Workflow

Zu viel Software, zu wenig Zeit für deren Inhalte

Unzählige Anwendungsverfahren überhäufen die digitale Welt und täglich kommt neue Software hinzu oder bestehende verändert sich. Daher ist es kein Wunder, dass vor allem im geschäftlichen Bereich die thematische Auseinandersetzung der Nutzer mit den Inhalten dieser Anwendungen leidet. Genau hier sieht Michael Thoss, Leiter der Informationstechnik der DRK Kliniken Berlin und Vorstandsmitglied im KH-IT, eine Gefahr. In seinem Vortrag auf dem KIS-RIS-PACS und DICOM Treffen 2015 erläutert er die Konsequenzen und fordert eine bessere Anpassung an moderne Fortbildungsstrategien wie Blended Learning, um die aktuellen Entwicklungen nicht aus den Augen zu verlieren.

Interview: Marcel Rasch

Michael Thoss, Leiter der Informationstechnik der DRK Kliniken Berlin und...
Michael Thoss, Leiter der Informationstechnik der DRK Kliniken Berlin und Vorstandsmitglied im KH-IT.
Quelle: Michael Thoss

Sie beschäftigen sich täglich mit IT. Gelingt es Ihnen eigentlich noch, den Überblick über die Vielzahl der verschiedenen Anwendungsverfahren zu behalten?

Für die IT ist es mittlerweile unmöglich, alle Softwareanwendungsverfahren eines Unternehmens zu beherrschen. Dies gilt weniger für die Technologie an sich, als vielmehr für die Inhalte von Softwarelösungen. Auch die die Fachabteilungen sind, was Detailkenntnis und Tiefenwissen eines spezifischen Arbeitsgebietes angeht, tendenziell überfordert.

Der Anwender kann vielleicht ein spezifisches Fachabteilungssystem mit seinem Wissen füllen und qualifiziert bedienen. Nicht aber beliebig viele. Faktisch ist er im Arbeitsalltag jedoch mit den unterschiedlichsten Anwendungen konfrontiert. Nehmen wir eine Station im Krankenhaus. Die Klassiker bei der Software sind: ein Mailprogramm, der Kalender, Textverarbeitung, vielleicht noch die Tabellenkalkulation. Dazu kommen weitere Lösungen: das Krankenhausinformationssystem (KIS), Order/Entry-Verfahren (RIS, LIS), Materialwirtschaft und Bestellwesen, Arzneimittellisten, Aufklärungsbögen, digitale Bildwiedergabe, OP-Planung, Krankentransport und Logistik, Speisenversorgung, Störungsmeldung und viele mehr. Diese Liste kann man variieren, fortsetzen und daran verzweifeln. Genau das passiert den Beschäftigten auch häufig.

Zudem ist es nicht damit getan, diese Verfahren einmal zu lernen und zu beherrschen, da sie sich ständig durch Patches, Releases und Updates in variablen Zeiträumen ändern. Und diese Änderungen müssen kommuniziert werden. Wie soll das bei Hunderten oder Tausenden von Beschäftigten im Unternehmen funktionieren?

Welche Gefahr birgt die fehlende Auseinandersetzung mit den Inhalten?

Im Businessbereich sieht sich der Nutzer mit Regularien konfrontiert, die als Bremse wirken oder zumindest so wahrgenommen werden. Die Anforderungen im Arbeitsumfeld haben andere Schwerpunkte als im privaten Bereich, denn  sie sind nicht spielerisch sondern verpflichtend. Darüber hinaus gibt es einen  Serviceanspruch und generell einen anderen Rahmen des wirtschaftlich Machbaren. Das bremst den in vielen Fällen durchaus bestehenden Enthusiasmus. Die reine Masse der am Arbeitsplatz erforderlichen Werkzeuge nimmt die Mitarbeiter so in Anspruch, dass oftmals keine Reserven für ein inhaltliches Interesse bleiben. Jeder ist froh, wenn er zurechtkommt. Im Ergebnis leiden Nutzungsgrade und Effizienz. Teure Investitionen leiden folglich oftmals unter schlechten Organisationsrahmen- und Einsatzbedingungen, zum Beispiel durch mangelnde Aus- und Weiterbildung wegen fehlender finanzieller oder zeitlicher Ressourcen. Positive Veränderungen einer Software erreichen so häufig die Nutzer nicht und neue Funktionen sind zwar verfügbar, werden aber nicht produktiv bedient.

Und welche Konsequenzen hat dies?

IT macht eineschlechte Organisation nicht besser, sondern nur teurer. So bleiben die Werkzeuge der IT hinter ihren Möglichkeiten zurück. Software bedeutet immer Organisation und hat häufig Probleme mit Improvisation und Disposition. Das sind jedoch oft die Stärken der Krankenhäuser.
 
Welche Verbesserungsvorschläge haben Sie für die Zukunft?

Zum einen sind Organisationsanpassungen erforderlich, die leider träge in der Umsetzung sind. Servicemodelle müssen komplett überdacht und überarbeitet werden, weil die Konvergenz der Technologien ansonsten einen Servicekollaps erzeugt. Ausbildungs- und Schulungsprogramme erfordern eine Neuausrichtung und mehr Aufmerksamkeit sowie Zeit. Die Ausbildung darf heute nicht mehr statisch über Rahmenlehrpläne definiert werden, sondern dynamisch durch Plattformen  wiee-learning, Social media und Internet. Das Blended Learning hat längst die Realität erreicht und muss fester Bestandteil des beruflichen Umfelds aller Beteiligten werden. Auch Change Management erfordert eine lebendige Ausprägung und stetige Wiederholung.

Die Ausbildungs- und Lernzeiten müssen ein ständiger und akzeptierter Bestandteil der Arbeitszeit werden. IT ist nicht mehr nur IT im Sinne des PC, auch die Kommunikationstechnik ist längst IT geworden, zum Beispiel beim VoIP. Dazu gehören auch die Medizintechnik und die Gebäudeleittechnik. Begriffe wie Industrie 4.0, Health 2.0, Web x.0 oder Weareables sind inzwischen jedem bekannt.

Soll IT Nutzen stiften statt Kosten zu verursachen, muss mehr Geld in das System fließen, um dem Mitarbeiter durch ständige Fort- und Weiterbildung bessere Voraussetzungen zu bieten. Softwareverfahren unterliegen durch Kundenanforderungen einem ständigen Verbesserungsprozess. Warum wenden wir nicht die gleiche Regel auf unsere Mitarbeiter an?


PROFIL:
Michael Thoss, ist Industriekaufmann und Industriefachwirt (IHK). Nach Tätigkeiten als Entwickler, EDV-Leiter, Dozent und Unternehmer sowie selbständiger Berater ist er heute Leiter der Informationstechnik der DRK Kliniken Berlin. In dieser Funktion verantwortet er seit 1996 Strategie, Konzeption und Betrieb, Projektmanagement und Outsourcing-Betrieb der Prozessmanagementwerkzeuge des Gesamtunternehmens. Seit 2009 ist er Mitglied im Vorstand des Bundesverbandes der Krankenhaus-IT-Leiterinnen / Leiter e.V. (www.kh-it.de).

17.06.2015

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