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Vorderer Kreuzbandriss: Geht es auch ohne OP?
Ein multidisziplinäres Team von Wissenschaftlern aus Deutschland und Australien hat in einer Meta-Analyse von randomisierten, kontrollierten Studien zwei verschiedene Therapieansätze bei einem vorderen Kreuzbandriss verglichen.
Die Wissenschaftler untersuchten die Standardtherapie, eine Operation kurz nach dem Unfall, und einen konservativen Therapieansatz, bei dem der Patient zunächst Physiotherapie erhält und das Knie nur dann operiert wird, wenn es nach der Rehabilitation noch nötig ist. Das Forschungsteam fand keine klinisch relevanten Unterschiede zwischen der frühen chirurgischen Rekonstruktion und der primären Rehabilitation mit optionaler Rekonstruktion. Die Ergebnisse ihrer Metaanalyse veröffentlichten die Forscher im British Journal of Sports Medicine.
Wir haben auch ein besonderes Interesse an Profisportlern: Ob und wie sie mit oder ohne Operation zum Training und Wettkampf zurückkehren können, ist eine wichtige Frage, zu der wir dringend mehr Daten benötigen
Patrick Owen
Der Riss des vorderen Kreuzbandes ist eine der häufigsten Sportverletzungen in Deutschland. Bei jungen, agilen Patienten empfiehlt die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie eine chirurgische Rekonstruktion des Kreuzbandes. „Eine Operation ist immer mit Risiken für den Patienten verbunden. Es gibt einen langen Heilungsprozess und erhebliche finanzielle Kosten für das Gesundheitssystem. Deshalb wollten wir überprüfen, ob der Ansatz, immer sofort zu operieren, wirklich der einzig richtige Weg ist“, erklärt Prof. Dr. Daniel Belavy, Professor für Physiotherapie an der Hochschule für Gesundheit in Bochum und Letztautor der Studie.
Das Team schloss neun Publikationen aus drei verschiedenen randomisierten kontrollierten Studien in die Analyse ein. Sie stellten fest, dass unabhängig davon, welche der beiden Behandlungsansätze gewählt wurde, eine deutliche und ähnliche Verbesserung in der Kniefunktion erreicht werden konnte. Zudem konnten sie zeigen, dass eine frühe chirurgische Rekonstruktion des Kreuzbands keinen schützenden Effekt gegen das zukünftige Auftreten einer Kniearthrose hatte. Nach Ansicht der Autoren sind jedoch weitere Studien nötig, um die Evidenz der Ergebnisse zu erhöhen. Bei Patienten mit Meniskusschaden des Knies fanden die Autoren einen leichten Vorteil für Patienten mit sofortiger vorderer Kreuzbandrekonstruktion, wobei die die Evidenz dieses Ergebnisses ebenfalls als gering eingeschätzt wurde.
Da es keine klinisch bedeutsamen Unterschiede zwischen den Behandlungsansätzen gab, schlagen die Autoren eine patientenzentrierte Behandlungsform vor. Abhängig von der medizinischen Situation der Patienten, den individuellen anatomischen Unterschieden und den funktionellen Anforderungen im Alltag und/oder Sport sollte mit dem behandelnden Arzt oder Therapeut eine individuelle Behandlungsstrategie festgelegt werden, so die Autoren. Für viele Patienten mit Kreuzband-Verletzungen ohne schwerwiegende Begleitverletzungen sei ein stufenweiser Behandlungsansatz mit einer primär rehabilitationsorientierten Behandlung sinnvoll, insbesondere im Hinblick auf die Kosteneffizienz und die Vermeidung von Operationsrisiken, so die Wissenschaftler. „Die Ergebnisse stellen das historische Paradigma in Frage, dass anatomische Instabilität mit einem primären chirurgischen Ansatz angegangen werden sollte“, so die Autoren.
Das Team wählte einen „Living Systematic Reviews“-Ansatz, bei dem sich die Autoren verpflichten, ihre Ergebnisse einmal jährlich zu aktualisieren. Es wurden aktuell drei weitere Studien identifiziert, die derzeit laufen und der Analyse hinzugefügt werden, sobald ihre Ergebnisse verfügbar sind. „Während unserer Arbeit haben wir erkannt, dass dringend weitere Studien notwendig sind, die die primäre vordere Kreuzbandrekonstruktion mit der konservativen Therapie vergleichen. Wir warten gespannt auf die Ergebnisse der laufenden Studien. Wir haben auch ein besonderes Interesse an Profisportlern: Ob und wie sie mit oder ohne Operation zum Training und Wettkampf zurückkehren können, ist eine wichtige Frage, zu der wir dringend mehr Daten benötigen“, erklärt Dr. Patrick Owen von der australischen Deakin University.
Quelle: Hochschule für Gesundheit
30.08.2022