Evaluation

Die Evaluation in der Telemedizin nach vorne bringen

Es existiert in Deutschland bereits eine Vielzahl von telemedizinisch unterstützten Versorgungsansätzen, diese werden jedoch größtenteils im Rahmen von Modellprojekten betrieben. Nur eine Minderheit schafft es in die Regel- bzw. in die flächendeckende Versorgung. Methodisch solide und vollständig publizierte Evaluationen können dabei helfen, die Wirksamkeit und Kosteneffektivität von Telemedizin-Anwendungen für Entscheidungsträger transparent zu machen. Mit ihren jüngst erarbeiteten Grundsätzen für die Evaluation von Telemedizin-Anwendungen haben Katrin Arnold und Madlen Scheibe vom Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung (ZEGV) am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an der TU Dresden hierfür eine methodische Leitlinie geschaffen.

Report: Marcel Rasch

Katrin Arnold, TU Dresden
Katrin Arnold, TU Dresden
Quelle: Katrin Arnold

Problemstellung
Bislang wird ein beträchtlicher Teil von Telemedizin-Projekten nicht evaluiert oder die Evaluationsergebnisse werden nicht bzw. nur teilweise veröffentlicht. „Das behindert den Wissenszuwachs im Gesundheitssystem enorm“, sagt Katrin Arnold und Madlen Scheibe ergänzt: „Werden Evaluationen von Telemedizin-Anwendungen durchgeführt, so sind diese von sehr unterschiedlicher methodischer Qualität.“ Aus diesem Grund sind diverse Studien mit methodischen Schwächen in ihrer Aussagekraft begrenzt. Es fehlt an interdisziplinär akzeptierten und verbindlichen Standards. „Insgesamt behindern die geschilderten Probleme, belastbare Evidenz zur Wirksamkeit und Kosteneffektivität von Telemedizin zu schaffen“, erklärt Scheibe und erläutert weiter:. „Vor diesem Hintergrund haben wir ein evidenz- und konsensbasiertes Set an Evaluationsgrundsätzen begleitend zum Projekt CCS Telehealth Ostsachsen entwickelt.“

Evaluationsgrundsätze
Aufgrund der geschilderten Probleme in der bisherigen Evaluationspraxis existieren seit einigen Jahren Bestrebungen, geeignete Standards zu formulieren. Bei bisher veröffentlichten Evaluationsgrundsätzen gibt es große Qualitätsunterschiede – einige Autoren(gruppen) formulieren ihre Grundsätze auf der Basis von systematisch recherchierter Literatur und/oder auf der Grundlage eines durch mehrere Experten getragenen Konsenses. Andere hingegen machen den Entstehungsprozess weniger transparent, was letztlich die Möglichkeit bietet, subjektive Einzelmeinungen zu publizieren. „Wir haben in unserer Forschung systematisch Arbeiten zu Evaluationsgrundsätzen recherchiert, die auf einem systematischen Review oder auf einem Konsensverfahren basieren“, macht Arnold deutlich. „Aus diesen haben wir Vorschläge für Evaluationsgrundsätze extrahiert, welche anschließend einem formalen Konsensverfahren mit einem interdisziplinären Experten-Panel unterzogen wurden. Unser mehrstufiges Vorgehen orientierte sich damit an der höchsten Entwicklungsstufe medizinischer Leitlinien“, verdeutlicht sie weiter. Die abgestimmten Evaluationsgrundsätze geben Orientierung zum Vorgehen im Rahmen der Planung, Durchführung und Veröffentlichung von Telemedizin-Evaluationen. So werden beispielsweise Empfehlungen zu Studiencharakteristika, zu erhebenden Outcome-Parametern und Berichtsstandards gegeben (siehe Kasten). Zunächst für die Qualitätssicherung im Rahmen des Projektes CCS Telehealth Ostsachsen entwickelt, ist ein Aufgreifen der Grundsätze durch andere Projekte und Initiativen ausdrücklich beabsichtigt.

Intention
„Unsere Hoffnung ist es, mit den entwickelten Grundsätzen und gemeinsam mit anderen aktuellen Initiativen, auf dem Gebiet der telemedizinisch unterstützten Versorgungsansätze den Weg für einen breiteren Einsatz von Telemedizin in der Regelversorgung zu ebnen“, betont Katrin Arnold.

