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Deutscher Interoperabilitätstag: Fachliche Expertise mit Fokus auf Kooperation

Am 8. Oktober 2018 findet der 3. Deutsche Interoperabilitätstag (DIT) in Berlin statt. Am 9. und 10. Oktober folgt die HL7/IHE-Jahrestagung. Beim Gipfeltreffen der Standardisierer diskutieren führende Persönlichkeiten aus Politik und Selbstverwaltung, Anwender im Gesundheitswesen sowie Vertreter der Industrie über Ansätze zur Schaffung von Interoperabilität. "Durch mehr Verständnis füreinander soll das Fundament entstehen, auf dem sich das Thema in Deutschland weiterentwickelt", sagt Prof. Dr. Sylvia Thun, Vorsitzende von HL7 Deutschland e.V..

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Prof. Sylvia Thun, Vorsitzende HL7 Deutschland.
Quelle: Vorsitzende HL7 Deutschland.

Der Deutsche Interoperabilitätstag findet nun bereits zum dritten Mal statt. Was macht die Veranstaltung so besonders und wichtig für die Gesundheitsversorgung der Zukunft?

Nach großen Erfolgen in den letzten zwei Jahren haben wir uns entschieden, den DIT in Berlin zu veranstalten. Dieses Format und dieser Fachkongress ist – im Gegensatz zu den üblichen „Digitalisierungskongressen“- von tiefer fachlicher Expertise mit dem Fokus auf Kooperation und Interoperabilität. Dieses Thema bewegt gerade die ganze Welt. Es werden nicht nur Patientenakten gemäß einer internationalen Vorgabe (ISO-Standard International Patient Summary) umgesetzt, sondern auch Fachthemen aus allen Bereichen der Medizin mit internationalen Standards abgebildet. 

Hierbei gehen wir im Detail auf die medizinischen Inhalte ein und nicht nur auf Infrastrukturfragen der Digitalisierung. Daher hat sich der Kongress im Zusammenwirken mit den IHE- und HL7-Jahrestagungen zu einem Netzwerktreffen der Experten für Interoperabilität entwickelt. Beim DIT werden diese Inhalte für ein breites Publikum aufbereitet und in verständlicher Form dargeboten. Durch die Zusammenkunft mit den Interoperabilitätsexperten ist eine sehr gute Diskussions- und Kooperationsplattform entstanden.

Welchen Stellenwert hat Interoperabilität in Deutschland? Wie gut sind wir, was den Einsatz von Standards angeht und was können wir von anderen Ländern noch lernen  – insbesondere im Bereich der stationären Versorgung?

Interoperabilität im Gesundheitswesen ist als Begriff in der Politik und als Erfolgsfaktor für gute Produkte bei der Industrie angekommen. Leider werden die Interoperabilitätslevel oft vermischt: So werben Firmen mit “IHE-Konformität“ oder HL7-Schnittstellen. Die Produkte sind aber nur in der Lage IHE Infrastrukturkomponenten, wie XDS  oder HL7 V2-Schnittstellen umzusetzen. Die wirkliche Breite der Standards ist am Markt weder verfügbar noch hinreichend bekannt, so dass IT-Leiter und andere Entscheidungsträger Ihre Anforderungen nicht zum Ausdruck bringen können. 

Dabei bilden die heutigen IT-Standards bereits alle Domänen der Medizin, Therapie und Pflege ab, z.B. onkologische Fallbesprechungen, genetische Testberichte, pathologische Befunde, standardisierte Laborparameter oder Medikationspläne. Aber selbst bei der Implementierung der Infrastrukturstandards befinden wir uns auf den hinteren Plätzen im Vergleich zu anderen Ländern in der EU. Hier gibt uns die Medizininformatik-Initiative des BMBF einen Schub im universitären Bereich. Im anderen stationäre Sektor benötigen wir massive Investitionen für die sichere und effiziente Kommunikation im Krankenhaus und die Öffnung der Häuser zum niedergelassenen Arzt, in die nachfolgenden Institutionen und zum Patienten.  

