Artikel • Innovative Behandlung

Wundversorgung mit Fischhaut und Biotinte

Zur Behandlung aktueller oder chronischer Wunden stehen verschiedene innovative Verfahren zur Auswahl.

Bericht: Anja Behringer

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Professor Bert Reichert ist ärztlicher Leiter der Klinik für Plastische, Wiederherstellende und Handchirurgie, Zentrum für Schwerbrandverletzte, am Klinikum Nürnberg

Aber Wundbehandlungen sind nicht miteinander vergleichbar. Unterschiedliche Rahmenbedingungen in der stationären und ambulanten Versorgung erschweren die Therapie. Auch bringt jeder Patient andere Heilungsvoraussetzungen mit. Schließlich käme eine bessere Kommunikation aller am Behandlungsprozess Beteiligten aus vielen Disziplinen und Professionen letztlich den Patienten zugute. „Beim Thema ‚Wunde‘ sehen wir viele Fortschritte“, sagt Prof. Dr. Bert Reichert, „aber auch schier unüberwindlich scheinende Hindernisse.“ Der ärztliche Leiter der Klinik für Plastische, Wiederherstellende und Handchirurgie, Zentrum für Schwerbrandverletzte, am Klinikum Nürnberg war Tagungsleiter des 1. Nürnberger Wundkongress, bei dem ihm persönlich besonders wichtig ist, dass nicht nur die medizinischen Fachbereiche, sondern auch verschiedene Berufsgruppen zusammengebracht werden, damit sie alle eine präzise Vorstellung davon entwickeln, was der jeweils andere ganz konkret mit dem Patienten macht.

Man darf beim Blick auf die teuer erscheinenden modernen Verfahren nicht vergessen, dass klassische Verbandswechsel häufiger anfallen und deshalb bei entsprechend langer Heilungszeit ebenfalls beträchtliche Kosten verursachen

Bert Reichert

Wundauflagen aus Fischhaut, kaltes Plasma, Stammzellen aus Schweißdrüsen – Was hilft wirklich bei offenen Wunden? 40.000 Amputationen jährlich resultieren aus chronischen Wunden, die trotz komplexer, interdisziplinärer Therapie nicht heilen wollen. Manche Wunden trotzen hartnäckig jeder Behandlung. Über Monate, sogar über Jahre. Der Körper schafft es nicht, sie zu verschließen. Solche dauerhaft offenen Stellen haben ihre Ursachen meist in kranken Venen und Arterien, Diabetes oder Tumoren. Schmerzen, Jucken, Nässen und unangenehme Gerüche schränken die Lebensqualität der Betroffenen erheblich ein.

Zu den innovativen Ansätzen gehört beispielsweise die Behandlung mit Stammzellen, die aus Eigenfett oder aus Schweißdrüsen der Achselhaut gewonnen werden. Oder die sogenannte Vakuum-Versiegelungstherapie, bei der aus der luftdicht verpackten offenen Wundstelle Flüssigkeit abgesaugt wird, so dass die Durchblutung des umliegenden Gewebes gefördert und das Hautwachstum angeregt werden soll. Kaltes, atmosphärisches Plasma, ein elektrisch geladenes Gas, kann durch eine erhebliche Verminderung von selbst multiresistenten Erregern die Wundheilung begünstigen.

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Die in Island entwickelte azelluläre Fischhaut könnte eine der großen Innovation im Bereich der Wundversorgung werden.

Als neue Generation von Wundauflagen gilt die azelluläre Matrix aus Fischhaut, die in ersten Anwendungen selbst behandlungsresistente Wunden abheilen lässt. Das Produkt stammt aus dem Norden Islands und wird aus der Haut des dort lebenden atlantischen Dorschs oder seiner Unterart, dem Kabeljau, gewonnen. Von tierischen Zellen befreit, wird die Gewebematrix auf die offene Stelle gelegt und bildet dort ein Geflecht, entlang dessen menschliche Hautzellen sich vermehrt ansiedeln, teilen und wachsen. Schließlich entsteht hier ein funktionales, vitales Gewebe. Zudem scheinen die in der Fischhaut enthaltenen Omega-3-Fettsäuren die Wundheilung zusätzlich zu begünstigen, ihre entzündungshemmende, antibakterielle und selbst antivirale Wirkung ist zumindest im Labor nachgewiesen.

In Kliniken werden damit seit Kurzem erstaunliche Erfolge erzielt und die Methode soll aktuell in verschiedenen Studien ihre Qualität und Wirksamkeit, vielleicht sogar ihre Überlegenheit gegenüber herkömmlichen Wundauflagen beweisen. Dazu befragt, sagt Professor Reichert, dass dies sicher ein Ansatz ist, der sich in der Zukunft vielleicht noch etablieren werde. „Jedenfalls darf man beim Blick auf die teuer erscheinenden modernen Verfahren nicht vergessen, dass klassische Verbandswechsel häufiger anfallen und deshalb bei entsprechend langer Heilungszeit ebenfalls beträchtliche Kosten verursachen.“

Zu den vielversprechenden Alternativen in der Behandlung chronischer Wunden zählen auch Transplantationsmaterialien aus tierischen Geweben, welche als neue Generation von Wundauflagen den manchmal unübersichtlich wirkenden Markt möglicherweise maßgeblich bereichern könnten. Und schließlich machen Ärzte in Spanien mit der Biotinte aus dem 3D-Drucker in der Fachwelt von sich reden. Der sogenannte Bioprinter kann mit seiner kollagen- und fibrinhaltigen Tinte neues Gewebe formen und auch tiefe Wunden verschließen. Eine solche 3-D-Druck-Behandlung soll maximal zwei Minuten in Anspruch nehmen. „Innovationen machen immer neugierig“, sagt der Nürnberger Wundspezialist dazu, „denn bisher kann man Patienten mit chronischen Wunden praktisch nie vollständig heilen, wenngleich auch alternative Methoden Erleichterung bringen“.

