Artikel • Sportverletzungen

Differentialdiagnose des Muskelödems

Zuviel trainiert oder eine falsche Bewegung vollführt, und der Schmerz ist da: Prof. Dr. Martin G. Mack, Facharzt für Diagnostische Radiologie in der Gemeinschaftspraxis „Radiologie München“, spricht über die Ursachen für Muskelödeme, ihre Diagnose und Behandlung. Der Experte ist für die radiologische Betreuung des FC Bayern München zuständig und weiß aus Erfahrung, welche typischen Fehler selbst Profispielern passieren.

Bericht: Wolfgang Behrends

Der Muskelkater und sein „großer Bruder“

portrait of martin mack
Prof. Dr. Martin G. Mack ist Facharzt für Diagnostische Radiologie in der Gemeinschaftspraxis „Radiologie München“.

Wer Sport treibt, hatte auch schon einmal einen Muskelkater: Durch hohe Belastung entstehen im Muskel kleine Risse. Flüssigkeit, die in diese Mikrotraumata eindringt, führt zu einer Entzündung, die als Muskelkater wahrgenommen wird. Ganz ähnlich sind die Abläufe bei Muskelverletzungen – nur ist hier alles eine Nummer größer: „Es ist eine Reaktion des Muskels auf starke Belastung“, erklärt Mack. „Auch Traumata am Muskel wie Muskelfaserrisse, Muskelbündelrisse oder Muskel-Sehnen-Verletzungen können zu Muskelödemen führen. In diesem Fall kann zusätzlich eine Einblutung in den Muskel hinzukommen.“ Seltener entstehen Muskelödeme, wenn die Verbindung zum zuführenden Nerv abgeklemmt wird und in der Folge ein Muskelabbau stattfindet, etwa in Folge eines Bandscheibenvorfalls oder eines Unfalls, bei dem der Nerv durchtrennt wurde.

Während der Muskelkater schon nach kurzer Zeit von selbst ausheilt, braucht eine Muskelverletzung oft länger, bis der betroffene Muskel wieder zu seinem ursprünglichen Zustand zurückgekehrt ist. „Der entscheidende Unterschied ist der strukturelle Schaden am Muskel“, sagt Mack. „Wenn das Ödem nur als Folge einer Überbelastung auftritt, kann ein Sportler meist schon nach 3-5 Tagen wieder ganz normal trainieren. Handelt es sich jedoch um einen Muskelfaserriss, beträgt die Zeit zur Regeneration etwa zwei Wochen, bei einem Muskelbündelriss mit Sehnenbeteiligung können es sogar mehrere Monate sein.“

Wichtigste Voraussetzung für die Genesung ist Ruhe: „Kühlen, Kompressen, das Bein hoch lagern – gerade in den ersten Tagen ist das am Wichtigsten“, rät Mack. Auf diese Ruhephase folgt eine lockere Rehabilitation, etwa Fahrradfahren mit möglichst geringem Widerstand. Je nach Schwere der Verletzung wird die Intensität allmählich gesteigert, bis der Muskel wieder voll belastet werden kann.

Schmerzfrei, aber nicht geheilt

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Ausriss der Sehne des M. adductor longus am Unterrand der Symphyse.

Bei der Differentialdiagnose rät der Experte zur Vorsicht: „Der klinische Befund ist hier ein ganz schlechter Ratgeber. Selbst bei einer schweren strukturellen Verletzung des Muskels wie einem Einriss wird der Betroffene nach spätestens zehn bis 14 Tagen keine Schmerzen mehr spüren. Nimmt aber ein Athlet zu diesem Zeitpunkt direkt das Training wieder auf, ist die Verletzung noch nicht verheilt und kann durch die verfrühte Belastung wieder aufbrechen.“ Das verlangsamt den Genesungsprozess erheblich, denn das gerade erst gebildete Narbengewebe verheilt viel schlechter als ein gesunder Muskel. „Wenn ein Spieler zu früh wieder Gas gibt, obwohl die Verletzung noch nicht richtig ausgeheilt ist, wird aus einem Muskelfaserriss schnell ein Muskelbündelriss oder sogar eine Muskel-Sehnen-Verletzung. Dann fällt dieser Spieler für sechs oder acht Wochen aus – nur weil er nicht noch zwei bis drei Tage abwarten konnte.“ Der Drang, möglichst schnell wieder auf dem Spielfeld zu stehen, ist für Mack jedoch verständlich: „Es ist eine Gratwanderung: Einerseits möchte man – gerade im Profisport – natürlich möglichst wenig Ausfallzeit haben, andererseits gilt es, kein unnötiges Risiko durch einen zu frühen Wiedereinstieg einzugehen.“

