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Thrombektomie bei Schlaganfall - Neuerdings für viele attraktiv

"Seit Anfang 2015 haben wir endlich wissenschaftliche Evidenz dafür, dass es sinnvoll ist, bei Patienten mit einem Verschluss einer Hirnbasisarterie nach einem Schlaganfall den Thrombus mechanisch zu aspirieren oder mit einem Stent-Retriever herausziehen“, bekräftigt Prof. Dr. Ansgar Berlis, Chefarzt für Diagnostische und Interventionelle Neuroradiologie an der Klinik für Diagnostische Radiologie und Neuroradiologie des Klinikums Augsburg.

Nicht weniger als fünf Studien (MR CLEAN, ESCAPE, REVASCAT, SWIFT PRIME, EXTEND IA) haben beim schweren Schlaganfall eine überwältigende Überlegenheit der mechanischen Thrombektomie gegenüber der alleinigen medikamentösen Thrombolyse gezeigt. Überdies hat sich der Patientenkreis erweitert. Zehn bis 15 Prozent der Schlaganfallpatienten konnten aus verschiedenen Gründen nicht mit Alteplase (rt-PA) behandelt werden. 

Patient, männlich, mit Verdacht auf Schlaganfall.
Patient, männlich, mit Verdacht auf Schlaganfall.

Von der mechanischen Thrombektomie profitieren nun auch all jene, die etwa bei Vorhofflimmern ein Antikoagulans einnehmen oder die frisch operiert sind und postoperativ einen Schlaganfall erleiden. Im Jahr 2014 wurden in Deutschland knapp 4.500 Schlaganfallbehandlungen durch das Gefäßsystem vorgenommen, im Jahr 2015 waren es bereits 6.000. In diesem Jahr wird die Anzahl auf ca. 9.000 steigen, schätzt Berlis.

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Bei optimaler Versorgung der Bevölkerung mit mechanischer Thrombektomie seien 12.000-15.000 derartige Behandlungen jährlich zu erwarten. Fünf Jahre werde es noch dauern, bis die optimale Patientenversorgung gewährleistet sei, ist sich der Neuroradiologe sicher. „Wir haben schon früh damit angefangen, eine Infrastruktur aufzubauen, die sich an den Stroke Units der Neurologen orientiert“, berichtet Berlis, der auch Präsident des Berufsverbandes Deutscher Neuroradiologen (BDNR) ist. Bereits 2012 wurde mit dem Aufbau eines Ausbildungs- und Zertifizierungskonzeptes begonnen: Derzeit sind bundesweit circa 550 Neuroradiologen und Radiologen in der Lage, den Eingriff durchzuführen, rund 340 davon sind bereits zertifiziert „Damit können wir die Versorgung der Schlaganfallpatienten im gesamten Bundesgebiet abdecken“, unterstreicht Berlis: „Der Eingriff sollte nämlich nur von darin ausgebildeten Interventionalisten durchgeführt werden.“

Ich wehre mich dagegen, dass sich Kollegen plötzlich mit Organen beschäftigen, mit denen sie bislang nichts zu tun hatten.

Prof. Dr. Ansgar Berlis

Diese Ansage hat einen Grund. Es gibt nämlich Begehrlichkeiten anderer Spezialisten – etwa Kardiologen oder Gefäßchirurgen – sich die mechanische Thrombektomie zu eigen zu machen. Dem will Berlis einen Riegel vorschieben. „Ich wehre mich dagegen, dass sich Kollegen plötzlich mit Organen beschäftigen, mit denen sie bislang nichts zu tun hatten. Bei einer Intervention geht es ja nicht nur darum, sich mit Kathetern auszukennen, sondern auch um ein Verständnis für die Erkrankung, für die Topographie und für die Indikation“, betont der BDNR-Präsident. Die Neuroradiologie habe extrem viel Vorarbeit geleistet, um diese Form der Schlaganfallbehandlung zu etablieren. Er selbst habe seinen ersten derartigen Eingriff 1994 vorgenommen, erklärt Berlis: „Aber jetzt, wo es wissenschaftliche Evidenz gibt, wollen auch jene auf das Pferd aufspringen, die vorher nichts von der mechanischen Thrombektomie wissen wollten, und jene, die das Pferd zugeritten haben, aus dem Sattel werfen.“

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Ein 5F Aspirationskatheter wird über den Ramus communicans anterior zur gegenseitigen Verschlusslokalistion vorgeführt.

Laut den im Februar aktualisierten Leitlinien zur Rekanalisierenden Therapie sollte die mechanische Thrombektomie bis zu sechs Stunden (Zeitpunkt der Leistenpunktion) nach Auftreten der Schlaganfallsymptome erfolgen. Sofern keine Kontraindikation vorliegt, sollte innerhalb von viereinhalb Stunden nach Auftreten der Symptome auch eine systemische Thrombolyse mit rt-PA vorgenommen werden. Die intravenöse Thrombolyse darf die Thrombektomie allerdings nicht verzögern. Die mechanische Entfernung des Thrombus hat zu erfolgen, ohne auf einen möglichen rt-PA-Effekt zu warten. Befindet sich der Patient in einem Krankenhaus ohne Möglichkeit zur mechanischen Thrombektomie, soll er nach Beginn der Thrombolyse unverzüglich in ein Zentrum mit endovaskulärer Therapiemöglichkeit überstellt werden.

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Prof. Dr. Ansgar Berlis

Profil:
Prof. Dr. Ansgar Berlis ist Chefarzt für Diagnostische und Interventionelle Neuroradiologie an der Klinik für Diagnostische Radiologie und Neuroradiologie des Klinikums Augsburg. Das Spezialgebiet des Neuroradiologen sind endovaskuläre Rekanalisationsverfahren bei der Behandlung des akuten Schlaganfalls, worüber er sich auch habilitiert hat. Er betreute und betreut eine Reihe internationaler, prospektiver, multizentrischer, klinischer Studien, die unter anderem den Schlaganfall zum Thema haben. Berlis ist auch Präsident des Berufsverbandes Deutscher Neuroradiologen (BDNR) und Kongresspräsident der Bayerischen Röntgengesellschaft für die Jahrestagung 2018 in Augsburg.

Veranstaltungshinweis:
Raum: Kultbox
Freitag, 14. Oktober 2016, 15:40 – 16:00 Uhr
Symposium 6: Neuro 1 – Vaskulär
Endovaskuläre AVM Behandlung

10.10.2016

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