Artikel • Kongress zur kritischen Extremitätenischämie

Amputationen durch neueste Verfahren vermeiden

60.000 Amputationen werden jährlich in Deutschland im Beinbereich durchgeführt. Viel zu viele, sagt Dr. Michael Lichtenberg, Chefarzt der Klinik für Angiologie am Klinikum Hochsauerland in Arnsberg. Der 1. Nationale interdisziplinäre Kongress zur kritischen Extremitätenischämie vom 13.-14. Juni in Düsseldorf soll daher Mediziner aus allen beteiligten Fachdisziplinen zusammen bringen, um die Zahl der Amputationen zu verringern.

Bericht: Sonja Buske

portrait of michael lichtenberg
Dr. Michael Lichtenberg ist Chefarzt der Klinik für Angiologie am Klinikum Hochsauerland in Arnsberg und einer der Leiter des Kongresses.

Lichtenberg ist einer der vier wissenschaftlichen Leiter des Kongresses. „Es werden zwar zunehmend weniger komplette Bein- oder Unterschenkelamputationen durchgeführt, aber leider vermehrt Zehen und Teile des Fußes“, weiß Lichtenberg. Das Problem in Deutschland ist, dass die einzelnen Disziplinen nicht genügend kommunizieren. „Der Angiologe spricht nicht mit dem Gefäßchirurgen und der Radiologe nicht mit dem Diabetologen. Deshalb müssen wir all diese Experten zusammenbringen, um Wege zu finden, mit welchen neuen Methoden sich Extremitäten retten lassen!“

Hausärzte mit ins Boot holen

50 Referenten stehen neben ihren Vorträgen an beiden Tagen für Diskussionen und Fragen zur Verfügung; „Die führenden Köpfe Deutschlands auf diesem Gebiet“, wie Lichtenberg betont. Neben Angiologen, Gefäßchirurgen, Wundexperten, Radiologen und Diabetologen werden auch viele Hausärzte am Kongress teilnehmen, die täglich Patienten mit Wunden in der Nachsorge betreuen: „Es ist mir besonders wichtig die Hausärzte mit ins Boot zu holen und eine engmaschige Kommunikation zu führen“, so Lichtenberg.

72-jähriger dialysepflichtiger Mann mit Nekrosen an D I-IV rechts....
72-jähriger dialysepflichtiger Mann mit Nekrosen an D I-IV rechts. Angiographisch Verschluss der A. tibialis anterior und posterior. Revaskularisation siehe Abbildung weiter unten.

Verknüpfung von Theorie und Praxis: Live-OP

Für die Verknüpfung von Theorie und Praxis haben sich die Deutsche Gesellschaft für Angiologie und die Deutsche Gesellschaft für Gefäßchirurgie als Initiatoren etwas Besonderes einfallen lassen: Live-Übertragungen aus Operationssälen in den Konferenzraum sollen das zuvor theoretisch vermittelte Wissen praktisch ergänzen. Lichtenberg weiß genau, warum: „Der Hausarzt steht nicht im OP. Durch die Live-Übertragung kann er die Zusammenhänge bei der Operation besser nachvollziehen und auch deren Auswirkungen viel besser beurteilen.“

Dieser Artikel könnte Sie auch interessieren

Photo

News • Kritische Extremitäten-Ischämie

Kongress: Amputationen interdisziplinär vermeiden

Rund 60.000 Amputationen werden jedes Jahr in Deutschland durchgeführt, häufigste Ursache ist eine arterielle Verschlusskrankheit (pAVK). „Die Zahl der Amputationen ist erschreckend hoch. Kritisch zu betrachten ist besonders die Tatsache, dass bei rund 35 bis 40 Prozent der Patienten die Gefäße vorher gar nicht genau untersucht worden sind“, sagt Dr. Michael Lichtenberg, Chefarzt der…

Erklärtes Ziel: Austausch untereinander

Es gibt sehr viele neue Möglichkeiten, auch kleinste Blutgefäße wieder zu rekonstruieren und durch Durchblutungsstörungen entstandene Wunden zum Abheilen zu animieren