Wundversorgung mit Fischhaut und Biotinte

Erster Nürnberger Wundkongress

Professor Reichert hofft, mit dem 1. Nürnberger Wundkongress eine neue Kongresstradition zu etablieren. Denn ähnliche Veranstaltungen in unterschiedlichen Formaten hat es in den zurückliegenden Jahren im süddeutschen Raum bereits gegeben, aber aktuell fehlen sie. Und das Thema „Wunde“ ist seiner Meinung nach viel zu wichtig, um nicht über die Techniken des eigenen Faches hinaus den Austausch mit benachbarten Disziplinen zu suchen und sich fortzubilden. Denn außer einzelnen regionalen Initiativen existiert kein überregionales Forum.

Fortschritte zeigen sich in den unterschiedlichsten Bereichen der Wundbehandlung, ebenso in der Qualifikation der medizinischen Fachberufe und Bemühungen um Leitlinien. Hingegen erschwert den Alltag unvermindert die Tatsache, dass es völlig unterschiedliche Rahmenbedingungen gibt für die Behandlung von Menschen im stationären und im ambulanten Sektor. So kann eine Form von Wundbehandlung, die im Krankenhaus vorgenommen wurde, ambulant nicht fortgesetzt werden, denn kaum ein niedergelassener Arzt kann die eingeleitete moderne Wundbehandlung realisieren. Dazu kommen Unterschiede zwischen gesetzlich oder privat versicherten Patienten und solchen, die unter den Folgen eines Arbeitsunfalls leiden, bei denen also die gesetzliche Unfallversicherung Kostenträger ist. In der gesetzlichen Krankenversicherung gilt das Wirtschaftlichkeitsgebot, das immer fragt: was ist notwendig, zweckmäßig, wirtschaftlich? Anhand der Unterdrucktherapie erläutert Professor Reichert: „Es gibt Institute, die prüfen, ob eine Behandlungsmethode so überzeugend ist, dass man sie den Patienten nicht verweigern kann und die Krankenversicherungen zur Kostenübernahme verpflichtet werden. Diese Untersuchungen sind seit Jahrzehnten für die Unterdrucktherapie unbeantwortet, weil die Studienlage schwierig ist. Andererseits wissen wir im Krankenhaus einfach aus Erfahrung, wie gut diese Behandlung ist. Und wir würden sie uns auch für Patienten im ambulanten Bereich wünschen. Dort ist das aber nur nach Einzelfallprüfung in Ausnahmefällen möglich.“

Diese Probleme geht man im Wundzentrum am Klinikum Nürnberg mit dem Wundboard an, wo nach dem Vorbild interdisziplinärer Tumorboards regelmäßige Besprechungen stattfinden. „Wir sind da am Anfang, aber auf dem richtigen Weg. Die Idee muss noch mehr in die Köpfe. Der Sinn muss für alle Beteiligten erkennbar sein: der Nutzen für den Patienten, der Nutzen für die beteiligten Kliniken“, so Reichert. Noch sei es ungewöhnlich, aber eben doch entscheidend wichtig, den Dermatologen, Gefäßchirurgen, Unfallchirurgen oder Plastischen Chirurgen mit seiner Expertise um Rat zu bitten. Das werde in Nürnberg nicht als Zeichen von Schwäche oder Unsicherheit ausgelegt, sondern als Fortschritt mit Nutzen für alle Beteiligten verstanden.

Risikofaktor Alter

Der größte Risikofaktor für chronische Wunden ist das Alter. Vier Millionen Menschen leiden in Deutschland heute unter solchen Wunden und es werden zukünftig mehr. Gesundheit und Jugend ist ein vorübergehender Zustand. Deshalb muss präventiv aufgeklärt werden, welche Erkrankungen beispielsweise durch richtige Ernährung und Bewegung vermeidbar sein können. Diabetiker brauchen nicht nur Ernährungsberatung, sondern auch Schulungen, wie sie beispielsweise bei Verlust des Berührungsempfindens an den Füßen Verletzungen durch Bagatellverletzungen vorbeugen können und so schwerwiegenden Komplikationen wie Amputationen vorbeugen. Kranke mit chronischen Wunden müssen lernen, für sich selbst zu sorgen. Deshalb braucht das Thema Wundbehandlung in all seinen Aspekten mehr Kommunikation – unter den selbst oder mittelbar Betroffenen, aber auch in der allgemeinen Öffentlichkeit.


Profil:

Professor Dr. Bert Reichert erhielt 1984 Approbation und Promotion und wurde 2004 Chefarzt der Klinik für Plastische, Wiederherstellende und Handchirurgie, Zentrum für Schwerbrandverletzte an der Paracelsus Medizinische Privatuniversität Nürnberg. Zeitgleich mit der Ernennung zum dortigen Universitätsprofessor 2014 wurde er ärztlicher Leiter der Universitätsklinik.

14.01.2019

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