Die Hose, die dem Herzen hilft

Um Gefäße nach einer Pulswelle koordiniert so zu komprimieren, dass ein Gegenpuls einen vermehrten Rückstrom des Blutes zum Herzen bewirkt, bedarf es nicht zwingend eines chirurgischen Eingriffs.

Ivo Buschmann passt einer Patientin die Herzhose an. Aufblasbare Manschetten...
Ivo Buschmann passt einer Patientin die Herzhose an. Aufblasbare Manschetten sind um Unter- und Oberschenkel und um das Becken platziert und werden über Druckluftschläuche mit dem computergesteuerten Kompressor verbunden. Foto: Funke

Der Effekt tritt auch ein, wenn einem Patienten eine Herzhose angelegt wird. Dabei werden in einstündigen Behandlungen um Unter- und Oberschenkel und Gesäß Manschetten gewickelt, die von einem Kompressor stoßweise mit Luft gefüllt und wieder entleert werden. Auch dadurch wird Blut aus den Venen und Arterien der Beine in Richtung des Herzens transportiert. Dabei geht es nicht nur um eine verbesserte Perfusion der Koronararterien. Dem Verfahren liegt eine weitergehende Idee zugrunde, sagt PD Dr. Ivo Buschmann, Angiologe an der Charité und Vorstandsmitglied der Europäischen Stiftung für Vaskuläre Medizin: „Das Blutvolumen wird ja nicht nur umverteilt, der Blutstrom wird auch beschleunigt, ähnlich wie bei einem Waldlauf, allerdings ohne dass die Herzfrequenz wesentlich ansteigt. Das Herz wird also schonend entlastet - und erhält die notwendigen Impulse, um natürliche Bypässe zu entwickeln.“

Ziel der Herzhose-Behandlung, der personalized shear rate therapy, ist die Induktion der Arteriogenese - ein Rettungsmechanismus des Gefäßsystems bei Okklusion oder Verengung. Im gesamten Gefäßsystem, so auch im Koronarkreislauf, präexistent angelegte, aber nicht ausgebildete Kollateralgefäße werden zum Wachstum angeregt: In einer prospektiven Studie wurden 23 Patienten im Alter von 61 + 2.5 Jahren mit stabiler koronarer Herzerkrankung (CHD) und mindestens einer hämodynamisch relevanten Stenose in zwei Gruppen aufgeteilt. Die 16 Patienten der Therapiegruppe erhielten über sieben Wochen 35 einstündige Behandlungen mit der extrakorporalen Gegenpulsation, die 7 Patienten der Kontrollgruppe hingegen nicht. In der Therapiegruppe stiegen sowohl der druckgesteuerte Flussindex (CFIp) von 0.08 ± 0.01 auf 0.15 ± 0.02 als auch die fraktionierte Flussreserve (FFR) von 0.68 ± 0.03 auf 0.79 ± 0.03; P = 0.001) signifikant an, hingegen gab es keine Änderung in der Kontrollgruppe [Quelle: Eur J Clin Invest. 2009;39:866-75].

Tailored therapy

„Dabei kommt es gar nicht auf das Maß der Volumenverschiebung aus den Beinen in Richtung Herz an“, erklärt Buschmann: „Nicht die Druckverhältnisse in den Manschetten sind ausschlaggebend sondern der Impuls, der durch das Aufblasen der Manschetten entsteht.“ Dieser Impuls verändert das Strömungsprofil im Blutgefäß. Nicht nur der Fluss steigt an sondern auch die Schergeschwindigkeit an der Gefäßinnenwand. Das setzt morphologische und biochemische Prozesse in Gang und führt letztlich zu einer Proliferation der Gefäße [Quelle: Hamostaseologie. 2007;27363-72]. Dieser Impuls wird mit dem Gefäßtachometer graphisch dargestellt, dies dient als Berechnungsgrundlage für die Einstellung der personalisierten shear rate therapy. Jede Behandlung wird individuell auf den Patienten abgestimmt: „Bei einer Trainingsstunde täglich benötigt das Herz zwischen drei und sieben Wochen, um das Wachstum der natürlichen Bypässe ausreichend auszubilden. Dieser Zeitraum hängt wesentlich von den individuellen Blutflussgeschwindigkeiten jedes einzelnen Patienten ab“, sagt Buschmann, und fügt hinzu: „Wir wissen heute, dass der Effekt ungefähr ein Jahr anhält.“ Wiederholtes Training ist also nötig – eine ideale passive Ergänzung zum aktiven Herzsport.
Noch ist die Herzhose keine Kassenleistung in Deutschland, weder hat sie NUB-Status noch gibt es ein Zusatzentgelt. Die Kostenübernahme wird stets individuell geklärt. Doch das Interesse ist groß: Noch in diesem Jahr werden neben der Charité fünf weitere Herzhose-Stationen die Therapie anbieten, in Deutschland, aber auch in Österreich und der Schweiz. Die Methode eignet sich zur Behandlung der stabilen CHD, insbesondere aber der diffusen CHD, also von Patienten, die interventionell oder chirurgisch nicht revaskularisiert werden können. Darüber hinaus profitieren Patienten mit peripherer Gefäßerkrankung (PVD) davon, zumal wenn sie auch Diabetiker sind. Auch erektile Dysfunktion ist damit behandelbar, eine schwere Erkrankung, die schätzungsweise jeden zweiten Mann über 40 Jahren betrifft – und die oftmals Vorbote einer systemischen Gefäßerkrankung ist.

Im Profil:

PD Dr. Ivo Buschmann studierte Medizin an der Universität von Hamburg. Nach zwei Jahren klinischer Tätigkeit in der Abteilung Kardiologie erhielt er ein Stipendium der Max-Planck-Gesellschaft und er wechselte an das Forschungsinstitut nach Bad Nauheim. In den folgenden Jahren wurde Ivo Buschmann Arbeitsgruppenleiter und publizierte auf dem Gebiet der therapeutischen Arteriogenese Mit einem Stipendium des Volkswagen-Stiftung-Exzellenz-Programms (2000-2006) forschte er an der Universität Freiburg. Die Forschergruppe wechselte 2004 zur Charité-Universitätsmedizin Berlin, wo sie jetzt ihren Sitz am Center for Cardiovascular Research (CCR) am Campus Mitte, Campus Virchow-Klinikum und Gefäßzentrum Berlin hat. 2005 erhielt Ivo Buschmann seine Habilitation auf dem Gebiet der Gefäßmedizin.
 

30.09.2013

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