Zielgerichtete Rheuma-Diagnostik
Das Kreuz mit den Kreuzschmerzen
Der Stellenwert der MRT in der Diagnostik von Rheuma-Erkrankungen nimmt stetig zu, seit es die hochauflösende Technik gibt.
Zusammen mit der Sonographie ist sie heute ein definitiver Bestandteil der Rheuma-Bildgebung nach der Erstdiagnostik durch Röntgen.
Die gute Darstellbarkeit der Weichteilstrukturen der Gelenke ist ein echter Trumpf der MRT und zudem sind einige moderne Therapie-Ergebnisse nur in der Röhre sichtbar, beim konventionellen Röntgen aber gar nicht mehr. Nach Ansicht von Prof. Dr. Franz Kainberger, stellvertretender Leiter der Abteilung für Neuro- und muskuloskelettale Radiologie an der Wiener Universitätsklinik für Radiodiagnostik erwächst daraus aber auch die Verantwortung der Radiologen, schwere rheumatische Erkrankungen frühzeitiger zu erkennen als bisher. An der Universität Wien wurde ein Fragebogen entwickelt, mit dem zukünftig österreichweit Patienten mit spezifischen Kreuzschmerzen, die möglicherweise auf Spondylarthropathien beruhen, herausgefiltert werden sollen.
Denn Kreuzschmerz ist nicht gleich Kreuzschmerz. Gemeinhin werden Patienten mit Rückenbeschwerden für eine radiologische oder eine MRT-Untersuchung der Lendenwirbelsäule in die Radiologie überwiesen, ohne dass die Schmerzen eingehender analysiert werden. Patienten mit Spondylarthropathien, von denen die häufigste Erkrankung der Morbus Bechterew ist, erhalten deshalb oftmals eine negative Diagnose, weil bei dieser Erkrankung Veränderungen an der Lendenwirbelsäule gar nicht oder nur sehr gering ausgeprägt sind. „In Wirklichkeit sitzt der Schmerz nämlich viel tiefer am Sakroiliakalgelenk. Und das hat eine große klinische Bedeutung: Da die Schmerzen beim Morbus Bechterew oft schubweise verlaufen und es keine eindeutigen diagnostischen Bilder gibt, werden die Beschwerden nicht richtig zugeordnet“, erklärt Kainberger. Auch beim Röntgen sind Spondylarthropathien in den ersten drei Jahren nicht erkennbar. „Das heißt im Klartext, dass es heute im deutschsprachigen Raum eine Verzögerung bei der Diagnose von bis zu sieben Jahren gibt, woran wir Radiologen mit unseren falschen negativen Prognosen einen erheblichen Anteil haben dürften“, erläutert der Wiener Professor.
In Wien will man sich diesem Problem nun stellen, indem man zunächst in einer Vorstudie die Prävalenz der Spondylarthropathien evaluiert hat. Diese liegt im Landesdurchschnitt zwischen 1 und 2 Prozent. Auf dieser Grundlage kann nun die national geplante Studie ausgerollt werden, in deren Mittelpunkt die Beantwortung von einem halben Dutzend Fragen durch den Patienten vor der diagnostischen Untersuchung steht. Diese Fragen richten sich vor allem an Patienten zwischen dem 30. und 45. Lebensjahr, weil sie die Hochrisikogruppe darstellen. Drei wesentliche Fragestellungen werden dabei geklärt.
Erstens: Ist der Schmerz bewegungsabhängig? Zweitens: Treten die Schmerzen typischerweise in der Nacht auf? Und drittens: Ist der Schmerz ein tiefsitzender Kreuzschmerz etwa in Beckenhöhe? „Wenn der Patient alle Fragen bejaht, intensivieren wir die Diagnostik mit zusätzlichen Aufnahmen des Sakroiliakalgelenks und möglicherweise auch mit Kontrastmittelaufnahmen, damit wir die Patienten mit Spondylarthropathien präzise erkennen“, schildert Kainberger das am Universitätsklinikum Wien bereits praktizierte Vorgehen. Langfristig hofft Studienleiter Kainberger, damit die Latenzzeit von Morbus Bechterew und Co. signifikant verkürzen zu können. Ebenso entscheidend wie bei den Spondylarthropathien ist die Anwendung der richtigen Untersuchungstechnik auch bei der Beurteilung rheumatoider Arthritis an den Extremitäten. Die Grundregel der Rheumatologie, Füße und Hände immer gemeinsam abzubilden, lässt sich aber mit der Magnetresonanztomographie nur sehr schwer umsetzen. Für die Untersuchung der Hände werden die Patienten gern in der Superman-Position gelagert, das heißt, der Patient liegt auf dem Bauch und hält die Arme über dem Kopf. Für Rheumakranke ist das halbstündige Verharren in dieser Stellung aber sehr schmerzhaft. „In Wien bevorzugen wir ein Protokoll, bei dem die Patienten in Rückenlage untersucht werden, mit der Spule vor den Oberschenkeln. Durch den Einsatz von Hilfsmitteln zur Abstützung der Patienten und zur Vermeidung von Bewegungsartefakten bekommt man sehr gute Ergebnisse in komfortabler Lagerung“, sagt Prof. Kainberger. Zudem ist es dadurch möglich, die Bildgebung beider Hände in einem Untersuchungsgang abzubilden. „Bisher ist diese Technik noch wenig bekannt, weil die Bildgebung der Extremitäten stark von sportmedizinischen und degenerativen Fragestellungen abhängig ist. Aber wenn man ein bisschen spielt und mit ein paar Kniffen arbeitet, bekommt man die schmerzfreie Untersuchung sehr gut hin – und das ist schließlich unser Job, oder?“
I M P R O F I L
Prof. Dr. Franz Kainberger absolvierte von 1976 bis 1983 sein Medizinstudium in Innsbruck und die Facharztausbildung für Radiologie im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Wien und am Allgemeinen Krankenhaus Wien. Seit 1992 ist er an der Universitätsklinik für Radiodiagnostik Wien tätig, derzeit als stellvertretender Leiter der Abteilung für Neuro- und muskuloskelettale Radiologie. Von 2004 bis 2007 als Mitglied der Curriculumdirektion des Diplomstudiums der Humanmedizin tätig, hat er diese Funktion seit 2011 erneut inne. Prof. Kainberger hat 213 Original- und Übersichtsarbeiten als Autor oder Koautor in nationalen und internationalen wissenschaftlichen Journalen sowie 63 Buchbeiträge beziehungsweise Bücher publiziert. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich der bildgebenden Diagnostik des Muskel-Skelett-Systems und des Kopf-Hals-Bereiches, in der computerassistierten Radiologie und im medizinischen Strahlenschutz. Seit 2011 ist er Präsident der Gesellschaft der Ärzte in Wien und zudem in verschiedenen Funktionen in der European Musculoskeletal Society tätig.
25.09.2012