Artikel • MRT mathematisch

„Compressed sensing“ für die MRT

Mit dem Titel seines Vortrags, „Kardiale MRT bei schwierigen Patienten“, kann sich Prof. Dr. Stefan Schönberg nicht so recht anfreunden. „Der Begriff ‚schwierig‘ bezeichnet nicht die Patienten, vielmehr die Untersuchungsbedingungen“, erläutert der Direktor des Instituts für Klinische Radiologie und Nuklearmedizin am Universitätsklinikum Mannheim.

Wie das Mannheimer Team diese schwierigen Untersuchungsbedingungen durch ein neues MRT-Verfahren basierend auf „compressed sensing“ besser in den Griff bekommt, berichtet Schönberg auf dem Garmischer Symposium.

Vier Aspekte sind es hauptsächlich, die für erschwerte Untersuchungsbedingungen verantwortlich sind: Körperlich schwere erkrankte Patienten und Verständnisprobleme, aber auch der steigende Aufwand in Kombination mit einem wachsenden Druck auf die Krankenhäuser, die Durchsatzrate zu steigern, beeinträchtigen den Ablauf der Untersuchung. „Alle vier Rahmenbedingungen erfordern, dass die Untersuchung schnell, gleichzeitig sicher und präzise durchgeführt wird“, erklärt der Institutschef.

Das Herz ist im Grunde ein Muskel, der in der Bildgebung eine Scheibe darstellt. Ist das Herz samt Umgebung einmal erfasst, muss nur noch die Bewegung dieser Scheibe abgetastet werden.

Prof. Dr. Stefan Schönberg

Gerade bei schweren Erkrankungen hat der Patient oft Mühe, auf dem Rücken zu liegen, oder die Atemkommandos zu befolgen. „Fünf Minuten in Rückenlage kann der Patient besser tolerieren als die übliche Dauer von MR-Sequenzen“, weiß Schönberg. Es sei auch eine Erleichterung, den Patienten zu motivieren, nur ein Atemkommando zu befolgen, oder gegebenenfalls ganz darauf zu verzichten. „Mit der neuen Technologie, die wir eingeführt haben, ist dies möglich geworden.“ Gemeint ist das sogenannte „compressed sensing“, das in der MRT Einzug gehalten hat. „Dabei handelt es sich um eine Technologie, die ein bestimmtes Vorwissen in den Bildaufbau einbezieht. Die Anzahl der Bildpunkte, die man braucht, um ein Organ abzutasten oder Informationen aufzunehmen, wird damit dramatisch reduziert“, erklärt der Radiologe. Ein für die Darstellung des Herzens bestens geeignetes Verfahren: „Das Herz ist im Grunde ein Muskel, der in der Bildgebung eine Scheibe darstellt. Ist das Herz samt Umgebung einmal erfasst, muss nur noch die Bewegung dieser Scheibe abgetastet werden – und das ist mit deutlich reduzierter Information möglich. Der Rest wird rechnerisch über die wenigen, sich verändernden Bildpunkte simuliert.“ Der große Vorteil: Die Messung kann dadurch so kurz gehalten werden, dass sie weitgehend unempfindlich in Bezug auf die Atmung ist, also innerhalb einer Atemanhaltephase oder sogar ohne Atemstillstand durchgeführt werden kann.

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Die Tauben auf dem Markusplatz

Um zu verdeutlichen, wie das Verfahren funktioniert, gibt Schönberg ein Beispiel: „Schauen wir uns die Tauben auf dem Markusplatz an; die fliegen den ganzen Tag hin und her. Wenn wir für jede Taube die Anzahl der Flüge und die Fluggeschwindigkeit als Indikator für die Bewegung abbilden wollten, ergäbe das in Summe mehrere Millionen Bildern. Der Markusplatz bleibt jedoch immer derselbe, es gibt also viel redundante Information. Wird jedoch jede Taube nur als schwarzer Punkt erfasst, ergibt sich eine große Zeitersparnis bei der Aufnahme. Durch ausgefeilte Algorithmen wird die Taube als fliegendes Objekt in unser Vorwissen – das hochaufgelöste Bild vom Markusplatz – hinein gerechnet. Diese mathematische Form der Datenreduktion funktioniert jedoch nur, wenn die Daten dahingehend „sparse“, also sparsam sind, dass sie eine gewisse Stochastik aufweisen. Schönberg bleibt beim Beispiel Taube: „Damit das Verfahren mathematisch funktioniert, müssen die Tauben kreuz und quer fliegen. Bewegen sich die Tauben nebeneinander in eine Richtung, reicht ein schwarzer Punkt für die Berechnung nicht aus.“

