Den blutigen Schlaganfall richtig diagnostizieren und therapieren

Neurointervention ist die Methode der Wahl

4 bis 5 Prozent der Bevölkerung sind Träger von Hirnaneurysmen – Ausziehungen der Hirnschlagadern.

Prof. Dr. Ansgar Berlis
Prof. Dr. Ansgar Berlis

Sie sind die Hauptursache von Subarachnoidalblutungen (SAB), die sich im Raum zwischen der weichen Hirnhaut (Pia mater) und der Spinnengewebshaut (Arachnoidea) ausbreiten, der das Gehirn umgibt und mit Hirnwasser gefüllt ist. Die endovaskuläre Behandlung hat sich inzwischen als Methode der Wahl durchgesetzt, so Prof. Dr. Ansgar Berlis, Chefarzt für Diagnostische und Interventionelle Neuroradiologie an der Klinik für Diagnostische Radiologie und Neuroradiologie am Klinikum Augsburg.

„Bei zehn bis zwölf Menschen von 100.000 pro Jahr verursachen Hirnaneurysmen eine nicht traumatische Blutung“, erläutert der Experte, „die Aneurysmablutung ergießt sich meist ausschließlich in den Subarachnoidalraum, seltener zusätzlich beziehungsweise ausschließlich in das Hirnparenchym.“ Frauen sind etwas häufiger als Männer betroffen; der Altersgipfel liegt bei 55 bis 60 Jahren. Aneurysmen können angeboren sein, sie können mit bestimmten Erkrankungen auftreten und ihre Entwicklung kann durch degenerative Veränderungen wie Arteriosklerose sowie durch Rauchen und Hypertonie gefördert werden, fügt Prof. Dr. Berlis hinzu.

Die symptomatische Diagnose

Etwa ein Drittel der SAB-Patienten stirbt umgehend, 20 bis 30 Prozent versterben im Verlauf des stationären Aufenthalts an den Folgen der Blutung – etwa durch resultierende große Schlaganfälle, die durch Abbauprodukte zu Vasospasmen und zu einer Minderdurchblutung führen. Bei den überlebenden circa 50 Prozent der Patienten muss mit Behinderungen gerechnet werden, ein beschwerdefreies Outcome haben 20 bis 30 Prozent.

„Wenn symptomatische Patienten eingeliefert werden, diagnostizieren wir mit CT-Angiographie oder einer diagnostischen Angiographie“, beschreibt Prof. Dr. Berlis. Für die Behandlung gibt es zwei Alternativen. Operativ nutzt man das Clipping – eine Methode, die seit 80 Jahren etabliert ist: Man trepaniert und setzt einen Titanclip auf die Aussackung. Bei der endovaskulären Behandlung führt man meist über die Leiste einen Katheter an die Schädelbasis und im weiteren Verlauf einen Minikatheter in das Aneurysma, das man meistens mit Coils – Platinspiralen in geeigneter Größe – ausfüllt.

Was tun bei einer inzidentellen Diagnose?

4 bis 5 Prozent der Bevölkerung sind Hirnaneurysmaträger. Identifiziert werden Aneurysmen unter anderem im Rahmen einer Kopfschmerzabklärung. Laut Leitlinie sollen Aneurysmen ab 7 Millimetern Größe therapiert werden, weil sie dann statistisch eine hohe Tendenz zur Blutung haben. Demgegenüber zeigt die Erfahrung, dass 85 Prozent der Patienten mit SAB Aneurysmen tragen, die kleiner als 7 Millimeter sind. „In unserem Team berücksichtigen wir daher bei der Entscheidung zum einen die Größe, zum anderen aber auch die Lokalisation und die Konfiguration“, beschreibt Prof. Dr. Berlis. So bluten Aneurysmen besonders häufig, wenn sie an der Arteria communicans anterior oder an der Arteria basilaris angesiedelt sind, und kugelförmige Aneurysmen sind weniger blutungsgefährdet als irregulär geformte. Der Neuroradiologe: „Wir therapieren daher auch bei einer Größe unter 7 Millimetern, wenn Risikofaktoren präsent sind.“

