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Warum Stress nicht (immer) schlecht ist
Stress kann positive Effekte auf das Extinktionslernen haben, bei dem zuvor erlernte Assoziationen aufgelöst werden.
Wie Kognitionspsychologen der Ruhr-Universität Bochum herausfanden, sorgt Stress dafür, dass das Extinktionslernen unabhängig vom Kontext erfolgt. Das könnte zum Beispiel für Therapien von Angststörungen nützlich sein. Dr. Shira Meir Drexler, Prof. Dr. Oliver Wolf und Privatdozent Dr. Christian Merz vom Bochumer Institut für Kognitive Neurowissenschaft beschreiben die Ergebnisse in der Zeitschrift Behavior Therapy.
Extinktionslernen ist zentral für Therapie von Angststörungen
Lernt jemand in einer Psychotherapiepraxis, dass eine Spinne kein Grund zur Angst ist, kann es sein, dass er im eigenen Keller trotzdem wieder ängstlich auf den Achtbeiner reagiert
Shira Meir Drexler
Treten zwei Reize wiederholt zeitlich gepaart auf, reagiert das Gehirn irgendwann schon bei der Präsentation des ersten Reizes mit der Antwort, die eigentlich erst auf den zweiten Reiz folgen würde. Experten nehmen an, dass die sogenannte Konditionierung am Entstehen von Angststörungen beteiligt ist. Diese lassen sich zum Beispiel behandeln, indem Betroffene schrittweise mit dem angstauslösenden Objekt konfrontiert werden. „Man geht davon aus, dass die Extinktion eine große Rolle bei dieser Expositionstherapie spielt“, sagt Christian Merz. Dabei lernen die Betroffenen neue Assoziationen, zum Beispiel, dass ein zuvor angsteinflößender Reiz keine Gefahr bedeutet. „Das Extinktionslernen ist allerdings stark kontextabhängig“, weiß Shira Meir Drexler und gibt ein Beispiel: „Lernt jemand in einer Psychotherapiepraxis, dass eine Spinne kein Grund zur Angst ist, kann es sein, dass er im eigenen Keller trotzdem wieder ängstlich auf den Achtbeiner reagiert.“
Buntes Licht als angstauslösender Reiz
Die Bochumer Psychologen zeigten nun, dass diese Kontextabhängigkeit nicht auftritt, wenn dem Extinktionslernen eine Stresssituation vorausgeht. An der Studie nahmen 40 Probanden an drei aufeinanderfolgenden Tagen teil. Am Computer sahen sie Bilder eines Büros mit einer Schreibtischlampe. Leuchtete die Lampe in einer bestimmten Farbe, folgte kurz darauf eine milde elektrische Stimulation der Haut, die zwar nicht schmerzhaft, aber unangenehm war. Andere Farben wurden nicht von einer elektrischen Stimulation begleitet. So lernten die Teilnehmer, Licht einer Farbe mit dem unangenehmen Reiz zu verbinden. Anhand von Hautleitfähigkeitsmessungen zeigten die Forscher, dass die Probanden nach einigen Durchgängen bereits vor der elektrischen Stimulation ängstlich auf die Präsentation dieser Lichtfarbe reagierten.
Stress macht Extinktionslernen kontextunabhängig
Am darauffolgenden Tag wurde die Hälfte der Probanden einer stressigen Situation ausgesetzt: Sie mussten eine Hand in Eiswasser halten und wurden dabei gefilmt und von einem Versuchsleiter beobachtet. Die andere Hälfte musste sich diesem Stresstest nicht unterziehen. Alle sahen anschließend Bilder der farbig leuchtenden Schreibtischlampe, auf die keine elektrische Stimulation folgte; die Lampe stand allerdings nicht mehr im Büro, sondern in einer Bibliothek. Am dritten Tag präsentierte das Team Büro- und Bibliotheksbilder mit farbig leuchtender Lampe, ohne dass es eine elektrische Stimulation gab.
Probanden in der Stressgruppe reagierten im Büro- und im Bibliothekskontext wenig ängstlich auf die Lichtfarbe, die am ersten Tag noch eine elektrische Stimulation angekündigt hatte. Sie hatten das Wissen, dass kein unangenehmer Reiz mehr erfolgt, vom Bibliothekskontext auf den Bürokontext übertragen. Anders war es bei nicht gestressten Probanden. Sie zeigten nach wie vor eine Angstreaktion, wenn sie im Büro die Lichtfarbe sahen, die am ersten Tag von einer elektrischen Stimulation begleitet worden war. Bei Bibliotheksfotos reagierten sie wie die Kontrollgruppe jedoch wenig ängstlich. Das Extinktionslernen war bei ihnen nur in einem speziellen Kontext erfolgt.
„Pharmakologische Studien haben gezeigt, dass die Gabe des Stresshormons Cortisol die Behandlung von Angststörungen erfolgreicher machen kann“, sagt Oliver Wolf. „Unsere Studie liefert Hinweise auf einen zugrunde liegenden Mechanismus.“ In Rahmen des Sonderforschungsbereichs 1280 wollen mehrere Bochumer Arbeitsgruppen künftig untersuchen, ob Stress vor einer Expositionstherapie tatsächlich deren Wirksamkeit verbessert.
Quelle: Ruhr-Universität Bochum
09.05.2018