Eine müde und überarbeitete junge Ärztin im Krankenhaus hält sich mit der...

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News • Resilienz gegen Burnout

Überlastung bei Ärzten: Auf dem Weg zu neuen Lösungen

Aktuell wurde in „Neurological Research and Practice“, dem Open-Access-Journal der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), eine Umfrage zu belastenden Ereignissen in der Neurologie veröffentlicht.

Es nahmen 493 Ärzte teil, 318 von ihnen in der neurologischen Weiterbildung. Die im Fachjournal Neurological Research and Practice veröffentlichten Ergebnisse zeigen Handlungsfelder auf, damit der Arztberuf nicht krank macht und wieder attraktiver wird. Die DGN will nun fachintern, aber auch systemisch an Lösungen arbeiten. 

Resilienz ist ein großes Thema in der Medizin. Belastende Ereignisse gehören zur ärztlichen Tätigkeit dazu, der Umgang mit ihnen kann jedoch unterschiedlich aussehen. „Wir wollten untersuchen, wo – insbesondere in der Weiterbildung – belastende Ereignisse am häufigsten auftreten, was resilienzfördernde Faktoren sind und wie Strukturen verbessert werden können, um mit belastenden Ereignissen und der steigenden Arbeitsdichte erfolgreich umzugehen. Angesichts des großen Fachkräftemangels in der Medizin ist es letztlich ein gesellschaftliches Anliegen, den Arztberuf attraktiver zu machen und die Arbeitsfähigkeit von Mitarbeitenden im Gesundheitssystem möglichst lange zu erhalten“, erklärt Dr. Johannes Piel, Kiel, Sprecher der Jungen Neurologie und Erstautor der Studie.

Die fachliche Ausbildung von Medizinern ist in Deutschland hochanspruchsvoll, der Ärztemangel führt aber dazu, dass junge Kollegen früh in der Weiterbildung nachts oder am Wochenende zunächst mit zeitkritischen Situationen, einer immer arbeitsdichteren Umgebung und schweren Patientenschicksalen allein konfrontiert sind

Johannes Piel

Dass Maßnahmen dafür dringend erforderlich sind, unterstreichen die Ergebnisse der Erhebung: 51% der Teilnehmenden berichteten von mindestens monatlich vorkommenden belastenden Ereignissen, 15% sogar von wöchentlichen oder häufigeren. Höhere Burnout-Werte waren signifikant mit der Häufigkeit belastender Ereignisse (p < 0,001), institutionellen Faktoren (p < 0,001), der allgemeinen Jobzufriedenheit (p < 0,001), steigendem Lebensalter (p = 0,030), einer niedrigeren Anzahl von Kindern (p = 0,046) und dem Fehlen von inhaltlichen Nachbesprechungen (sogenannten „Debriefings“) nach belastenden Ereignissen (p = 0,037) assoziiert. 

Am häufigsten wurden belastende Ereignisse in der Notaufnahme (85%) und auf Intensivstationen (54%) berichtet, gefolgt von Allgemeinstationen (46%). Wichtigste Ursachen belastender Ereignisse waren ein hohes Patientenaufkommen, das Second-Victim-Phänomen (die psychische Belastung Behandelnder nach Schicksalsschlägen bei Patienten, den „First Victims“), eine schlechte Kommunikation mit anderen Fachabteilungen, Fehler sowie Organisationsmängel. Was jüngere Ärzte im Rahmen der neu übernommenen Verantwortung und der Notwendigkeit, mit bleibenden Unsicherheiten umzugehen, signifikant häufiger belastete, waren Wissenslücken (p < 0,001), mangelnde Fertigkeiten (p < 0,01), ein hohes Patientenaufkommen (p < 0,01) und (Beinahe-)Fehler (p < 0,05). Ärzte in Weiterbildung gaben insgesamt eine höhere Frequenz belastender Ereignisse an als ihre erfahreneren Kollegen (p < 0,001) und waren häufiger Burnout-gefährdet (p < 0,001). Immerhin 26% zeigten Merkmale eines wahrscheinlichen Burnouts. Auf den Umgang mit belastenden Ereignissen seien 69% nicht vorbereitet gewesen, und nur 23% wurden während belastender Ereignisse vor Ort supervidiert. Viele der Befragten äußerten den Wunsch nach inhaltlichen Debriefings durch qualifiziertes Personal, z. B. durch vertraute Vorgesetzte, während sie häufig nur mit Familien, Freunden und Peer-Gruppen über belastende Ereignisse sprachen oder sprechen konnten (p < 0,001). 