Ein Gebiet mit dynamischer Innovation

Die Vielfalt der verfügbaren Systeme ermöglicht es, nahezu alle Aneurysmen interventionell zu behandeln – so gibt es 3-D-konfigurierte superweiche und weiche, mit einem resorbierbaren Faden beschichtete sowie schwellende Coils jeder Größe sowie Ballons für das Remodeling und Stents für stentunterstütztes Coiling und Spezialstents wie etwa feinmaschige Flussbegradiger und Flow Diverter für Behandlungen ohne Coils bei zum Beispiel großen oder gigantischen Aneurysmen. Innovative Behandlungstechniken erzielen höhere Verschlussraten und durch das perfektionierte Komplikationsmanagement „ist die Komplikationsrate inzwischen von 3 bis 7 Prozent auf 3 Prozent zurückgegangen“, fasst der Experte den aktuellen Stand zusammen.

Die Methode der Wahl

„Die Behandlung über das Gefäßsystem ist seit der abgebrochenen ISAT-Studie bei ruptierten Hirnaneurysmen die Methode der Wahl“, unterstreicht Prof. Dr. Berlis. Eine aktuelle US-Studie zeigt bei knapp 5.000 elektiven Patientenbehandlungen bessere Ergebnisse bei Behandlungen über das Gefäßsystem im Vergleich zur operativen Versorgung mit Clip. „Das gilt also nun auch für nicht geblutete Aneurysmen.“ Nur in Fällen, in denen eine interventionelle Versorgung nicht möglich ist oder großräumige Blutungen vorliegen, sollte man operativ eingreifen. „In Augsburg therapieren wir über 90 Prozent der Aneurysmen über das Gefäßsystem – in diesem Jahr bis Anfang Oktober 105 Aneurysmen.“

Kaum ein anderes Feld der Medizin zeichnet sich derart durch Innovation aus wie die Neuroradiologie, unterstreicht Prof. Dr. Berlis – das ist auf die zunehmenden Behandlungszahlen in den vergangenen zehn Jahren zurückzuführen. Um die Kompetenz bei neuen Methoden in die Breite zu tragen, engagieren sich seit über einem Jahr die Deutsche Gesellschaft für Neuroradiologie (DGNR) und die Deutsche Gesellschaft für Interventionelle Radiologie (DeGIR) im Rahmen einer Zertifizierungsaktion zur Qualifizierung von Radiologen in der interventionellen Neuroradiologie.

Differenzierung der Subarachnoidalblutungen

Diese Blutungen können nicht traumatisch ebenso wie traumatisch auftreten. Sie unterscheiden sich von Blutungen im Bereich der harten Hirnhäute. Bei traumatischen SAB, etwa im Rahmen eines Unfalls, werden kleinere Gefäße im Subarachnoidalraum verletzt; sie liegen häufig an der Hirnoberfläche und sind daher gut von den nicht traumatischen zu unterscheiden. Nicht traumatische SAB werden meist durch Hirnaneurysmen verursacht. Seltenere Ursachen sind arteriovenöse Gefäßmissbildungen wie durale AVF (arteriovenöse Fistel) oder AVM (arteriovenöse Malformation). Selten können Blutungen auch vom Rückenmark der Wirbelsäule ausgehen; mögliche Ursachen sind Tumoren, Gefäßfehlbildungen und Aneurysmen.

IM PROFIL

Seit Mai 2008 ist Prof. Dr. Ansgar Berlis Chefarzt für Diagnostische und Interventionelle Neuroradiologie an der Klinik für Diagnostische Radiologie und Neuroradiologie am Klinikum Augsburg. Außerdem hat er einen Lehrauftrag in Freiburg. Vorher arbeitete er acht Jahre als Oberarzt in der Neuroradiologie des Universitätsklinikums Freiburg und Leiter der Interventionellen Neuroradiologie. Diese Position folgte auf die radiologische Ausbildung am Universitätsklinikum Bonn, nach der Tätigkeit in der Neuroradiologie und Neurochirurgie am Universitätsklinikum Freiburg. Prof. Berlis’ wissenschaftlicher Schwerpunkt in der Neuroradiologie liegt auf der Behandlung von Schlaganfällen, Aneurysmen und arteriovenösen Fehlbildungen.

12.11.2013

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