Michael Lichtenberg

Hauptursache für eine Amputation sind laut dem Experten in 90 Prozent der Fälle Durchblutungsstörungen, ausgelöst durch langjährigen Diabetes, starken Nikotinkonsum oder eine Dialyse. Durch starke Gefäßverschlüsse stirbt das Gewebe ab und der Patient läuft Gefahr, Füße und Beine zu verlieren. „Früher wurden diese Gefäßverschlüsse ausschließlich durch Bypass-Operationen beseitigt. Der Blutfluss wurde dabei dank einer künstlichen Umleitung um den Verschluss herumgeführt. Diese Methode funktioniert leider nur bei großen Gefäßen“, erklärt Lichtenberg. Dann entwickelte sich das Ballondilatations- bzw. Stentverfahren, bei dem mittels kleinster Katheter der Verschluss aufgedehnt wird. „Inzwischen ist diese Technik sogar bis in die allerkleinsten Gefäße möglich und wird immer filigraner“, weiß der Experte. Auch neue medikamentöse Therapien helfen, Amputationen zu vermeiden. Lichtenberg: „Es gibt sehr viele neue Möglichkeiten, auch kleinste Blutgefäße wieder zu rekonstruieren und durch Durchblutungsstörungen entstandene Wunden zum Abheilen zu animieren. Deshalb ist es uns sehr wichtig, dass alle Disziplinen miteinander ins Gespräch kommen, sich austauschen, und neueste, modernste Verfahren und Techniken kennenlernen, um Amputationen zu vermeiden.“ Thematisch werden bei diesem Kongress daher sowohl operative als auch minimal-invasive Verfahren sowie der Bereich der Wundtherapie behandelt.

Gleicher Patient wie in oberer Abbildung. Nach Revaskularisation der A....
Gleicher Patient wie in oberer Abbildung. Nach Revaskularisation der A. tibialis posterior zeigt sich ein sehr guter Einstrom in den Vorfuß.

Problem: Neu bedeutet teuer

Ein großes Problem gibt es laut Lichtenberg jedoch und er verdeutlicht: „Neu bedeutet auch immer teuer. Oft werden daher sinnvolle und innovative Methoden nicht von den Krankenkassen übernommen. In einem so entwickelten Land wie Deutschland können wir aber nicht akzeptieren, dass lieber amputiert wird, als eine teure alternative Behandlung zu bezahlen.“ Die Lösung könnten an dieser Stelle klinische Studien sein. Viele große Kliniken führen erfolgsversprechende Verfahren im Rahmen von Studien durch. Auch hier soll der Kongress eine Brücke schlagen und niedergelassene Kollegen mit Kliniken zusammenführen, die derartige Studien anbieten.

Blick über den Tellerrand: Delegation aus den USA

Besonders erfreut ist Lichtenberg darüber, dass der Kongress auch außerhalb Deutschlands für  Aufsehen sorgt. So hat die CLI Global Society, die größte Gesellschaft für kritische Durchblutungsstörungen in den USA, direkt nach Bekanntgabe des Kongresses ihr Interesse an der Veranstaltung bekundet und zugesagt, eine Delegation zu schicken, die einen Vortrag über die transatlantische Zusammenarbeit hält. Lichtenberg: „Wir freuen uns über das rege Interesse, das zeigt, dass der interdisziplinäre Austausch auf diesem Gebiet offenbar in vielen Ländern gelebt wird, und wir nun durch den Kongress voneinander profitieren können.“ Unterm Strich muss für Lichtenberg am Ende stehen: Wir reden miteinander – zum Wohle des Patienten!


Profil:

Dr. Michael Lichtenberg ist Chefarzt der Klinik für Angiologie am Klinikum Hochsauerland in Arnsberg und Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie, Angiologie und Intensivmedizin. Er ist Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Angiologie und einer der vier wissenschaftlichen Leiter des 1. Nationalen interdisziplinären Kongresses zur kritischen Extremitätenischämie. Sein Medizinstudium hat er in Düsseldorf, New Orleans und Houston absolviert.

04.06.2019

Mehr aktuelle Beiträge lesen

Verwandte Artikel

Photo

Artikel •

Chirurgen starten Modellprojekt zur Risikominimierung bei Lungen-OPs

Nicht nur in der Geburtsmedizin, auch in der Chirurgie explodieren die Prämien für Haftpflichtversicherungen. Grund: Die Zahlungen für Behandlungsfehler bei operativen Eingriffen sind in den…

Photo

News • Versiegelung chirurgischer Wunden

Sensorpflaster behält OP-Nähte im Bauch im Blick

Damit Wunden nach einer Operation im Bauchraum dicht verschlossen bleiben, haben Forschende der Empa und der ETH Zürich ein Pflaster mit Sensorfunktion entwickelt.

Photo

News • Vorsorgeuntersuchung

Kardiologenkongress: BVMed unterstützt eigene Vorsorgeuntersuchung für Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Der Bundesverband Medizintechnologie (BVMed) unterstützt die Forderung der Kardiologie-Gesellschaft nach einer eigenständigen Herz-Kreislauf-Vorsorgeuntersuchung.

Verwandte Produkte

Newsletter abonnieren