Robert-Koch-Preis

Forscher entschlüsseln zentrale Mechanismen der Immunabwehr

Die Robert-Koch-Stiftung verleiht den mit 120.000 Euro dotierten Robert-Koch-Preis 2017 zu gleichen Teilen an die Professoren Rafi Ahmed, Emory University und Emory Vaccine Center, Atlanta, USA, und Antonio Lanzavecchia, Institute for Research in Biomedicine, Università della Svizzera italiana, Bellinzona, und ETH Zürich, Schweiz. Mit dem Preis werden die bahnbrechenden Forschungsarbeiten beider Immunologen zur Regulation des Immunsystems und ihre zukunftsweisenden Beiträge zur Entwicklung neuer Impfstoffe und Immuntherapien gewürdigt.

Die Träger des Rober-Koch-Preises 2017 Rafi Ahmed (von links) und Antonio...
Die Träger des Rober-Koch-Preises 2017 Rafi Ahmed (von links) und Antonio Lanzavecchia; rechts der Träger der Robert-Koch-Medaille in Gold Robert T. Walsh.
Quelle: RKI

Christopher T. Walsh, emeritierter Professor an der Harvard Medical School in Boston, USA, erhält die Robert-Koch-Medaille in Gold für sein Lebenswerk als Pionier der „Chemischen Biologie“ und Impulsgeber bei der Suche nach pharmakologisch wirksamen Substanzen, insbesondere neuen Antibiotika. Die Preise und die Auszeichnung werden während eines Festakts am 3. November 2017 in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften in Berlin überreicht.

Rafi Ahmed erhält den Robert-Koch-Preis für seine wegweisenden Studien zum immunologischen Gedächtnis und zur „Erschöpfung“ von T-Gedächtniszellen, die sich auch für die klinische Forschung und Behandlung als überaus fruchtbar erwiesen haben. Die Frage, wie „Gedächtniszellen“ die Erinnerung an eine einmal erlernte Immunreaktion zeitlich praktisch unbegrenzt speichern können, wurde zum Leitmotiv seiner Forschungstätigkeit. Mehrere Arbeiten waren regelrechte „Gamechanger“, mit denen Ahmed eine radikale Abkehr von vermeintlich gesicherten Glaubenssätzen vollzog. Dies gilt beispielsweise für den Nachweis, dass virusspezifische CD8-T-Gedächtniszellen keineswegs eines permanenten Stimulus durch geringe Mengen entsprechender Antigene bedürfen, wie man noch bis zur Mitte der 90er Jahre glaubte. Es handelt sich vielmehr um eine diesen Zellen selber innewohnende („inhärente“) Eigenschaft, die es ihnen ermöglicht, bei einer erneuten Infektion mit dem gleichen Krankheitserreger schneller und effektiver zu reagieren. Zudem fand Ahmed im Knochenmark langlebige Plasmazellen, die dafür sorgen, dass Antikörperantworten nach Infektionen oder Impfungen dauerhaft aufrechterhalten werden.

Meilensteine waren seine Entdeckung eines „Erschöpfungszustands“, in den T-Zellen durch die anhaltende Stimulation bei einer chronischen Virusinfektion geraten, sowie der Nachweis, dass diese Bremswirkung hauptsächlich auf den hemmenden („inhibitorischen“) Einfluss des „PD-1“-Rezeptors zurückzuführen ist. Dass chronische Infektionen mit einer verringerten T-Zell-Immunität einhergehen, war bekannt. Man hatte angenommen, dass die virus-spezifischen T-Zell-Antworten bei chronischen Infektionen entweder gar nicht mehr generiert oder diese T-Zellen dabei zerstört würden. Auch bei einer chronischen Infektion sind jedoch sehr wohl virusspezifische CD8-T-Zellen vorhanden, wie Ahmed zeigen konnte. Nur können sie ihre Abwehrfunktion nicht mehr erfüllen. Mit einem Mal tat sich die Möglichkeit auf, diesen „erschöpften“ T-Zellen neues Leben einzuhauchen und ihre Funktionsfähigkeit wiederherzustellen. Ahmed konnte anschließend nachweisen, dass „erschöpfte“ CD8-T-Zellen den hemmenden „PD-1“-Rezeptor verstärkt exprimieren und sich ihre Funktion durch eine In vivo-Blockade des inhibitorischen Signalwegs wiederherstellen lässt – mit der Folge einer Viruskontrolle. Diese Verknüpfung von T-Zell-Erschöpfung und „PD-1“ trieb die Entwicklung von gegen „PD-1“ gerichteten Immunotherapien bei chronischen Infektionen und Krebs maßgeblich voran. „PD-1“-Inhibitoren wurden bereits klinisch getestet und für die Behandlung verschiedener Tumorerkrankungen zugelassen, darunter Lungen-, Haut- und Blasenkrebs.

Für Rafi Ahmed ist das Potential dieser neuen Behandlungsstrategien noch längst nicht ausgeschöpft. In seinem Labor ist man aktuell auf der Suche nach weiteren Faktoren, die bei chronischen Erkrankungen als „Immunbremse“ fungieren und sich für eine Kombinationstherapie mit der „PD1“-Blockade eignen, wozu auch therapeutische Impfstoffe gehören. Parallel zu seinen grundlegenden Entdeckungen brachte Ahmed an der Emory University in Atlanta eines der weltweit größten Impfforschungszentren auf den Weg, das sich u.a. bei der Suche nach Vakzinen gegen HIV, Hepatitis, Tuberkulose, Malaria sowie einem universalen Grippeimpfstoff engagiert.

