Nahinfrarotspektroskopie
Blick ins Gehirn sagt Entscheidungen voraus
Neuste Studien haben gezeigt, dass das Gehirn Entscheidungen über visuelle und auditive Reize trifft, indem es auf bereits abgespeicherte sensorische Befunde zurückgreift. Dieser Prozess wird von einem neuronalen Netz im vorderen Stirnlappenbereich und im hinteren Parietalbereich des Gehirns gesteuert.
Ksander de Winkel und seine KollegInnen aus der Abteilung von Prof. Bülthoff am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik haben untersucht, ob diese Erkenntnisse auch für Entscheidungen in Bezug auf Eigenbewegungsreize (passive Bewegung des eigenen Körpers) gelten. Aus den Ergebnissen ging hervor, dass die WissenschaftlerInnen vorhersagen konnten, wie gut eine Versuchsperson in der Lage war, die Intensität der unterschiedlichen Bewegungen auseinanderzuhalten. Dies ist ein Hinweis darauf, dass eine Anhäufung von sensorischen Befunden der Eigenbewegung im Gehirn ausgewertet wird. Die Neuronen in diesem Netzwerk verwenden unterschiedliche sensorische Informationsquellen, um Entscheidungen zu treffen und sind nicht auf visuelle und vestibuläre (den Gleichgewichtssinn betreffende) Modalitäten angewiesen. Daher sprechen diese Erkenntnisse für die Annahme, dass das Netzwerk von präfrontalen und parietalen Neuronen ‚modalitätsunabhängig‘ ist.
Die ForscherInnen ließen die Versuchspersonen in einem Bewegungssimulator Platz nehmen und rotierten sie so, dass ihre Wirbelsäulen dabei vertikal zur Erdachse ausgerichtet waren. Genauer gesagt, erlebten die ProbandInnen mehrmals zwei aufeinanderfolgende Rotationen, bei denen eine jeweils etwas intensiver war als die andere. Die Reihenfolge der kleineren und größeren Rotation war dabei jeweils zufällig und die VersuchsteilnehmerInnen sollten beurteilen, welche der beiden Rotationen intensiver war. Während die TeilnehmerInnen die Aufgabe durchführten, wurde der Blutfluss in den präfrontalen und parietalen Bereichen mit einer neuartigen Technik, der funktionellen Nahinfrarotspektroskopie (fNIRS), gemessen. Die WissenschaftlerInnen nutzten diese Aufzeichnungen anschließend, um zu untersuchen, ob es möglich war, die Beurteilungen der Teilnehmer für jedes einzelne Rotationspaar vorherzusagen.
Bisher gibt es nur wenige Untersuchungen über Hirnaktivitäten von ProbandInnen oder PatientInnen in Bewegung, da Messungen mit geläufigen neuronalen Bildgebungsverfahren, wie der Elektroenzephalographie (EEG) oder der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRI), durch Bewegungen des Körpers und elektromagnetische Inferenzen, wie beispielsweise elektrische Störsignale in Fahrzeugen, verzerrt werden. Dies ist bei fNIRS jedoch nicht der Fall. Infrarotlicht wird durch die Kopfhaut in das Hirngewebe gestrahlt, wodurch die Reflektion gemessen werden kann. Da die Lichtintensität des Infrarotlichts sehr gering ist, ist diese Methode nicht invasiv und daher harmlos. In den aktiven Hirnregionen steigen der Blutfluss und der Sauerstoffgehalt an (hämodynamische Reaktion), was mithilfe dieser Methode erfasst werden kann. Dadurch können Schlussfolgerungen über Aktivitäten in den betroffenen Hirnregionen gezogen werden.
„Diese Methode ist sehr vielversprechend“, freut sich de Winkel. „Bisher mussten wir uns auf das verlassen, was die Versuchsteilnehmerinnen uns über ihre Wahrnehmung berichten konnten. Nun erhalten wir einen direkten Einblick in das Gehirn.“ Aus den Ergebnissen ging hervor, dass die WissenschaftlerInnen vorhersagen konnten, wie gut eine Versuchsperson die jeweiligen Rotationen voneinander unterscheiden konnte. Dies zeigt wiederum, dass die untersuchten Hirnregionen tatsächlich eine Rolle bei der Entscheidungsfindung in Bezug auf Eigenbewegung spielen. Je mehr sensorische Befunde die ProbandInnen sammeln, desto besser können sie die beiden Rotationen voneinander unterscheiden. „Wenn wir wissen, wie das Gehirn Entscheidungen trifft und welche Bereiche daran beteiligt sind, dann können wir diesen Gehirnarealen spezifische Verhaltensprobleme und physische Traumata zuordnen“, erklärt de Winkel. Zudem spornen die Ergebnisse dazu an, fNIRS als neuronales Bildgebungsverfahren bei ProbandInnen anzuwenden, die sich in Fahrzeugen und Simulatoren befinden. Insbesondere angesichts der Tatsache, dass konventionelle neuronale Bildgebungsverfahren sich nicht dafür eignen. Dies würde den Weg für eine völlig neue Forschung ebnen.
Quelle: Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik
21.06.2017