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Profifußballer waren 2014/15 mehr als 200 Jahre krank
Die Statistiken der UEFA und der gesetzlichen Unfallversicherung (VBG) sprechen eine eindeutige Sprache: Profisport geht in der Regel mit Verletzungen einher, von denen laut VBG im Fußball rund 70 Prozent auf die unteren Extremitäten entfallen.
Die häufigsten Verletzungen beim allseits beliebten Ballsport sind Muskel- und Sehnenverletzungen, wie Professor Martin G. Mack, Facharzt für Diagnostische Radiologie und Gesellschafter der Gemeinschaftspraxis „Radiologie München“, aus eigener Erfahrung berichtet. Er ist für die radiologische Betreuung des FC Bayern München zuständig und weiß, wovon er spricht. Denn eines können die Spieler trotz bester Physiotherapie und engmaschiger Verlaufskontrollen nicht austricksen: die menschliche Biologie.
„Schaut man sich die Statistiken der UEFA oder der VBG an, so zeigt sich, dass 50 Prozent der gemeldeten Verletzungen die klassischen Muskel- und Sehnenverletzungen ausmachen. Meniskusverletzungen kommen gerade mal auf 4 Prozent und selbst Bänderverletzungen, zum Beispiel am Sprunggelenk, machen gerade mal 10-15 Prozent aus“, zitiert Mack die offiziellen Statistiken. Im VBG Sportreport 2016 heißt es unter anderem: „In der Saison 2014/15 fehlten die Spieler ihren Clubs verletzungsbedingt mehr als 200 Jahre!“
Eine gute Diagnose ist wichtig
Diese unglaubliche Zahl erklärt Professor Mack auch mit der großen Anzahl unterschätzter Verletzungen bei Profisportlern: „Der richtigen Diagnostik und Klassifizierung der Muskel- und Sehnenverletzungen kommt vor dem Hintergrund einer adäquaten Behandlung und Ausheilung solcher Verletzungen eine immense Bedeutung zu. Nicht zuletzt spielt die richtige Bildauflösung und die Qualität der Untersuchung eine wichtige Rolle. Denn die Bildeinstellung, die Wahl der Sequenzen und der Schichtorientierung, muss für jeden Muskel und jede Sehne individuell angepasst werden.“
Viele Radiologen seien auf diesem Gebiet unerfahren, weil diese Art der Diagnosestellung nicht alltäglich sei. So werde eine Muskel- oder Sehnenverletzung oft als kleiner Muskelfaserriss klassifiziert. „Dies beeinflusst natürlich den Heilungszeitraum“, weiß Mack und erklärt: „Ein kleiner Muskelfaserriss benötigt zur Heilung ungefähr zehn bis vierzehn Tage. Wenn die eigentliche Verletzung jedoch schwerwiegender ist, kann eine Ausheilung durchaus bis zu 100 Tage in Anspruch nehmen.“
Auf die körpereigene Rückmeldung des Spielers kann sich der Radiologe bei der Verlaufskontrolle nicht verlassen, so Mack. „Fast alle Spieler sind nach zwei, spätestens drei Wochen wieder schmerzfrei und wollen auf den Platz, egal wie schwer die Verletzung war. Geht ein Spieler zu früh wieder auf den Rasen, so kann dies zu erneuten Verletzungen führen.“ Diese sogenannten Re-Verletzungen sind dann oft schwerwiegender als die ursprüngliche Initialverletzung und heilen langsamer. Daher muss das Augenmerk auf die adäquate Klassifizierung der Initialverletzung gerichtet werden. „Weil manche Radiologen falsch klassifizieren, kommt es leider immer wieder vor, dass Spieler unnötigerweise durch eine Serie von Re-Verletzungen mehr als die Hälfte des Jahres ausfallen, da die Verletzungen nicht ausheilen konnten. Deshalb ist die Weiterbildung an dieser Stelle so wichtig, denn die Diagnose und Therapie sollen ja einen Mehrwert bieten“, verdeutlicht Mack.
Weiterbildung ist ein individuelles Pflichtziel
Spezielle Weiterbildungen oder Schulungen für Radiologen, die gezielt Muskel- und Sehnenverletzungen im Profisport untersuchen, gebe es jedoch nicht. „Daher wären für die optimale Durchführung und Befundung derartiger Untersuchungen dringend geeignete Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen anzuraten“, so Mack. Neben der primären Klassifikation der Verletzung spielt die Bildgebung gerade auch bei Verlaufskontrollen eine wichtige Rolle, um zu klären, ob eine Verletzung wieder belastungsstabil ist oder weiter pausiert werden muss. Das zu beurteilen ist auch eine Sache der Erfahrung des Mediziners, so Mack nachdrücklich. Erschwerend kommt hinzu, dass bildmorphologisch sehr ähnliche Verletzungen je nach Muskelgruppe einen deutlich unterschiedlichen Heilungsverlauf haben können.
„Die engmaschigen Verlaufskontrollen, die im Profisport häufig durchgeführt werden, helfen, Erfahrungen zu sammeln, wie sich Verletzungen im Verlauf entwickeln. Diese Erkenntnisse kommen dann wiederum den Amateursportlern und Freizeitsportlern zu Gute, die nicht so engmaschig kontrolliert werden können“. Die kurzfristigen Kontrollen helfen, die Rehabilitation nach einer Verletzung zu steuern und die Trainingssteuerung anzupassen, um so die Return-To-Play-Zeit möglichst kurz zu halten. Durch diese gute Betreuung lässt sich der Heilungsverlauf positiv beeinflussen“, erläutert der Mediziner.
Die Biologie lässt sich nicht überlisten
Jede Verletzung braucht ihre Zeit
Martin G. Mack
Natürlich müsse man sich auch die Frage der Prävention stellen und überlegen, wie sich Verletzungen verhindern lassen. Dies sei über die Trainingssteuerung und Regenerationsphasen einigermaßen gut möglich. „Bei Spielern wie z.B. denen vom FC Bayern München kommt zur hohen Spielintensität noch eine hohe Reisebelastung hinzu, durch die die Regenerationsphasen erheblich verkürzt werden. Hier muss jede einzelne dieser Phasen sinnvoll genutzt werden“, erläutert der Radiologe. Denn eines können auch Profisportler nicht überlisten: die Biologie. „Jede Verletzung braucht ihre Zeit“, weiß Mack. „Man muss der Natur Zeit geben und den Heilungsprozess dabei so gut wie möglich unterstützen.“
Profil:
Prof. Dr. Martin G. Mack ist Facharzt für Diagnostische Radiologie und Gesellschafter der „Radiologie München“. Er ist für die radiologische Betreuung des FC Bayern München zuständig. 2011 wurde der vielfach publizierte und ausgezeichnete Facharzt zum Präsidenten der European Society of Head and Neck Radiology gewählt.
Reports:
UEFA Elite Club Injury Study Report 2014/15
VBG-Sportreport 2016
Analyse des Unfallgeschehens in den zwei höchsten Ligen der Männer: Basketball, Eishockey, Fußball & Handball
6 Verletzungsgeschehen im Fußball (S. 46).
13.10.2016