Die methodisch solide, regelhafte Evaluation von telemedizinisch unterstützten Versorgungsansätzen ist eine wesentliche Voraussetzung für deren flächendeckende Implementierung. Hierfür braucht es interdisziplinär akzeptierte Evaluationsgrundsätze, durch deren Beachtung eine wirkungsvolle Qualitätssicherung im Sinne eines selbst lernenden Systems erreicht werden kann. „Die durch uns entwickelten evidenz- und konsensbasierten Grundsätze liefern hierzu einen wichtigen Beitrag“, ist sich auch Madlen Scheibe sicher. Eine ausführliche Publikation zu den Evaluationsgrundsätzen und deren Entwicklungsmethodik ist aktuell in Vorbereitung.

Profile:

Madlen Scheibe studierte Soziologie und promovierte in Gesundheitswissenschaften an der TU Dresden. Aktuell ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung am Universitätsklinikum Carl Gustav Dresden. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Telemedizin und Mobile Health, insbesondere der Evaluation und Qualitätssicherung innovativer Versorgungsansätze und der Akzeptanz von Telemedizin durch ältere Zielgruppen.

Katrin Arnold studierte Soziologie an der TU Dresden. Nach mehrjähriger wissenschaftlicher Tätigkeit im Fachbereich Psychiatrische Versorgungsforschung des Universitätsklinikums Ulm ist sie aktuell als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung am Universitätsklinikum Carl Gustav Dresden tätig. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Telemedizinevaluation sowie psychiatrische und neonatologische Versorgungsforschung.

 

 

Grundsätze zur Qualitätssicherung/Evaluation von telemedizinischen Anwendungen

  • Eine Evaluation muss zwingender Bestandteil bei der Planung und Implementierung von telemedizinischen Anwendungen sein.
  • Bei der Planung und Durchführung der Evaluation sollte sowohl medizinische als auch methodische Expertise einbezogen werden.
  • Der Zugang zu den für die Evaluation notwendigen Daten sollte im Rahmen der Planung der Evaluation geklärt sein.
  • Als Grundlage für eine prospektive Evaluation sollten a priori die telemedizinische Anwendung, die Zielgruppe und die Versorgungsziele (u.a. Zugang, Mehrwert für Patienten, Nutzen, Patientensicherheit, Erhaltung bestehender Strukturen, Wirtschaftlichkeit, Geschwindigkeit) sowie eine ggf. beabsichtigte Implementierung in die Regelversorgung beschrieben und transparent dokumentiert werden.
  • Als Grundlage für eine prospektive Evaluation sollte der Ausgangszustand (Baseline) (u.a. Patientenmerkmale, Prozessmerkmale) detailliert beschrieben und nachvollziehbar dokumentiert werden.
  • Die Wahl der Evaluationsform sollte in Abhängigkeit vom Evaluationsziel, dem Implementierungs-/Entwicklungsstand der telemedizinischen Anwendung und einem angemessenen Evidenzlevel erfolgen.
  • Bei der Evaluation sollten sowohl Prozess- als auch Ergebnisparameter unter Berücksichtigung medizinischer, technischer und ökonomischer Aspekte einfließen.
  • Die zu messenden Outcomes sollten patienten-, nutzer- und versorgungsrelevant sein und in Abhängigkeit vom Ziel der Anwendung, der Zielgruppe und dem Entwicklungsstand der Anwendung gewählt werden. Die verwendeten Instrumente sollten eine hohe Güte (Reliabilität, Validität) aufweisen.
  • Bei der Evaluation sollten adäquate Möglichkeiten zur Reduzierung von systematischen Verzerrungen und Störfaktoren vorgesehen werden.
  • Evaluationspläne und -ergebnisse sollten registriert und vollständig, transparent und ergebnisunabhängig veröffentlicht werden, z.B. in der Datenbank Versorgungsforschung Deutschland.

Die genannten Grundsätze wurden wortwörtlich in dieser Form vom Experten-Panel des Projektes CCS Telehealth Ostsachsen im Rahmen eines Konsens-Workshops verabschiedet. Jegliche Modifikationen sind unzulässig.

05.11.2015

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