aber prestigeträchtige „Königsdisziplin“ unter den Viszeralchirurgen, ist sie heute aufgrund der ständigen Verfügbarkeit der Operateure, wenig planbaren Operationen, Bindung an große Zentren, eventuell auch bisweilen negativen Rezeption in der Öffentlichkeit und möglicher rechtlicher Fallstricke zunehmend unbeliebt. So hat beispielsweise die Anzahl der selbstständig verantwortlich für die DSO tätigen Entnahmechirurgen von 2013 bis 2017 um nahezu 18 Prozent abgenommen (Pressestelle DSO). Eine eigene Schwerpunktausbildung zum „Transplantationsmediziner“ oder „Transplantationschirurgen“, wie sie im Ausland selbstverständlich ist, existiert in Deutschland bislang nicht. Wichtig ist es daher, betont Professor Kalff, mehr denn je Medizinstudenten und Pflege- sowie ärztliches Personal in Richtung Organtransplantation zu schulen und die Akzeptanz der Transplantationsmedizin in der Gesellschaft weiter zu stärken. 

Die DGAV hat zur Förderung der Ausbildung von jungen Transplantationschirurgen bereits eine Kommission ins Leben gerufen. Eine gute Nachricht für die Patienten die dringend auf ein Organ warten: Die DSO vermeldet einen leichten Anstieg der Spenderzahlen und Transplantationen für das erste Halbjahr 2018 im Vergleich zum Vorjahr.


Profil:

Prof Dr Jörg C. Kalff ist Stellvertretender Ärztlicher Direktor und Direktor der Klinik und Poliklinik für Allgemein-, Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie am Universitätsklinikum Bonn und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV). Im Laufe seiner bisherigen Karriere ist Prof. Kalff bereits mehrfach in den USA tätig gewesen, unter anderem in Washington, DC, und Pittsburgh, PA.

18.12.2018

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