Ausgewählte Kurzachsenschnitte einer Cine SSFP Funktionsuntersuchung des...
Ausgewählte Kurzachsenschnitte einer Cine SSFP Funktionsuntersuchung des Herzens bei einem Patienten mit ischämischer Kardiomyopathie mit compressed sensing in freier Atmung (obere Zeile), in nur einer Atem-anhaltephase (mittlere Zeile) und mit herkömmlicher Akquisition mit multiplen Atemanhaltephasen. „Dank „compressed sensing“ reicht eine oder sogar keine Atemanhaltephase bei der Herzuntersuchung.“

Dass das neue Verfahren verlässliche Aufnahmen liefert, davon haben sich Schönberg und sein Team überzeugt. „In Zusammenarbeit mit den kardiologischen Kollegen in Mannheim haben wir die Protokolle optimiert und in eigenen Studien mit nahezu obsessiver Genauigkeit validiert. Wir haben bei mehreren hundert Patienten die neue und alte Technik verglichen und herausgefunden, dass die Protokolle bei einmaligem Luftanhalten im Vergleich zum Goldstandard extrem genau sind. Bei freier Atmung finden sich Abweichungen von lediglich bis zu zwei Prozent, was bei Schwerkranken tolerierbar ist.“

Schönberg und sein Team waren auch die Ersten, die das Verfahren mit einem 3-Tesla-MRT bei bestimmten Pathologien überprüft haben – und die Funktionsanalyse erwies sich auch dann noch als präzise. „Bei einem Herzinfarkt beispielsweise bewegt sich die Wand nicht mehr ringförmig, dennoch arbeitet der Algorithmus weiterhin verlässlich.“ Einschränkend fügt er hinzu: „Das betrifft allerdings nur die Pumpfunktionsparameter mit quantitativer Auswertung und nicht die Herzstruktur. Denn ganz so hochauflösend wie die etablierten MRT-Bilder sind Compressed-Sensing-Aufnahmen natürlich nicht.“

Wir Radiologen müssen wieder die Schulbank drücken und gehörig Mathematik lernen.

Prof. Dr. Stefan Schönberg

Mit seinem Team erprobt Schönberg in Sachen Herzdurchblutung und Late Enhancement neue Wege: „Zur Darstellung der Spätkontrastmittelanreicherung haben wir die neue Methode direkt nach der Kontrastmittelgabe durchgeführt, was lange als ‚no go‘ galt. Erstaunlicherweise haben sich auch da nur minimale Abweichungen bei der Genauigkeit ergeben, so dass man vielleicht in Zukunft ein Herzprotokoll sogar in fünf Minuten schreiben kann.“ Der klinische Mehrwert der Methode soll nun in einer multizentrischen Studie zusammen mit den Kardiologen weiter untersucht werden.

Trotz aller Erleichterungen durch diese technischen Fortschritte sieht Schönberg auch neue Hausaufgaben auf sein Fach zukommen: „Wir Radiologen müssen wieder die Schulbank drücken und gehörig Mathematik lernen. In den 90er Jahren hatten wir die chemische Revolution in der Bildgebung dank Kontrastmittelinnovationen, mit denen sich jeder Radiologe auskennen musste, dann kam die Dekade der Physik mit Multislice-Detektoren und 3-Tesla-MRTs in den 2000er-Jahren. Und jetzt sind wir dank IT in der Mathematik gelandet, daran müssen wir uns erst noch gewöhnen“, so Schönberg abschließend.

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Prof. Dr. Stefan Schönberg

Profil:
Prof. Dr. Stefan Schönberg studierte Humanmedizin an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg und ließ sich danach am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) zum Radiologen weiterbilden. 2001 wechselte er an das Institut für Klinische Radiologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, wo er zunächst als Oberarzt und Leiter der MRT und später als geschäftsführender Oberarzt tätig war. Seit 2007 ist Schönberg Direktor des Instituts für Klinische Radiologie und Nuklearmedizin am Universitätsklinikum Mannheim. Er veröffentlicht vor allem über vaskuläre und abdominelle Bildgebung, funktionelle MRT und CT, Hochfeld-MRT und die onkologische Bildgebung. Ende Mai übernimmt er die Präsidentschaft der Deutschen Röntgengesellschaft.

Veranstaltungshinweis

Freitag, 3.2.2017, 16:35-16:50 Uhr
Kardiale MRT bei „schwierigen Patienten“
S. Schönberg , Mannheim
Session: Kardiale Bildgebung

03.02.2017

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