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„Die fachliche Ausbildung von Medizinern ist in Deutschland hochanspruchsvoll, der Ärztemangel führt aber dazu, dass junge Kollegen früh in der Weiterbildung nachts oder am Wochenende zunächst mit zeitkritischen Situationen, einer immer arbeitsdichteren Umgebung und schweren Patientenschicksalen allein konfrontiert sind, meist nur mit telefonischer Rücksprachemöglichkeit. Angebote zu strukturierten Nachbesprechungen finden sich kaum, vielerorts fehlt eine offene Fehlerkultur. Dieses Problem ist ein systemisches, das über die Fächergrenzen hinausgeht und in anderen kritischen Berufen wie der Luftfahrt oder Organisationen mit Sicherheitsaufgaben so nicht vorstellbar ist“, so Piel. 

Die negativen Folgen der Überlastung in der Medizin ließen sich bereits der Umfrage entnehmen: 20% gaben Alkoholkonsum und 9% die Einnahme von Medikamenten als dysfunktionale Copingstrategie an. Das zeige, wie wichtig es ist, unterstützende Angebote und eine offene Kommunikationskultur zu etablieren. „Wir müssen eine Atmosphäre schaffen, in der das Sprechen über kritische Ereignisse und die eigene Belastung nicht mit Schwäche assoziiert wird, sondern mit dem Willen zur Weiterentwicklung und Verbesserung, auch im Sinne der Patientensicherheit.“ 

Wir brauchen mehr Ärzte und können es uns nicht leisten, dass Kollegen durch den Job krank werden

Daniela Berg

„Auch wenn die Studie nicht repräsentativ war, da Selektions-Bias und Selbst-Selektions-Bias nicht ausgeschlossen werden können, sehen wir einen dringenden Handlungsbedarf“, erklärt Prof. Dr. Daniela Berg, Kiel, Präsidentin der DGN und Letztautorin des Papers. „Wir brauchen mehr Ärzte und können es uns nicht leisten, dass Kollegen durch den Job krank werden.“ Wie sie weiter ausführt, können auf institutioneller Ebene durch strukturierte Einarbeitung, Angebote der Nachbesprechung und eine Umgebung, in der offen über belastende Ereignisse und Fehler gesprochen werden kann, die Resilienz gestärkt und die Burnout-Rate reduziert werden. „Als Fachgesellschaft werden wir uns dafür einsetzen, dass in neurologischen Kliniken solche Angebote etabliert werden.“ 

Doch darüber hinaus bedürfe es auch struktureller Änderungen, wie einer Reduktion unnötiger Dokumentationsaufgaben, einer stärkeren Rückbesinnung auf ärztliche Tätigkeiten, einem dem Patientenaufkommen angepassten Personalschlüssel und möglicherweise auch einer fächerübergreifenden Supervision. Bereits im Medizinstudium sollten Themen wie Second-Victim-Phänomene und Maßnahmen zur Stärkung der Resilienz behandelt werden. „Diese Themen wird die DGN im Gespräch mit den medizinischen Fakultäten adressieren und Angebote für eine studien- und berufsbegleitende Unterstützung schaffen.“ 


Quelle: Deutsche Gesellschaft für Neurologie 

07.08.2025

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