Artikel • Empfindliche Bauchspeicheldrüse

Akute Pankreatitis – wenn ein Organ sich selbst verdaut

Der Glaube ist gemeinhin weit verbreitet, die akute Pankreatitis sei eine der häufigen, klar beschriebenen Erkrankungen wie die Appendizitis, über die Ärzte viel wüssten.

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Prof. Dr. Andreas G. Schreyer ist Direktor des Instituts für diagnostische und interventionelle Radiologie der Medizinischen Hochschule Brandenburg (MHB)

„Doch der Eindruck täuscht, denn es ist noch nicht vollständig klar, wie die akute Pankreatitis exakt entsteht. Es gibt keine klare Abfolge bei dieser Erkrankung“, betont Prof. Dr. Andreas G. Schreyer, Direktor des Instituts für diagnostische und interventionelle Radiologie der Medizinischen Hochschule Brandenburg (MHB).

Zu den häufigsten Ursachen der Erkrankung zählen Gallengangs-Konkremente sowie der zu massive Alkoholkonsum, die beide mit rund 30 bis 40 Prozent zu einer akuten Pankreatitis beitragen. Ein weiterer Grund liegt in der Empfindlichkeit des Organs. „Das Pankreas ist ein Sensibelchen. Wenn es durch Manipulation bei Operationen innen oder außen zu einer Veränderung oder einer Berührung des Pankreas kommt, kann sehr schnell eine Entzündung entstehen“, erklärt Schreyer.

Ätiologie

Die Komplexität der Erkrankung spielt auch bei der Diagnostik eine Rolle. Meist wird schon beim ersten Verdacht auf Pankreatitis eine Aufnahme angefordert, doch Schreyer mahnt zur Zurückhaltung: „Die Bildgebung der Pankreas sollte frühestens 72 Stunden nach dem ersten Auftreten der potenziellen Entzündung durchgeführt werden, denn erst dann wird diese überhaupt sichtbar. Folglich macht es keinen Sinn, schon am ersten Tag CT oder MRT Untersuchungen eines Patienten mit Verdacht auf akute Pankreatitis zu machen.“

Grundsätzlich hält der Radiologe die MRT auf Grund ihrer Sensitivität und ihrer Genauigkeit in der Beurteilung für eine exzellente diagnostische Methode, mit der sich eine nekrotisierende von einer interstitiellen Pankreatitis gut unterscheiden lässt. „Allerdings haben wir es jedoch zumeist mit schwer kranken Patienten zu tun, die in der Regel in der MRT nicht adäquat überwacht werden können und die aufgrund ihrer starken Bauchschmerzen bei teilweise ähnlichen Symptomen wie beim akuten Abdomen nicht ruhig liegen können“, erklärt der Radiologe. Daher ist für Schreyer in den meisten Fällen „die CT prinzipiell die Methode der Wahl.“

Atlanta-Klassifikation

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Parenchymnekrose mit akuter Pankreatitis an der Cauda pancreatis (kontrastgestützte CT)

Hinsichtlich der Befundung der Erkrankung plädiert Schreyer für die Terminologie, die auf der revidierten Atlanta-Klassifikation von 2012 beruht. Dabei gibt es prinzipiell eine klinische und eine bildgebende Einteilung. Klinisch wird der Schweregrad der akuten Pankreatitis unterteilt in eine leichte Form, ohne lokale (Nekrosen) und systemische Komplikationen (Organversagen); eine milde (moderate) Form mit lokalen oder systemischen Komplikationen oder passagerem Organversagen, das sich innerhalb von 48 Stunden bessert. Sie tritt in 80 bis 90 Prozent der Fälle auf.

Die aggressivsten (severe) Formen der Pankreatitis sind solche, bei denen der Patient eine Nekrose hat, die die Bauchspeicheldrüse selbst betrifft, nicht nur das Fettgewebe. Die aggressive Pankreatitis macht rund zehn Prozent der Fälle aus. Dabei kommt es zu einer Andauung des Pankreasganges. „Hier geht es um eine Erkrankung, die sich selbst füttert, in dem sich das aggressive Pankreassekret ständig selbst an der Drüse andaut. Ein Organ, das sich selber verdaut, ist eine katastrophale Situation mit einer Mortalitätsrate zwischen 20 und 40 Prozent.“

Bei der radiologischen Einteilung fließen lokale Komplikationen wie das Auftreten von Flüssigkeitsverhalten in die Befundung ein. Bei der milderen Form können in der Frühphase, also innerhalb der ersten 1-4 Wochen, die akute peripankreatische Flüssigkeitskollektion (APFC – acute peripancreatic fluid collection) auftreten. Spätnekrosen (dauern länger als vier Wochen an) werden in Pseudozysten und raumfordernde Nekrosen mit Wandbildung (walled-off-necrosis, WON) bei der nekrotisierenden Pankreatitis unterteilt. „Vor der Atlanta-Klassifikation wurde der Begriff Pseudozyste eher inflationär verwendet. Inzwischen darf ich diesen Begriff nur noch verwenden, wenn eine interstitielle Pankreatitis vorliegt, also in der Spätphase“, berichtet Schreyer.

Patient mit nekrotisierender akuter Pankreatitis (links) T2-gewichtete MRT mit...
Patient mit nekrotisierender akuter Pankreatitis (links) T2-gewichtete MRT mit Nekrosen in der Pankreasloge – rechts derselbe Patient im kontrastgestützten CT mit vollständiger Nekrose des Pankreas.

Arbeitsgruppe

Obwohl die Atlanta-Klassifikation seit 2012 publiziert wird, hat sie sich in Deutschland noch nicht durchgesetzt, bedauert Schreyer. „Die Atlanta-Klassifikation ermöglicht eine klare und strukturierte Terminologie, die es den klinischen zuweisenden Kollegen wie Gastroenterologen oder Chirurgen und der Radiologen ermöglicht, eine einheitliche Sprache zu verwenden“, sagt Schreyer. Daher blickt der Radiologe hoffnungsvoll auf die 2019 eingesetzte Arbeitsgruppe, die die erste deutsche Leitlinie zum Thema akute Pankreatitis erarbeiten soll. „Für die chronische Pankreatitis gibt es bereits eine Leitlinie, doch die akute Pankreatitis, die noch häufiger auftritt, haben wir etwas vernachlässigt. Ich bin sicher, dass die Leitlinie einen Innovationsschub auslösen wird, vor allem hinsichtlich einer präziseren und einheitlichen Sprache“, so Schreyer abschließend.


Profil:

Prof. Dr. Andreas Schreyer, MHBA, leitet seit Februar 2019 das Institut für diagnostische und interventionelle Radiologie am Klinikum Brandenburg und hat seit April 2019 den Lehrstuhl Radiologie der Medizinischen Hochschule Brandenburg (MHB). Zuvor war er als stellvertretender Direktor der Radiologie am Universitätsklinikum Regensburg tätig. Schreyer war zwei Jahre lang MRI Research Fellow an der Harvard Medical School in Boston. Nach der Habilitation in Radiologie im März 2007 wurde er im Juni 2011 von der Universität Regensburg zum außerplanmäßigen Professor berufen. Im September 2009 legte er an der Universität Erlangen/Nürnberg seinen Master of Health Business Administration ab.


Veranstaltungshinweis:

Freitag, 24.01.2020, 14.40-15.00 Uhr

Akute Pankreatitis          

Andreas Schreyer (Brandenburg)

Session: Akutes Abdomen

24.01.2020

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