Aus Studien der UEFA geht hervor, dass Muskel- und Sehnenverletzungen mehr als die Hälfte aller Verletzungen im Profi-Fußball ausmachen, berichtet der Radiologe. „Deshalb ist das Erkennen und die exakte Diagnose dieser Verletzungen so wichtig. Mit hoch aufgelösten Bildern lässt sich gut erkennen, ob es sich nur um ein Muskelödem durch Überlastung handelt oder ein struktureller Schaden am Muskel vorliegt.“ Um die nötige Auflösung zu erreichen, kommen 3-Tesla-MRTs zum Einsatz, die in kleinen Untersuchungsfeldern (Field of View) Aufnahmen der verletzten Region erstellen. Für eine hohe lokale Auflösung sollte eine Schichtdicke von 1-3 mm gewählt werden, rät Mack: „So können auch kleine Muskelfaserrisse sicher diagnostiziert werden.“

Mit der Bildgebung eigene Strategien erarbeiten

Auch bei kniffligen Fällen hilft die MR-Bildgebung oft weiter: „Schmerzen am Sprunggelenk oder am Vorfuß sind eine Herausforderung, weil es viele mögliche Ursachen gibt“, erklärt Mack. „Im Kernspin lässt sich das mit gezielten Untersuchungsprotokollen jedoch schnell herausarbeiten.“ Ein großer Erfahrungsschatz hilft immens, aus der Vielzahl an Differentialdiagnosen die richtige zu finden. Daher rät der Experte jungen Kollegen dazu, sich intensiv mit den klinischen Krankheitsbildern zu befassen und auch im Umgang mit den bildgebenden Geräten eigene Strategien zu erarbeiten, um die richtigen Sequenzen und Fokusbereiche für den jeweiligen Fall einsetzen zu können.

Muskel ist nicht gleich Muskel

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Myotendinöse und myofasziale Verletzung am M. biceps femoris: Initial (1 sagittal, 3 transversal) und nach 35 Tagen (2 sagittal, 4 transversal): Im Laufe der Regeneration bilden sich narbige Reparationsfasern. Die Konsolidierung ist aber noch nicht abgeschlossen.

Zur zielsicheren Diagnostik gehört viel Erfahrung, denn die Schwere einer Verletzung hängt von mehreren Faktoren ab – darunter auch, welcher Muskel betroffen ist: „Die gleiche Verletzung kann bei verschiedenen Muskeln ganz unterschiedliche Auswirkungen haben“, erklärt Mack. „Kritisch ist beispielsweise eine Verletzung am Musculus biceps femoris, dem großen rückseitigen Oberschenkelmuskel, denn an dieser Stelle gibt es kaum schützende umgebende Muskulatur.“ Die Häufigkeit der Verletzungen ist auch abhängig von der Sportart, sagt der Experte: „Ein Sprinter wird kaum Probleme mit seinem vorderen Oberschenkelmuskel – dem Musculus rectus femoris – haben, da dieser vor allem beim Schießen eines Fußballs belastet wird.“

Abschließend hebt der Experte den Stellenwert der muskuloskelettalen Radiologie bei Sportverletzungen hervor: „Eine gute Diagnostik geht Hand in Hand mit hoher Bildqualität. Deshalb ist es so wichtig, dass Radiologen eng mit den Orthopäden und Chirurgen zusammenarbeiten, um die wichtigen Fragestellungen klären zu können. Dafür ist es auch sinnvoll, die Untersuchung von einem Radiologen durchführen zu lassen, anstatt als Orthopäde zu versuchen selbst mit einem Arthro-MRT Aufnahmen zu erstellen.“


Profil:
Prof. Dr. Martin G. Mack ist Facharzt für Diagnostische Radiologie in der Gemeinschaftspraxis „Radiologie München“. Als betreuender Radiologe des FC Bayern München hat er besondere Expertise auf der Diagnostik des Bewegungsapparates im Rahmen von Sportverletzungen. Weitere Schwerpunkte seiner Arbeit liegen in der Diagnostik der Kopf-Hals-Region und der Neuroradiologie. Prof. Mack ist Mitglied in zahlreichen Fachgesellschaften, darunter der Deutschen Röntgengesellschaft (DRG), der European Society of Radiology (ESR) und der Radiological Society of North America (RSNA). Er war an der Veröffentlichung von mehr als 180 wissenschaftlichen Publikationen beteiligt, in vielen davon als Erstautor.

16.01.2019

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