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Gehirnaneurysma: Behandlung durch das Gefäßsystem
Die endovaskuläre Behandlung ist auf dem besten Weg, die Therapie der Wahl bei Gehirnaneurysmen zu werden. In Augsburg ist sie das bereits.
Bericht: Michael Krassnitzer
„Bei uns ist die Behandlung von Hirnaneurysmen über das Gefäßsystem die Therapie der Wahl“, bekräftigt Prof. Dr. Ansgar Berlis, Chefarzt für Diagnostische und Interventionelle Neuroradiologie an der Klinik für Diagnostische Radiologie und Neuroradiologie des Klinikums Augsburg. 95 Prozent aller Hirnaneurysmen werden in der drittgrößten Stadt Bayerns endovaskulär behandelt. Die Ausnahme sind jene Aneurysmen, die mit einer Massenblutung einhergehen und die ohne operative Behandlung aufgrund der Raumforderung zum Tod des Patienten führen würden.
Bundesweit liegt die Quote nicht so hoch. Im Jahr 2010 wurden in Deutschland zwei Drittel der Hirnaneurysmen durch das Gefäßsystem, ein Drittel offen operativ behandelt. „Aktuell muss ist davon auszugehen, dass 80 % der Hirnaneurysmen durch das Gefäßsystem behandelt und 20 % offen operiert werden“, erläutert Berlis. Dies sei ist von Haus zu Haus unterschiedlich: „Es gibt noch Häuser, wo das Verhältnis fifty-fifty beträgt. Das liegt daran, dass es dort nach wie vor exzellente Operateure gibt, die diese Erkrankung ohne größere Komplikationen behandeln können.“ Dabei lässt Berlis durchblicken, dass sich dies wohl im Lauf der Zeit ändern werde: „Die neurochirurgische Behandlung ist anspruchsvoller als die Behandlung durch das Gefäßsystem, die vergleichsweise einfacher zu erlernen ist.“
Bis zu Beginn der 2000er Jahre war das operative Verfahren, bei dem der Schädel geöffnet und das Aneurysma mit einer Federklemme abgeklemmt wird („Clipping“), die Behandlung der Wahl bei Hirnaneurysmen. Mit der 2002 publizierten ISAT-Studie hat sich die Therapie jener Aussackungen, die sich in der Regel an Teilungsstellen von Hirnarterien im Laufe der Zeit durch die stete Belastung bilden können, geändert. Seither ist bei gebluteten Aneurysmen die Behandlung durch das Gefäßsystem die Methode der Wahl, weil sich die Ergebnisse als besser im Vergleich zur Operation erwiesen. „In den letzten 15 Jahren hat sich dieses Verfahren auch auf nicht rupturierte Aneurysmen übertragen“, so Berlis: „In letzter Zeit sind so viele neue Möglichkeiten hinzugekommen, dass man getrost sagen kann: Es gibt kein Hirnaneurysma, das sich nicht durch das Gefäßsystem behandeln lässt.“
So können wir natürlich viel besser und schneller reagieren, wenn es zu einer Komplikation kommt, etwa wenn das Aneurysma während der Behandlung platzt
Ansgar Berlis
Die Gründe dafür sind vielfältig. Einer ist der Einsatz von Blutverdünnungsmedikamenten, um das Risiko einer Thrombusbildung und damit eines Schlaganfalls zu reduzieren. Ein anderer Grund sind die neuen und immer kleineren Materialien, die eine viel schnellere Ablösung der verschiedenen zum Einsatz kommenden Implantate (Platinspiralen, Stents, Flow-Diverter) von kleinen flexiblen Kathetern ermöglichen. In den 1990er Jahren dauerte der Ablösungsprozess einer Coil noch bis zu 90 Minuten, heute braucht eine Platinspirale zwei bis drei Sekunden, um sich vom Einführdraht zu lösen. „So können wir natürlich viel besser und schneller reagieren, wenn es zu einer Komplikation kommt, etwa wenn das Aneurysma während der Behandlung platzt“, sagt Berlis.
Auch ist die endovaskuläre Intervention mit einem wesentlich kürzeren stationären Aufenthalt verbunden. Nach einer offenen Operation verbringt der Patient in der Regel ein bis zwei Tage auf der Intensiv-, dann mindestens eine Woche auf der Normalstation und muss häufig direkt im Anschluss eine Rehabilitation absolvieren. Anders bei der Behandlung durch das Gefäßsystem: „In Augsburg kommen die Patienten nicht einmal auf die Intensivstation, sondern über den Aufwachraum auf die Normalstation“, betont der Neuroradiologe: „Drei Tag später werden sie nach Hause entlassen. Prinzipiell können sie anschließend wieder arbeiten gehen.“
Die neuesten Errungenschaften bei der Behandlung von Hirnaneurysmen sind intravasale und intraaneurysmale Flow-Diverter (WEB) sowie beschichtete Platinspiralen. Der Flow-Diverter ist ein engmaschiger, strumpfartiger Stent, den man über das Aneurysma legt. Dank des neuen WEB-Embolisations-Systems (Woven EndoBridge) wird das Aneurysma mit einem selbstausdehnenden Flow-Diverter in Körbchenform ausgekleidet. Die klassische Therapie ist jedoch nach wie vor, das Aneurysma mit Platinspiralen auszustopfen. Neuerdings gibt es bioaktiv beschichtete oder mit Hydrogel beschichtete Spiralen, die sich nach der Platzierung durch Quellung noch um bis zu zehn Prozent ausdehnen. Die aktuell veröffentlichte GREAT-Studie, an der das Klinikum Augsburg beteiligt war, hat gezeigt, dass durch dem Einsatz von mit Hydrogel beschichtete Spiralen die Ergebnisse im Vergleich zu gewöhnlichen Platinspiralen noch weiter verbessert und die Komplikationsraten noch weiter gesenkt werden können.
Profil:
Prof. Dr. Ansgar Berlis ist seit Mai 2008 Chefarzt für Diagnostische und Interventionelle Neuroradiologie an der Klinik für Diagnostische Radiologie und Neuroradiologie des Klinikums Augsburg. Das Spezialgebiet des Neuroradiologen sind neben der Aneurysmabehandlung endovaskuläre Rekanalisationsverfahren bei der Behandlung des akuten Schlaganfalls, worüber er sich auch habilitiert hat. Er betreute und betreut eine Reihe internationaler, prospektiver, multizentrischer, klinischer Studien, die unter anderem Aneurysmen, Gefäßfehlbildungen und den Schlaganfall zum Thema haben. Berlis ist u.a. aktuell Vizepräsident und war bis 2017 Präsident des Berufsverbandes Deutscher Neuroradiologen (BDNR). Zusammen mit seinem radiologischen Chefarztkollegen Prof. Dr. Thomas Kröncke, MBA ist er in diesem Jahr Kongresspräsident der Jahrestagung der Bayerischen Röntgengesellschaft.
Veranstaltungshinweis:
Samstag, 29. September 2018, 09:20 – 09:40
Raum: Tesla-Saal
Session: Symposium 12 – Refresher Course: Interventionen (Modul F)
Endovaskuläre AVF und AVM Behandlung
Prof. Dr. Ansgar Berlis (Augsburg)
27.09.2018