Wirkung einer Vitamin D-Gabe nur bei bestimmten Personengruppen und Patienten gesichert
Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie
Ein positiver Effekt einer Vitamin D-Gabe ist heute nur in bestimmten Fällen gesichert: Zur Vorbeugung von Rachitis bei Säuglingen, für Menschen mit einer die Knochen erweichenden Osteomalazie, bei chronischer Niereninsuffizienz, Nebenschilddrüsenschwäche und zur Vorbeugung bei älteren Menschen, die Osteoporose- und sturzgefährdet sind – insbesondere bei Heimbewohnern. Zusammen mit Kalzium gehört Vitamin D zudem zur Basistherapie von Osteoporose.
Darauf weist die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) jetzt erneut hin, und bezieht sich damit auf neuere Publikationen und eine aktuelle Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, die diese Auffassung unterstützen.
Für Krankheitsbilder wie Krebs, Herz-Kreislauf-Leiden, Diabetes, Multiple Sklerose, Immun- und Infektionskrankheiten liegen dagegen nicht genügend valide Daten aus großen Interventionsstudien zur Vitamin D-Gabe vor. Somit entbehrt diese hier einer evidenzbasierten Grundlage, so der Pressesprecher der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie, Professor Dr. med. Helmut Schatz aus Bochum. Bereits im Februar 2010 hatte die Fachgesellschaft in einer Pressemitteilung zu einem „bewussten Umgang mit Vitamin D-Präparaten“ geraten.
Vitamin D bildet der Körper unter Einfluss von Sonnenlicht zum überwiegenden Teil selbst, ein kleinerer Teil stammt aus der Nahrung. Anschließend wandeln Leber und Niere es in zwei Schritten zum aktiven Vitamin D3-Hormon, dem „Calcitriol“ um. Ob ein Mensch ausreichend mit Vitamin D versorgt ist, beurteilen Endokrinologen durch Messung des 25(OH)-Vitamin D, des Calcidiols. International gilt ein Spiegel von über 30 Nanogramm pro Milliliter (ng/ml) als optimal, 20 bis 29 ng/ml werden als ausreichend angesehen. Bei 10 bis 19 ng/ml spricht man von einer „Insuffizienz“ und unter 10 ng/ml von einer „Defizienz“, einem schweren Mangel. Verschiedene Experten und Gremien befürworten auch höhere Werte: Die amerikanische Endocrine Society bezeichnet Werte unter 20 ng/ml bereits als „deficiency“ (1).
„Über die klinische Bedeutung eines alleinigen, als insuffizient oder auch ausreichend eingestuften Vitamin D-Wertes – ohne zusätzliche Risikofaktoren zum Beispiel für eine Osteoporose – wird heftig diskutiert“, betont Professor Schatz. Die 25(OH)-Vitamin D-Messwerte würden zwar immer noch von der Bestimmungsmethodik abhängen, heute stimmen aber die verschiedenen Messverfahren vergleichsweise gut überein. Im mittleren Referenzbereich seien jedoch die Abweichungen vielfach noch beträchtlich (2). Eine Bestimmung des 25(OH)-Vitamin D koste in Großbritannien ungefähr 20 britische Pfund, in Deutschland sind es 18,40 Euro. Nach einem Kommentar in der Zeitschrift LANCET (3) vom 14. Januar 2012 seien generelle Vitamin D-Bestimmungen „costly, confusing, and without credibility“ (3).
Zur Frage einer über die muskuloskeletale Wirkung hinausgehenden, „pleiotropen“ Wirksamkeit von Vitamin D verweist dieser Kommentar im LANCET (3) unter anderem auf eine Publikation in der amerikanischen Zeitschrift JAMA (4). Danach liege keine Evidenz für ein vermindertes Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes durch Vitamin D vor. Eine Metaanalyse vom Dezember 2011 ergab keine einheitlichen, robusten Daten für eine vor Krebs schützenden Wirkung von Vitamin D (5). „In einer randomisierten, placebokontrollierten Studie an über 5000 älteren Personen bewirkten 800 Einheiten Vitamin D pro Tag keinen Schutz vor Herz-Gefäßtod, Krebserkrankung oder Krebstod (6).“ Eine Cochrane-Analyse von 2011 ergab keinen Effekt von Vitamin D auf einen Herz-Kreislauf-Tod, die Krebssterblichkeit nahm darin insgesamt nicht signifikant ab. Hingegen errechneten die Forscher hier eine signifikante Zunahme einer Hyperkalzämie, also von erhöhten Kalziumspiegeln (7).
Zurzeit laufen zwei große Studien zur Wirksamkeit einer Vitamin D-Zufuhr an, geplant an je 20 000 Personen in den USA und in Großbritannien: In der amerikanischen VITAL-Studie werden täglich 2000 Einheiten Vitamin D gegeben, in der britischen VIDAL-Studie monatlich 100 000 Einheiten, was 3200 E/Tag entspricht. Ergebnisse sind frühestens 2016 zu erwarten. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung hat in ihrer Stellungnahme zu „Vitamin D und Prävention ausgewählter chronischer Krankheiten“ den derzeitigen Stand der Evidenzen aus den bisher vorliegenden Studien für oder gegen eine Wirksamkeit übersichtlich in Tabelle 5.1 aufgelistet (8).
Zusammenfassend betont Professor Schatz, dass Vitamin D eine Hormon-Vorstufe darstellt, wofür derzeit wichtige medizinische Indikationen gesichert sind. „Bevor man aber Vitamin D ohne ausreichende Evidenzen aus Interventionsstudien zur Vorbeugung von Erkrankungen außerhalb des muskuloskeletalen Bereichs breit bei großen Bevölkerungsgruppen einsetzt, bleibt abzuwarten, ob sich die zahlreichen Hinweise aus Assoziations-, Observations- und epidemiologischen Studien sowie kleineren randomisierten, prospektiven Untersuchungsreihen bestätigen werden oder nicht“, so der Endokrinologe. Gleiches gelte für Reihenuntersuchungen in der Bevölkerung auf den 25(OH)Vitamin D-Spiegel. Diese Screenings sollten laut DGE derzeit nur gezielt bei bestimmten Altersgruppen und Risikopopulationen vorgenommen werden.
Literatur:
1. Holick MF et al, J Clin Endocrinol Metabol, published online June 6, 2011
2. Binkley N et al, Clin Chim Acta 2010, 411: 1976–1982
3. Sattar N et al: Lancet 2012, 379: 95–96
4. Shapes SA et al, JAMA 2011,305: 2565–2566
5. Mei Chung et al, Ann Intern Med 2011, 155:827–838
6. Avenell A et al, J Clin Endocrinol Metabol 2011, DOI:10.1210jc.2011–1309
7. Bjelakovic G et al, The Cochrane Library 2011, Issue 7
8. Linseisen et al, hier
26.01.2012