News • Darmkrebs im Visier

Forscher entdecken Achillesferse von Tumorzellen

Darmkrebsstammzellen haben einen wunden Punkt: das Enzym Mll1. Wird es blockiert, entstehen keine neuen Tumore im Körper.

© AG W. Birchmeier, MDC

Dies hat nun ein Forscherteam am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) um Walter Birchmeier in Nature Communications gezeigt

Seitdem in Deutschland die Darmspiegelung zur Krebsfrüherkennung eingeführt wurde, sank die Zahl der jährlichen Krebsdiagnosen im fortgeschrittenen Stadium. Denn Krebsvorstufen können nun erkannt und im Rahmen der Untersuchung gleich entfernt werden. Die Sterblichkeit an Dickdarmkrebs ging dadurch zurück – bei Frauen um 26, bei Männern um 21 Prozent. Darmkrebs liegt dennoch auf Platz 4 der häufigsten Krebstodesursachen der westlichen Welt. Gleich hinter Lungen-, Prostata- und Brustkrebs. Das liegt daran, dass die langsam wachsenden Tumore sich erst im Spätstadium bemerkbar machen und deshalb häufig noch zu spät diagnostiziert werden. Die Überlebensrate bei fortgeschrittenem Darmkrebs liegt bei nur fünf Prozent.

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Expandierende Krebsstammzellen (grün) in einem Darmtumor mit onkogen aktiviertem Wnt/beta-Catenin Signalweg (rot)

© AG W. Birchmeier, MDC               

„Die Therapiechancen sind sehr gering – auch weil selbst nach erfolgreicher Chemotherapie der Krebs wiederkommt“, sagt Johanna Grinat, Erstautorin der Studie und Doktorandin aus der Arbeitsgruppe 'Signalvermittlung in Entwicklung und Krebsentstehung'. „Dann ist er häufig aggressiver als der ursprüngliche Tumor, wofür die Tumorstammzellen verantwortlich gemacht werden. Und diese haben wir uns genauer angesehen.“

Die Forschenden um Professor Walter Birchmeier haben mit Mll1 ein Protein identifiziert, das in der Maus und in menschlichen Darmkrebszellen Stammzellgene reguliert. In Mäusen haben sie genetisch die Bildung von Darmtumoren ausgelöst. Fehlt den Mäusen jedoch das Gen für Mll1, lassen sich keine Tumore induzieren. Und das scheint auch beim Menschen so zu sein: Humane Darmkrebszellkulturen, die das Team mit Tumorstammzellen angereichert hat, verloren einige Stammzelleigenschaften und verhielten sich weniger aggressiv, wenn Mll1 blockiert wurde. Zusammen mit Professor Eduard Batlle und Bioinformatikern am IRB in Barcelona zeigte die MDC-Gruppe anhand klinischer Daten, dass Darmkrebspatienten, deren Tumore eine große Menge des Proteins aufweisen eine schlechtere Prognose haben, als Patient*innen mit Tumoren und wenig Mll1.

Mit Mll1 haben wir einen molekularen Schalter gefunden, der insbesondere die Selbsterneuerung und Teilung von Tumorstammzellen der Darmkarzinome kontrolliert

Julian Heuberger

Mll1 ist ein Enzym, das an der DNA sitzt und die Expression bestimmter Gene kontrolliert, epigenetisch, wie die Forschenden sagen. „Dies tut es insbesondere in den Tumor-Stammzellen, in denen der Wnt-Signalweg stark aktiviert ist. Was bedeutet, dass wir durch seine Deaktivierung spezifisch Tumorstammzellen behandeln können“, erklärt Grinat.

Der Wnt-Signalweg reguliert die Selbsterneuerung und Zellteilung von Stammzellen. Treten Mutationen auf, die zu einer aktiveren Wnt-Signalkaskade führen, werden die betroffenen Stammzellen widerstandsfähiger als gesunde Stammzellen. Sie vermehren sich unkontrolliert und bilden Tumore. Eine Chemotherapie bremst zwar ihre Zellteilung, kann aber auch den Selektionsdruck auf Tumorstammzellen erhöhen: „Sie werden therapieresistent und bilden erneut Tumore, die nun aufgrund der Mutation stärker wachsen und deshalb so aggressiv sind“, sagt Dr. Julian Heuberger. Die Regulationsmechanismen speziell von Tumorstammzellen zu verstehen, sei deshalb so wichtig. Der Postdoktorand ist ebenfalls Erstautor sowie Leiter der Studie und arbeitet jetzt an der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt für Hepatologie und Gastroenterologie der Charité – Universitätsmedizin Berlin. „Mit Mll1 haben wir einen molekularen Schalter gefunden, der insbesondere die Selbsterneuerung und Teilung von Tumorstammzellen der Darmkarzinome kontrolliert.“

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News • Chromothripsis

"Explosion" im Krebsgenom viel häufiger als angenommen

Chromothripsis ist eine Form der Genominstabilität, bei der ein oder einige wenige Chromosomen in einem vermutlich einmaligen katastrophalen Ereignis geradezu „explodieren". Galt das Phänomen bislang als eher selten, so zeigten Wissenschaftler im Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) nun, dass Chromothripsis bei nahezu der Hälfte aller Tumoren nachweisbar ist.

Der genetische Knockout eines Gens wie bei der Maus ist im Menschen nicht möglich. In Mäusen kann man die Bildung von Tumorstammzellen über die Zeit verfolgen und es stehen immer genügend Stammzellen für Experimente zur Verfügung. Aber man könnte MII1 mit einem chemischen Medikament blockieren. Für Forschungszwecke wurden bereits entsprechende kleine Moleküle entwickelt, zum Beispiel die Inhibitoren MI-2 und MM-401. Sie binden an essentielle Partnermoleküle von Mll1 und inaktivieren dadurch seine Funktion. „Auf Grundlage der Wirkweise dieser Moleküle wird es möglich sein, diese und klinisch noch wirksamere Mll1-Inhibitoren zu entwickeln und zu testen“, sagt Birchmeier, der Letztautor der Studie ist.

Gesunde Stammzellen im Darm werden dabei offenbar nicht blockiert. „Wir konnten an einem anderen System, an Speicheldrüsenkrebszellen der Maus zeigen, dass Mll1 ausschließlich bei Tumor- und nicht bei gesunden Stammzellen wirksam ist,“ sagt Birchmeier. Das mache auch Hoffnung für die Therapie weiterer Krebsarten. Denn auch Kopf-Hals-Tumoren hätten die gleiche Achillesferse, wie Tiermodelle zeigten. „Auf Basis unserer Studien an der Maus laufen an der Uni-Klinik Düsseldorf klinische Studien, um Mll1-Inhibitoren für die Therapie von Kopf-Hals-Tumoren zu bewerten.“

Sollten sie erfolgreich sein, könnten Patienten mit Darmkrebs zusätzlich zur Chemotherapie mit Mll1-Inhibitoren behandelt werden, also Therapien, die spezifisch Tumorstammzellen behindern. Dadurch steigen die Chancen auf eine erfolgreiche Therapie – selbst bei fortgeschrittenem Darmkrebs.


Quelle: Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC)

22.12.2020

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