Tag gegen den Schlaganfall: Expertise gegen Hirnschäden

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News • Zahl mechanischer Thrombektomien steigt weiter

Tag gegen den Schlaganfall: Expertise gegen Hirnschäden

Deutschland ist bei der Akutversorgung nach einem ischämischen Schlaganfall hervorragend aufgestellt. „Wir haben hierzulande eine der besten flächendeckenden Versorgungen beim akuten ischämischen Schlaganfall“, erklärt Professor Dr. Peter Schramm, Neuroradiologe am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck, anlässlich des heutigen Tags gegen den Schlaganfall.

Gemeinsam mit der Deutschen Röntgengesellschaft (DRG) sowie der Deutschen Gesellschaft für Interventionelle Radiologie und Minimalinvasive Therapie (DeGIR) veröffentlichte die Deutsche Gesellschaft für Neuroradiologie (DGNR) in diesen Wochen die Behandlungszahlen des DeGIR-/DGNR-Interventionsregisters 2022. Demnach wurde für das abgelaufene Jahr die interventionelle Behandlung von 16.475 akuten ischämischen Schlaganfällen mittels mechanischer Thrombektomie dokumentiert. Damit haben sich die Zahlen der dokumentierten Eingriffe dieser in der Neuroradiologie entwickelten Behandlungsmethode in Deutschland in den vergangenen fünf Jahren nahezu verdoppelt, so Prof. Schramm, Incoming President der DGNR und einer der wissenschaftlichen Koordinatoren der Datenbank.  Auch die Zahl der Zentren, in denen diese hochspezialisierte Leistung erbracht werden, ist gestiegen und liegt aktuell bei 98 Kliniken im gesamten Bundesgebiet. 

Selbst Patienten mit schwerem Schlaganfall durch Verschlüsse großer intrakranieller Arterien profitieren teilweise bis zu 24 Stunden nach Symptombeginn noch von der mechanischen Entfernung des Gerinnsels

Peter Schramm

„Mehr als 85 Prozent aller jährlich auftretenden rund 270.000 Schlaganfälle in Deutschland werden durch ein Blutgerinnsel (Thrombus) verursacht, welches ein Blutgefäß im Gehirn verschließt“, so Prof. Schramm. Man spricht dann von einem ischämischen Schlaganfall. Die Folge ist, dass Teile des Gehirns nicht mehr ausreichend mit Blut versorgt werden und damit Sauerstoff und wichtige Nährstoffe in diesen Regionen nicht mehr ausreichend zur Verfügung stehen. Seit dem Jahr 2015 ist die Wiedereröffnung eines größeren verschlossenen Hirngefäßes mit Hilfe der sogenannten mechanischen Thrombektomie wissenschaftlich nachgewiesener Goldstandard bei der Behandlung schwerer ischämischer Schlaganfälle. „Dabei schieben spezialisierte (Neuro-)Radiolog*innen von der Leiste aus einen Katheter bis an die Stelle des Gehirns, wo das Blutgerinnsel eine Arterie blockiert“, erklärt Prof. Schramm. Mithilfe minimal-invasiver Techniken und kleinster Instrumente kann der Thrombus dann geborgen und über spezielle Katheter abgesaugt (aspiriert) werden. Die (Neuro-)Radiologen orientieren sich während des Eingriffs in den Gehirngefäßen mithilfe der Angiografie, einer Röntgendurchleuchtungstechnik, die nach Gabe von Kontrastmittel die Gefäße sichtbar macht. 

Weiteren Auftrieb bekam die minimalinvasive Behandlung zuletzt durch zwei Studien, die zeitgleich im Februar dieses Jahres im The New England Journal of Medicine veröffentlicht wurden.1,2 „Beide Arbeiten mit jeweils 352 bzw. 456 eingeschlossenen Patienten konnten eindrucksvoll belegen, dass selbst Patienten mit schwerem Schlaganfall durch Verschlüsse großer intrakranieller Arterien teilweise bis zu 24 Stunden nach Symptombeginn noch von der mechanischen Entfernung des Gerinnsels profitieren“, so Prof. Schramm. Trotzdem gilt generell: Je früher das verschlossene Blutgefäß wieder eröffnet werden kann, um so wahrscheinlicher ist es, dass die Betroffenen vollständig und ohne bleibende Beeinträchtigungen genesen.

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Eine große Bedeutung für den Erfolg der mechanischen Thrombektomie hat die strukturierte Fortbildung der behandelnden Ärzte. „Die Arbeit mit minimalinvasiven Katheter-Techniken im Inneren des Gehirns erfordert sehr viel Erfahrung und Fingerspitzengefühl“, so Prof. Schramm. Um die minimalinvasive Behandlung von Schlaganfallpatienten auf bestmöglichem Niveau sicherzustellen, ist nicht nur eine ausreichende Anzahl an Neuroradiologen erforderlich, sondern vor allem muss die spezifische Expertise für diese gefäßeröffnenden Maßnahmen der hirnversorgenden Gefäße sichergestellt sein. „Um dieses zu gewährleisten, haben die Fachgesellschaften DGNR, DeGIR und DRG eine Zertifizierung für die neurointerventionelle Schlaganfallbehandlung etabliert“, berichtet Prof. Schramm. Seit dem Aufbau des Programms bis einschließlich März 2023 konnten über 370 Fachärzte zertifiziert werden. Erforderlich für den Erwerb des Zertifikats für Schlaganfallbehandlungen ist der Facharzttitel Radiologie, der Nachweis über mindestens 100 erfolgreich durchgeführte minimalinvasive Behandlungen an den Gefäßen im Kopfbereich und der Besuch verschiedener Fortbildungsveranstaltungen. Am Ende steht ein schriftliches Prüfungsverfahren. 

Wichtig zu betonen ist es Prof. Schramm darüber hinaus, dass die mechanische Thrombektomie in die Hände von hierfür speziell ausgebildeten Radiologen und Neuroradiologen gehört, denn diese Facharztrichtungen verfügen über das notwendige pathophysiologische und technische Wissen, das zur erfolgreichen Anwendung dieses minimalinvasiven Verfahrens in Hirngefäßen notwendig ist. Zudem muss die Thrombektomie in das flächendeckende Netzwerk zertifizierter Stroke Units eingebunden sein. „Nur in diesen Strukturen ist es möglich, die Sterblichkeit beim schweren Schlaganfall weiter zu senken und das Behandlungsergebnis für Patientinnen und Patienten zu verbessern“, erklärt Prof. Schramm. 

  1. Sarraj et al.: Trial of Endovascular Thrombectomy for Large Ischemic Strokes; New England Journal of Medicine 2023
  2. Huo et al.: Trial of Endovascular Therapy for Acute Ischemic Stroke with Large Infarct; New England Journal of Medicine 2023


Quelle: Deutsche Röntgengesellschaft

10.05.2023

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