Foto: Eberhardt/Uni Ulm
News • Antivirales Potenzial von Remdesivir & Co.
Forscher untersuchen Covid-Medikamente im "Mini-Darm"
Zu Beginn der Coronavirus-Pandemie galt Covid-19 als reine Atemwegserkrankung mit Symptomen von Husten bis zur Lungenentzündung. Doch mittlerweile sind ganz andere Krankheitszeichen bekannt, darunter Übelkeit und Durchfall.
Solche Auswirkungen auf den Magen-Darmtrakt weisen sogar auf einen schweren Verlauf hin. Molekulare Einblicke in den Infektionsvorgang mit SARS-CoV-2 im Darmmodell gibt eine Studie, die jetzt im Fachjournal „Cellular and Molecular Gastroenterology and Hepatology“ erschienen ist. Anhand von „Minidärmen“ aus Stammzellen haben die Autoren der Ulmer Universitätsmedizin zudem das antivirale Potenzial von Medikamenten wie Remdesivir im Verdauungstrakt untersucht.
Bei der Erforschung von COVID-19 stand zunächst die Lunge im Vordergrund, denn etwa 20 Prozent der Erkrankten entwickeln eine schwere, womöglich tödliche Lungenentzündung. Allerdings vermehrt sich das neuartige Coronavirus (SARS-CoV-2) in vielen weiteren Organen. Etwa die Hälfte der Patienten zeigen zum Beispiel Symptome des Magen-Darmtrakts wie Durchfall oder Übelkeit – darunter sind viele schwer Erkrankte.
In diesem Zusammenhang fiel auf, dass die Viruslast im Stuhl von Infizierten besonders hoch ist. Auch noch Tage nach einem negativen Corona-Testergebnis mittels Nasen-Rachenabstrich ist der Erreger in Stuhlproben nachweisbar. Daher sollten künftige Behandlungsstrategien gegen SARS-CoV-2 auch im Magen-Darmtrakt wirksam sein.
Die molekularen Vorgänge bei einer Coronavirus-Infektion im Magen-Darmtrakt hat eine Ulmer Forschergruppe um den Virologen Professor Jan Münch und den Gastroenterologen Professor Alexander Kleger untersucht. „Eine Infektion mit SARS-CoV-2 ist nur möglich, wenn der Rezeptor ACE2, an den das Virus andocken kann, sowie die Protease TMPRSS2 im Gewebe vorhanden sind. In gesundem Darm haben wir diese Proteine durchgehend und besonders häufig im Zwölffingerdarm gefunden“, erklärt Professor Jan Münch vom Institut für Molekulare Virologie des Universitätsklinikums Ulm.
Im nächsten Schritt wollten die Forschenden herausfinden, welche Zellen des Verdauungstrakts genau mit SARS-CoV-2 infiziert werden können. Dafür nutzten sie so genannte Organoide, die aus embryonalen Stammzellen gezüchtet werden. „Diese ,Minidärme‘ aus dem Labor kommen dem menschlichen Dünndarm sehr nahe und verfügen über große Mengen der notwendigen Andockstellen“, ergänzt Dr. Sandra Heller, Biologin an der Universitätsklinik für Innere Medizin I. Die Forschenden haben diese Organoide dem neuartigen Coronavirus ausgesetzt und den Infektionsvorgang mit verschiedenen molekularbiologischen Methoden untersucht. „Tatsächlich sind die meisten Zelltypen, darunter auch hormonbildende Enteroendokrine Zellen und für die Immunabwehr wichtige Paneth-Zellen, mit SARS-CoV-2 infizierbar. Sie beginnen umgehend mit der Replikation, also mit der Herstellung neuer, infektiöser Viren. Eine Ausnahme bilden lediglich schleimproduzierende Becherzellen“, erklärt Erstautorin Jana Krüger, die gemeinsam mit den Virologen Rüdiger Groß, Dr. Janis Müller und Carina Conzelmann die wichtigsten Experimente der Arbeit durchgeführt hat.
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'Mini-Därme' spüren Schwachstellen von Darmkrebs auf
Darmkrebs zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass es große Unterschiede zwischen den Tumoren einzelner Patienten gibt – auf genetischer Ebene und daher auch beim Ansprechen auf die Therapie. Forscher des Deutschen Konsortiums für Translationale Krebsforschung (DKTK) haben eine Methode entwickelt, um diese Unterschiede besser identifizieren zu können.
Interessanterweise fällt die antivirale Wirksamkeit von Remdesivir im Minidarm erheblich geringer aus als in einfachen Darmzell-Kulturen
Alexander Kleger
Doch wie lässt sich das Infektionsgeschehen im Verdauungstrakt stoppen? Die Autoren haben verschiedene Medikamente an den infizierten Darm-Organoiden getestet. Als antiviral wirksam erwies sich Remdesivir: Ursprünglich für die Ebola-Behandlung entwickelt, blockiert der Wirkstoff die RNA-Polymerase und somit die Vermehrung von SARS-CoV-2. Darüber hinaus konnte das Peptid EK1 die Coronavirus-Infektion im Minidarm unterdrücken. Hierbei handelt es sich um einen so genannten Fusionsinhibitor, der das Eindringen des Virus in die Zelle verhindert. „Interessanterweise fällt die antivirale Wirksamkeit von Remdesivir im Minidarm erheblich geringer aus als in einfachen Darmzell-Kulturen. Diese Beobachtung untermauert die Notwendigkeit, antivirale Substanzen gegen SARS-CoV-2 in ausreichend komplexen Systemen zu testen“, ergänzt Heisenberg-Professor Alexander Kleger, Oberarzt an der Klinik für Innere Medizin I des Universitätsklinikums Ulm.
Die jetzt erschienene Studie liefert notwendige Details, um die Magen-Darmsymptomatik und die hohe Viruslast im Stuhl von COVID-19-Kranken zu erklären: Der Verdauungstrakt bietet SARS-CoV-2 ausreichend Andockstellen, um verschiedene Zelltypen zu infizieren, die wiederum neue Coronaviren herstellen. Der daraus resultierende Verlust spezialisierter Darmzellen kann zu Krankheitszeichen wie Durchfall und Übelkeit führen. Weiterhin ist es den Forschenden gelungen, Medikamente anhand von Darm-Organoiden zu testen: Über die Coronavirus-Forschung hinaus belegen diese Untersuchungen den Mehrwert dieser Minidärme.
Quelle: Universität Ulm
18.11.2020