Welchen Nutzen haben Anwenderinnen und Anwender sowie Patientinnen und Patienten davon, wenn Gesundheits-IT-Systeme interoperabel sind?

Patienteninnen und Patienten und auch der gesunde Bürger können ihre Daten in Zukunft selbst verwalten und analysieren lassen. Interoperable Anwendungen verbessern und ermöglichen die Kommunikation zwischen Mensch und Maschine. So kann er oder sein Arzt z.B. auf seine Laborwerte der letzten Jahre zurückgreifen und diese mit seiner Medikation vergleichen. Arztbriefe werden schneller zur nächsten Institution weitergeleitet, so dass keine Fehlbehandlungen erfolgen. Im Fokus ist aber auch immer mehr die neue Art der Medizin, basierend auf Daten: Die „Data-Driven-Medizin“ ermöglicht das Zusammenfügen von Diagnosen, Bilddaten, Umweltfaktoren, Biomarkern und genetischen Informationen, um eine präzise Behandlung oder eine gesundere Lebensführung anzugehen. Insgesamt ermöglicht die Transparenz der Daten eine bessere Kooperation der Gesundheitsdienstleister und damit eine bessere Diagnostik, Therapie und Prävention.

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Wie stellen Sie sich interoperable Lösungen idealerweise vor? Welche Rolle nehmen Patientinnen und Patienten ein?

Patientinnen und Patienten sollen die Koordinatoren ihrer Daten werden, ggf. mit Hilfe des Arztes oder anderer Berufe. Sie werden die Möglichkeit haben, ihre Daten freizugeben, sie zu spenden, aber auch Daten zu löschen. Interoperabilität ist dafür die Voraussetzung. Das gilt vor allen für die gerade entstehenden „Gesundheitsakten“: Es darf kein Vendor- oder Krankenkassen-Lock-In geben! Und daher müssen wir uns heute über die Repräsentation der Inhalte einig werden. Das kann sicherlich keine bestehende Institution, da die Spezifikation von den medizinischen Fachgesellschaften und anderen Berufsverbänden auf Basis internationaler Standard erfolgen muss. Ein gutes Beispiel ist hierfür der Pathologiebericht, der von einem deutschen Professor aus dem Berufsverband der Pathologen spezifiziert wurde und nun als internationaler Standard gemeinsam von IHE und von HL7 abgestimmt wird. Im Falle z.B. einer Krebserkrankung ist dieser Bericht die wichtigste Informationsquelle für die Behandlung und kann durch die exakte Abbildung der Parameter mit anderen – auch weltweiten- Wissensquellen verknüpft werden.

Welche Erwartungen dürfen Besucherinnen und Besucher an den 3. Deutschen Interoperabilitätstag haben?

Stellen Sie hohe Erwartungen! Nach der Veranstaltung werden Ihnen nicht nur die Gesamtkomplexität der Digitalisierung im Gesundheitswesen bewusst, sondern auch Lösungswege aufgezeigt, die bereits implementierfähig sind. Besonders wichtig ist der DIT für diejenigen, die ihre Software umstellen oder hin zu intersektoralen und patientennahen Lösungen ausbauen möchten. Sie werden dann wissen, welche Anforderungen Sie an moderne medizinisch getriebene Software stellen können. Softwarehersteller können sich über die neuesten strategisch wichtigen Standards der EU informieren, Ärzte und Politiker werden verstehen, worauf es bei der strategischen Planung im Bereich der Interoperabilität ankommt. Patienten und Patientinnen können ihre Anforderungen an ihre Ärzte und stationären Einrichtungen artikulieren und die mobilen und patientennahen Anwendungen damit forcieren.

Ein aktuelles Programm und Anmeldemöglichkeiten zum 3. Deutschen Interoperabilitätstag stehen unter www.interop-tag.de bereit.


24.09.2018

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