Blutschwämme mit Herzmittel verschwinden lassen

Drei bis zehn Prozent aller Säuglinge entwickeln Blutschwämme. Über 85 Prozent der sogenannten Hämangiome bilden sich von selbst zurück. Wachsen sie schnell oder sitzen sie an kritischen Stellen wie Augen, Lippen oder After, muss der Kinderchirurg sie mit Laser, Vereisung oder Skalpell behandeln. Doch nicht immer ist dies vollständig möglich. Viele Kinderchirurgen setzen deshalb das Herzmittel Propranolol ein, um die Blutschwämmchen medikamentös schrumpfen zu lassen.

Dass der seit Jahrzehnten bekannte Blutdrucksenker hier wirksam ist, ist vor einigen Jahren zufällig in Frankreich entdeckt worden. In Deutschland ist er seit April 2014 dafür nun offiziell zugelassen. Eine jetzt im „New England Journal of Medicine“ veröffentlichte Studie bestätigt, dass diese Therapie sicher und sinnvoll ist. Die Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie (DGKCH) sieht daher im Einsatz des Herzmittels Propranolol ein wichtiges Instrument bei der Behandlung von Hämangiomen.

Blutschwämmchen sind oft nur millimetergroße hellrote bis bläuliche Flecke auf der Haut. Mitunter erstrecken sie sich aber auch auf deutlich größere Hautflächen. Um einer problematischen Größenzunahme beziehungsweise funktionellen oder ästhetischen Komplikationen vorzubeugen, müssen Ärzte Blutschwämme oft schon im Frühstadium behandeln. „Dies betrifft häufig Hämangiome im Gesicht“, erläutert Professor Dr. Rainer Grantzow, Coautor der Studie und Kinderchirurg an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Blutschwämme nahe den Augen etwa können unbehandelt zur Erblindung führen. An der Nase führen sie mitunter zu entstellenden und dauerhaften Veränderungen, an den Lippen verbleiben erfahrungsgemäß oft Reste. Doch große, rasch wachsende oder komplizierte Hämangiome lassen sich mit bisherigen Maßnahmen wie Kältetherapie, Laser und OP oft nicht ausreichend oder schonend genug behandeln. Zudem bleiben oft Narben und therapiebedürftige Hautveränderungen zurück. „Deshalb greifen wir in solchen Fällen seit einigen Jahren auf Propranolol zurück“, berichtet Professor Grantzow. Seit etwa fünf Jahren ist es im sogenannten „Off-Label-Use“ im Einsatz. Daten aus qualitativ hochwertigen klinischen Studien über die optimale Dosierung und mögliche Nebenwirkungen fehlten bislang.

Diese Lücke schließt nun die aktuell veröffentlichte internationale Studie einer Forschergruppe unter französischer Leitung: Insgesamt hatten sie 456 Kinder mit wachsenden Hämangiomen in die Studie einbezogen. Von diesen erhielten 55 ein Scheinmedikament, ein sogenanntes Placebo. Eine Gruppe von 188 Patienten nahm drei Milligramm Propranolol pro Kilogramm Körpergewicht über 24 Wochen ein. Mit Erfolg: Insgesamt sprachen 88 Prozent der kleinen Patienten positiv auf die Therapie an. Bei 60 Prozent aller Behandelten bildeten sich die Hämangiome vollständig oder nahezu vollständig zurück – gegenüber vier Prozent bei den Kindern mit Placebo. Die geringen Nebenwirkungen wie Kreislaufprobleme waren in beiden Gruppen vergleichbar. Jedoch traten bei zehn Prozent der zunächst erfolgreich behandelten Kinder die roten Male später wieder auf.

„Auch wenn es leider hin und wieder zu einem solchen „Rebound-Effekt“ kommt, ist der Einsatz von Propranolol eine unverzichtbare Therapieoption“, stellt Dr. Tobias Schuster, Pressesprecher der DGKCH und Chefarzt der Klinik für Kinderchirurgie in Augsburg, fest. „Mit dem Medikament können wir den Kindern eine nach dem heutigen Erkenntnisstand sichere und zumeist auch wirkungsvolle Behandlung anbieten“. Um alle therapeutischen Möglichkeiten optimal auszuschöpfen und dabei gleichzeitig eine Übertherapie zu vermeiden empfiehlt er Eltern, Blutschwämme möglichst frühzeitig einem Kinderarzt oder Kinderchirurgen vorzustellen.

 

Publikation: N Engl J Med 2015; 372:735-746 February 19, 2015 DOI: 10.1056/NEJMoa1404710

Quelle: Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie (DGKCH)

11.03.2015

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