Kongress

Zahl der Demenz-Kranken steigt jährlich um 7,7 Millionen

Demenzerkrankungen gehören zu den großen Herausforderungen für die moderne Neurologie. WHO-Schätzungen zufolge leben weltweit 47,5 Millionen Menschen mit einer Demenzerkrankung. „Alle vier Sekunden tritt ein neuer Fall auf, jährlich wächst die Zahl der Betroffenen laut WHO um 7,7 Millionen Menschen“, sagte Roger Rosenberg, Professor für Neurologie und und Direktor des Alzheimer-Zentrums, University of Texas Southwestern Medical Center, auf dem Weltkongress für Neurologie (WCN 2015) in Santiago de Chile.

Photo: Zahl der Demenz-Kranken steigt jährlich um 7,7 Millionen

Rund 3.500 Teilnehmer treffen in der chilenischen Hauptstadt für die weltweit führende neurologische Tagung zusammen. „Demenz ist das Gesundheitsproblem, das sich in den kommenden Jahrzehnten am rasantesten entwickeln wird.“ Die Alzheimer-Erkrankung ist die häufigste Form von altersbedingter Demenz, und für 60 bis 70 Prozent aller dementiellen Erkrankungen verantwortlich.

Trotz ihrer weiten Verbreitung wird Demenz nach wie vor häufig als typische Alterserscheinung abgetan, und das sogar von Angehörigen von Gesundheitsberufen. Das zumindest zeigt eine chilenische Studie, die auf dem WCN präsentiert wird und der zufolge die Hälfte der befragten Ärzte oder Pflegepersonen ihr eigenes Wissen über Demenz als unzureichend einschätzen. 53 Prozent der befragten Ärzte haben noch nie Medikamente gegen typische Begleit-Symptome von Demenz verschrieben. „Die Ergebnisse zeigen, dass Demenz noch immer nicht als Erkrankung mit behandelbaren Komorbiditäten eingeschätzt wird“, so Prof. Rosenberg.

Alzheimer: Effektive Prävention durch eine Impfung in Sicht

Auf besonderes Interesse stoßen auf dem Kongress in Santiago Präsentation zur Prävention und Früherkennung von Demenzerkrankungen. Was Alzheimer betrifft, so konzentrieren sich zahlreiche Forscherteams weltweit auf die Rolle des Proteins Amyloid-beta und von Amyloid-Ablagerungen im Gehirn im Krankheitsgeschehen. Die Entschlüsselung dieser Mechanismen liefert die Grundlage für neue therapeutische und präventive Ansätze, etwa die Immunisierung gegen Amyloid-beta, die „Alzheimer-Impfung“.

Prof. Rosenberg präsentiert auf dem WCN eigene Forschungsergebnisse zu einem Impfkonzept, bei dem DNA, in die Amyloid-Beta 42 eingebracht ist, mittels „Gen-Kanone“ injiziert wird. Die injizierte DNA führt in der geimpften Person zur Entstehung von Amyloid-Beta, gegen das in der Folge eine Immunreaktion in Gang gesetzt wird. „Unsere Daten belegen die Wirksamkeit und Sicherheit sowie den möglichen therapeutischen Nutzen der DNA-Amyloid-Beta 42 Impfung bei Menschen mit Alzheimer-Risiko“, so Prof. Rosenberg.

Es gibt auch andere therapeutische Ansätze, die auf Amyloide abzielen, wie eine neue Studie zeigt. „Aducanumab, ein monoklonaler Anti-Amyloid-Antikörper, hat in einer Pilotstudie, die auf dem WCN präsentiert wird, klinischen Nutzen gezeigt. Die Substanz konnte die Amyloide-Beta-Ablagerungen reduzieren und die kognitive Verschlechterung verlangsamen“, kommentierte Prof. Rosenberg die Ergebnisse. „Jetzt ist eine klinische Phase-3-Studie geplant.“

Fortschritte berichten Forschergruppen aus aller Welt auch, was eine mögliche Verzögerung des Krankheitsausbruchs betrifft. Wissenschaftler der Universität Texas präsentieren auf dem WCN neue Daten zum Potenzial einer spezifischen Gruppe von Antikörpern in diesem Zusammenhang, nämlich von Antikörpern gegen tau-Oligomere. Ungewöhnliche Konzentrationen von tau-Proteinen sind bei einer Reihe von neurodegenerativen Erkrankungen nachweisbar. „tau-Oligomer-Antikörper werden verwendet, um die Höhe der Konzentration von tau zu identifizieren und könnten sich als eine Möglichkeit erweisen, den Ausbruch neurodegenerativen Erkrankungen hinauszuzögern“, so Prof. Rosenberg.

Wichtige Rolle von Entzündungsprozessen und Vitamin D

Andere Forschungsergebnisse, die auf dem WCN präsentiert werden, bemühen sich um die Identifizierung von Faktoren, die die Entwicklung von Demenzerkrankungen fördern oder beschleunigen. Entzündungsprozesse stehen bereits seit längerer Zeit im Verdacht, bei Alzheimer eine Rolle im Krankheitsgeschehen zu spielen. Prof. Rosenberg: „Brasilianische Forscher konnten zeigen, dass bei Menschen mit einer milden Alzheimer-Erkrankung oder einer milden kognitiven Beeinträchtigung ein systemisches Entzündungsgeschehen mit der Konnektivität, also der Verbindung zwischen Gehirnregionen, korreliert, die beim Nichtstun aktiv werden („Default Mode Network", DMN).

Leichte kognitive Beeinträchtigungen (mild cognitive impairment, MCI) gelten als ein Stadium zwischen dem natürlichen Alterungsprozess und dementiellen Erkrankungen. Nicht alle MCI-Betroffenen entwickeln allerdings eine Demenz. „Wenn wir die Risikofaktoren identifizieren können, die dazu beitragen, dass sich MCI zur Demenz entwickelt, wäre das ein wichtiger Schlüssel für eine effektive Demenz-Prävention“, so Prof. Rosenberg. Vitamin D könnte in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle spielen, wie eine argentinische Studie zeigt, die auf dem WCN präsentiert wird. „Eine Unterversorgung mit Vitamin D erhöht das Demenz-Risiko“, fasste Prof. Rosenberg zusammen. Die Studienautoren schlagen vor, dies nun in groß angelegten Studien zu überprüfen, in denen MCI-Patienten mit Vitamin D supplementiert werden sollen.

Hohes Demenzrisiko nach Schlaganfall

Die Kongressteilnehmer diskutieren auch Zusammenhänge zwischen Demenz und anderen neurologischen Erkrankungen. Ein türkisches Forscherteam präsentiert auf dem WCN etwa neue Daten, denen zufolge 30 Prozent der untersuchten Schlaganfall-Patienten ein Jahr nach dem Ereignis an Demenz litten. „Das bedeutet ein deutlich erhöhtes Erkrankungsrisiko nach Schlaganfall, möglicherweise ein weiterer Hinweis, dass es Interaktionen zwischen vaskulären und neurodegenerativen Prozessen gibt“, so Prof. Rosenberg.


Quelle: Changing Neurology Worldwide

03.11.2015

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