Antonio Lanzavecchia gilt als einer der einflussreichsten Immunologen der Gegenwart. Kennzeichnend für sein umfangreiches Werk ist - neben der enormen Bandbreite - die große Weitsicht, mit der sich der Forscher in die molekularen Details der menschlichen Immunabwehr vertiefte. Für Lanzavecchia verband sich damit immer auch die Hoffnung auf bessere Impfstoffe und wirkungsvollere Immuntherapien. Auf grundlegende Untersuchungen zur hoch effizienten Arbeitsteilung zwischen antigen-spezifischen T- und B-Zellen bei der adaptiven Immunabwehr folgten Mitte der 90er Jahre eingehende zellbiologische Studien zum Reifungsprozess so genannter Dendritischer Zellen, denen es als „Wachposten“ unseres Immunsystems obliegt, eindringende Pathogene und Antigene abzufangen und den Zellen der Immunabwehr zu präsentieren.

Auch Lanzavecchias Unterscheidung zwischen zwei funktionell voneinander unterschiedenen Hauptgruppen von Gedächtnis-T-Zellen - den von ihm so genannten „zentralen Gedächtnis-T-Zellen“ in den lymphatischen Organen und den „Effektor-Gedächtnis-T-Zellen“ im peripheren Gewebe - ist aus der modernen Immunologie nicht mehr wegzudenken. Sie ist nicht zuletzt für die Entwicklung von T-Zell-basierten Impfstoffen relevant. Die immunologische Grundlagenforschung ist für Lanzavecchia insofern immer auch ein Mittel zum Zweck. Das gilt auch für die Immuntherapien mit monoklonalen Antikörpern, die zunehmend ins Zentrum seiner Aufmerksamkeit rückten. Mit Hilfe revolutionärer Techniken konnte der Wissenschaftler menschliche Gedächtnis-T-Zellen und dann auch virusspezifische B-Gedächtniszellen klonieren, deren Aufgabe darin besteht, bei einer Infektion große Mengen von passgenauen Antikörpern zu produzieren. Lanzavecchia ist es schon mehrfach in erstaunlich kurzer Zeit gelungen, aus dem Blut infizierter Patienten erregerneutralisierende Antikörper zu isolieren, sie zu testen und daraufhin auch in größeren Mengen herzustellen – etwa bei SARS, Ebola, Vogelgrippe oder dem menschlichen Cytomegalovirus (HCMV). Weltweite Schlagzeilen machte er mit der Entdeckung eines natürlichen „Super-Antikörpers“, der alle 16 Subtypen von Influenza-A-Viren erkennt, indem er an ein hochkonserviertes Fragment des viralen Membranproteins „Hämagglutinin“ bindet – was die Hoffnung auf einen universalen Grippe-Impfstoff nährt. Lanzavecchia ist jedenfalls überzeugt, dass solchen Impfstrategien die Zukunft gehört.

Medaille in Gold für ein imposantes Lebenswerk

Christopher T. Walsh gehört zu den Vätern der „Chemischen Biologie“, einer jungen Disziplin an der Schnittstelle von Chemie, Biologie und Medizin. Mit über 800 Publikationen trug Walsh, der sich schon früh auf enzymatische Reaktionen spezialisierte, maßgeblich zur Entschlüsselung der „Chemie des Lebens“ bei. Bahnbrechend waren seine Studien zur Funktionsweise von Antibiotika und den molekularen Mechanismen der Antibiotika-Resistenz. Bereits am Anfang der 90er Jahre konnte Walsh nachweisen, dass Enterokokken nur ein Enzym aus ihrer Zellwand („D-Ala-D-Ala-Ligase“) ein wenig verändern müssen, um die Wirksamkeit des Antibiotikums Vancomycin um das Tausendfache zu verringern.

Zu wissen, dass die Ergebnisse seiner Arbeit auch medizinische Konsequenzen hatten, etwa bei der Suche nach neuen Antibiotika oder Immunmodulatoren, habe er immer als besonders befriedigend empfunden, bekannte Walsh eben erst in einem persönlichen Rückblick auf sein bewegtes Forscherleben.* Wegweisend waren seine Studien zur Blockade enzymatischer Reaktionen durch Hemmstoffe („Selbstmordsubstrate“) oder zur Produktion von selektiv Eisen-Ionen bindenden „Siderophoren“ durch Enterobakterien. Schließlich setzte sich Walsh intensiv mit den allgemeinen Regeln bei der Biosynthese natürlicher Moleküle auseinander, darunter eine Fülle von pharmakologisch wirksamen Substanzen. Kollegen aus den unterschiedlichsten Disziplinen gab Walsh damit das notwendige Rüstzeug für die eigene Arbeit an die Hand. Auch nach Jahrzehnten kann dieser herausragende Forscher noch staunen über die „atemberaubend simple Logik“, nach der mit Hilfe von Enzymen aus einfachen chemischen Grundbausteinen Hunderttausende von strukturell und funktionell ganz unterschiedlichen Molekülen zusammengesetzt werden. In Anlehnung an den Physiknobelpreisträger Frank Wilczek spricht Walsh in diesem Zusammenhang von der „Schönheit im Herzen der Natur“.

 

Quelle: Robert-Koch-Stiftung e.V.

19.06.2017

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