Artikel • Die soziale Perspektive

Durch Empathie die Diversifizierung der Radiologie vorantreiben

Im Vergleich zu anderen medizinischen Fachgebieten mangelt es der Radiologie an Diversität, was womöglich auf unbewusste Vorurteile zurückzuführen ist. Das wirkt sich letztendlich auch auf die Patientenversorgung aus, sagt der auf Sozialwissenschaft spezialisierte Schriftsteller Shankar Vedantam.

Während das Bewusstsein über Voreingenommenheit weiterhin der Schlüssel zu ihrer Überwindung bleibe, bilde Empathie die Grundlage für die Entwicklung von Hilfsmitteln zur Diversifizierung der Radiologie. Beim RSNA 2020 warfen der Präsident Dr. James P. Borgstede und Dr. Ann L. Brown, Professorin für Radiologie am Cincinnati College of Medicine, einen Blick über die bildgebenden Modalitäten hinaus und unterhielten sich mit Vedantam über den Mangel an Diversität in ihrem Fachgebiet.

Bewusste und unbewusste Vorurteile

portrait of Shankar Vedantam
Shankar Vedantam

Während der New Horizons Lecture – einer Frage-und-Antwort-Sitzung – wies Vedantam darauf hin, dass viele der weltweit existierenden sozialen Ungleichheiten möglicherweise durch unbewusste und nicht durch bewusste Vorurteile verursacht werden. „Unbewusste Vorurteile bieten ein wesentlich besseres Erklärungsmodell für Missverhältnisse in unseren Gesellschaften als das konventionelle Modell der bewussten Vorurteile." Untersuchungen hätten gezeigt, dass versteckte Vorurteile am Arbeitsplatz eine zentrale Rolle spielten und sogar die Berufswahl beeinflussten, weil sie Menschen entweder ein Gefühl sozialer Zugehörigkeit oder aber des Fremdseins vermittelten. „Wenn Menschen auf eine Gemeinschaft treffen, versuchen sie herauszufinden, ob sie sich dort unter Gleichgesinnten befinden. Man sucht immer nach dem Freund, der genauso ist wie man selbst“, erklärte er. „Wenn man das Gefühl hat, anders zu sein, fühlt man sich einsam und nicht dazugehörig."

Bisweilen können unbewusste Vorurteile auch Auswirkungen auf die Patientenversorgung haben. Eine Reihe von Studien habe gezeigt, dass Genesungsprozesse erfolgreicher verlaufen, wenn Patienten demselben Geschlecht oder der gleichen Rasse wie ihr Arzt angehören, so Vedantam. „Es geht dabei nicht um Gleichstellung, aber diese Faktoren beeinflussen die Ergebnisse in Bezug auf die Patientengesundheit und das Wohlbefinden der Gemeinschaft, und das wirkt sich nicht nur auf den Beruf selbst aus. Es ist daher nicht nur richtig, das Fachgebiet so zu diversifizieren, dass es die Gemeinschaft, der es dient, widerspiegelt, sondern es ist außerdem auch effizienter“, fügte er hinzu.

Empathie wirkt Voreingenommenheit mit Mentoring und KI entgegen

Wird ein Fachgebiet seinen Vorstellungen in Bezug auf Diversität nicht gerecht, sollten Veränderungen vor allem mit Empathie eingeleitet werden, empfiehlt Vedantam. „Wenn wir nachempfinden können, wie es sich anfühlt, als Patient einen Raum zu betreten, oder als Frau oder Person mit anderer Hautfarbe in einem neuen Fachgebiet anzufangen, verstehen wir besser, warum es sich lohnt, Menschen ein Gefühl des Willkommenseins zu geben.“

Ein System, das Empathie auf Gegenseitigkeit unterstützt, ermöglicht die Entwicklung „pragmatischer Lösungsansätze, die schlussendlich zur Überwindung von Vorurteilen beitragen können“, betont Vedantam. Vorbilder und Mentoren seien sehr wichtig, nicht nur beim Einstieg in ein Fachgebiet, sondern auch als Unterstützung in der weiteren beruflichen Laufbahn.

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In Bezug auf Technologie habe künstliche Intelligenz (KI) das Potenzial, Vorurteile zu überwinden, obgleich die vorhandenen Systeme menschliche Vorurteile und menschliche Assoziationen übernommen haben, mit denen sie trainiert wurden. Dies läge zum Teil daran, dass Maschinen durch riesige Mengen an Informationen lernen, die sie von Menschen erhalten. Bei KI gibt es jedoch auch Hoffnung: Sich der Vorurteile lediglich bewusst zu sein reiche nicht aus, um sie zu überwinden. Ständig bewusst gegen eigene Vorurteile, eigene Impulse und die Vorurteile des menschlichen Denkens anzukämpfen, sei sehr anstrengend. 

Vielleicht treffen Sie ja immer noch die gleiche Entscheidung, haben aber jetzt zehn Sekunden Zeit zum Nachdenken darüber gewonnen, ob ein Teil Ihrer Entscheidung vielleicht von unbewussten Algorithmen beeinflusst wird

Shankar Vedantam

Möglich sei es aber, Algorithmen so zu modifizieren, dass Vorurteile effektiver kompensiert werden können. Vorurteile bei Algorithmen zu beheben sei wahrscheinlich wesentlich leichter als beim Menschen. KI könnte Ärzte dabei unterstützen, weniger voreingenommene und gerechtere Entscheidungen zu treffen. Beispielsweise könne ein durch KI erzeugtes Pop-up-Fenster auf dem Computer dazu dienen, die Entscheidungsfindung aus dem Unbewussten ins Bewusstsein zu holen. „Vielleicht treffen Sie ja immer noch die gleiche Entscheidung, haben aber jetzt zehn Sekunden Zeit zum Nachdenken darüber gewonnen, ob ein Teil Ihrer Entscheidung vielleicht von unbewussten Algorithmen beeinflusst wird, und ob Sie eine andere Entscheidung treffen, wenn Sie bewusst über die Situation nachdenken“, schloss Vedantam. 


Profil:

Shankar Vedantam ist sozialwissenschaftlicher Korrespondent beim US-amerikanischen Hörfunksender NPR und Moderator des Podcast „Hidden Brain“. Der Schwerpunkt seiner Berichterstattung liegt auf menschlichem Verhalten, den Sozialwissenschaften und darauf, wie die Forschung in diesen Bereichen Hörer ermutigen kann, Nachrichten aus einer ungewohnten und interessanten Perspektive zu betrachten. „Hidden Brain“ gehört mit über zwei Millionen Downloads pro Woche zu den beliebtesten Podcasts der Welt. „Hidden Brain“ wird zurzeit in rund 250 öffentlichen Rundfunkstationen in den USA gesendet. Bevor Vedantam 2011 zu NPR kam, war er zehn Jahre lang als Reporter bei der Washington Post tätig. Von 2007 bis 2009 schrieb er die Department of Human Behaviour-Kolumne für die Post. Für seine Arbeit erhielt Vedantam zahlreiche Auszeichnungen; er ist zudem Autor von zwei Büchern.

15.01.2021

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