Artikel • Gynäkologische Notfälle
Die individuelle Differenzialdiagnose
Mit dem akuten Abdomen sehen sich Radiologen relativ häufig konfrontiert. Seltener als gastrointestinale Fälle sind gynäkologische Notfälle, die jedoch eine ähnliche Symptomatik aufweisen, allerdings potentiell lebensbedrohlich sind, weil sie Rupturen oder Nekrosen nach sich ziehen können und gerade bei jungen Frauen fertilitätsbedrohend sind. Aus diesem Grund hebt Prof. Rahel Kubik-Huch, Chefärztin des Instituts für Radiologie und Direktorin des Departements Medizinische Dienste am Kantonsspital Baden AG, die Signifikanz einer individuellen Differentialdiagnose besonders hervor.
Die Suche nach den Ursachen
„Notfälle akuter, abdominaler Symptome bei vornehmlich jüngeren Frauen im reproduktiven Alter können auch von den Genitalorganen ausgehen – sie können mit einer Schwangerschaft assoziiert sein, müssen es aber nicht. Nach Abklärung klassischer Ursachen des akuten Abdomens wie Blinddarmentzündung oder bei älteren Patientinnen Divertikulitis, Mesenterialinfarkte etc., müssen daher auch die gynäkologischen Erkrankungen mit in die Diagnose einbezogen werden“, verdeutlicht Kubik-Huch. Hier hat die MRT zunehmend einen Stellenwert erlangt und kommt bei einer Vielzahl an Fragestellungen ergänzend zu klinischen Untersuchungen und Ultraschall zum Einsatz.
Bei gynäkologischen Erkrankungen spielt das Alter der Patientin eine große Rolle. Darf in jüngeren Jahren im häufigsten Fall von einem Infekt ausgegangen werden, so gibt es doch auch Akutsymptome, wie zum Beispiel die Drehung der Adnexe oder das Vorkommen einer Komplikation eines Leiomyoms. Auch Abszesse, die mit Fieber einhergehen oder Peritonismus können sich präsentieren. Gerade bei Teenagern kann eine Obstruktion in der Gebärmutter, entweder durch eine Hymenalatrophie oder eine angeborene Fehlbildung des Uterus und die daraus entstehende Abflussbehinderung des Bluts währen der Menstruation in seltenen Fällen die Ursache starker Abdominalschmerzen sein und sollte nicht verpasst werden.
„Bei dem akuten Abdomen darf die Extrauteringravidität (EUG) als Differentialdiagnose nicht versäumt werden. Hier ist das Perfide, dass der Schwangerschaftstest selbst positiv ist, da der beta HCG Wert ansteigt, die betroffenen Frauen von ihrer Schwangerschaft jedoch nichts wissen, weil diese Komplikation sehr früh auftritt“, weiß Kubik-Huch und fügt ergänzend hinzu: „Teilweise kommt es sogar vor, dass der beta HCG Wert gar nicht ansteigt.“ Aufgrund häufigerer In-vitro-Fertilisationen ist die EUG heute wieder ein vermehrt auftretendes Thema. „Selbstverständlich gibt es auch Komplikationen, die mit der Schwangerschaft selbst oder einer vorangegangenen Schwangerschaft zusammenhängen, wie Komplikationen nach einer Sektio oder im Wochenbett. Hier tauchen Krankheitsbilder wie die septische Ovarialvenenthrombose auf“, erklärt die Chefärztin.
Die Kunst der Differenzierung
Es existiert eine Vielzahl von Krankheitsbildern, die für sich genommen relativ selten sind, mit denen Radiologen aber aufgrund der Tatsache, dass sie die Bildgebung für diese Fragestellung durchführen oder mittels MRT des Beckens andere Fragestellungen abklären, trotzdem konfrontiert sind. „Wichtig ist, dass der Radiologe, der nicht jeden Tag mit diesem Thema beschäftigt ist, das Spektrum der Differenzialdiagnose kennt, denn gynäkologische Notfälle können sich am Ende lebensbedrohend zeigen“, warnt Kubik-Huch.
Ist die Diagnose gestellt, wird diese entweder laparoskopisch oder durch eine konservative Ausschlussdiagnose erhärtet. „Bei Abszessen im kleinen Becken zum Beispiel sollte man durchaus bildgesteuert eine Drainage legen. Allerdings geschieht dies üblicherweise unter Ultraschall oder CT“, so Kubik-Huch.
Besonders signifikant für die Differentialdiagnose ist eine gute Bildgebung. „Basis hierfür sind selbstverständlich erst einmal gute Grundkenntnisse über die bildgebende Normalanatomie“, macht Kubik-Huch deutlich und führt weiter aus: „Man sollte ein individuelles Protokoll für jede Patientin anfertigen, je nachdem, welche Diagnose man absichern möchte. Wenn nach einer Endometriose gesucht wird oder nach Blutungen, ist eine T1-gewichtete fettsupprimierte MRT-Sequenz notwendig. Sucht man hingegen speziell im Uterus, beispielsweise nach einem stielgedrehten Leiomyom, muss die Aufnahme auf die Uterus-Achse gewinkelt sein. Es werden also Oblique-Sequenzen notwendig.“ Möglichst hochauflösende Sequenzen im Beckenbereich sind hierfür die Voraussetzung. Allgemeine Probleme im Abdomen sind auftretende Artefakte, hervorgerufen entweder durch die Atmung oder die Darmperistaltik. „Es braucht eine Strategie zur Reduktion von Artefakten und Sequenzen bei gleichzeitig hochqualitativen Aufnahmen. Da reichen Standard-Protokolle wie bei einer Leber- oder Knieuntersuchung nicht aus“, betont die Chefärztin.
Besondere Patienten
Wichtig ist zu beachten, dass man es hier mit besonderen Patienten zu tun hat, vor allem bei jungen Frauen im reproduktionsfähigen Alter.
Prof. Kubik-Huch
Glücklicherweise sind gynäkologische Notfälle zumeist nicht bösartig. Dennoch können sie bei Nicht-Behandlung oder Nicht-Erkennung lebensbedrohlich sein oder entsprechend negative Folgen für die Fertilität nach sich ziehen. „Wichtig ist zu beachten, dass man es hier mit besonderen Patienten zu tun hat, vor allem bei jungen Frauen im reproduktionsfähigen Alter. Aus diesem Grund ist auch die MRT, wenn verfügbar und aufgrund des Allgemeinzustandes einsetzbar, so naheliegend, weil sie eben keine Strahlungsbelastung für die Frauen birgt und der CT bzgl. Weichteilkontrast überlegen ist.“ Kubik-Huch empfiehlt daher mit Nachdruck zu einer Differentialdiagnose, die komplett individualisiert und für jede Patientin maßgeschneidert ist.
Profil:
Prof. Rahel Kubik-Huch ist Chefärztin des Institus für Radiologie, Direktorin des Departements Medizinische Dienste und Mitglied der Geschäftsleitung am Kantonspital Baden AG. Sie ist außerdem Past-Präsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für Radiologie, Kodirektorin des International Diagnostic Course Davos und Deputy Editor der Zeitschrift European Radiology. 2005 wurde die Fachärztin von der Universität Zürich zur Titularprofessorin für Diagnostische Radiologie ernannt.
Veranstaltungshinweis
Donnerstag, 02.02.2017, 16:25-16:45 Uhr
MR Bildgebung gynäkologischer Notfälle
R. Kubik-Huch, CH-Baden
Session: Gynäkologische Bildgebung I
02.02.2017