News • Bevor die Plaques kommen
Veränderte Nervenzellen erleichtern Alzheimer-Früherkennung
Die Menschen werden älter und der Anteil an Demenzerkrankten steigt. Am häufigsten tritt die Alzheimer-Krankheit auf, deren Entstehung noch nicht vollständig erforscht ist.
Wissenschaftler vom Leibniz-Institut für Neurobiologie (LIN) in Magdeburg, vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in Bonn sowie aus Dublin und Montreal haben in einer neuen Studie die Frühphase der Krankheit im Tiermodell untersucht. Sie konnten eine Übererregbarkeit von neuronalen Netzwerken und Nervenzellen nachweisen, lange bevor die typischen Ablagerungen im Gehirn auftraten.
Die Forscher veröffentlichten ihre Erkenntnisse jetzt im Journal of Neurochemistry.
Allein in Deutschland leben laut Deutscher Alzheimer-Gesellschaft etwa 1,6 Millionen Menschen mit einer Demenzerkrankung, wobei die Alzheimer-Krankheit die häufigste Form einer Demenz ist. „Über die Entstehungsmechanismen der Krankheit wissen wir immer noch zu wenig. Aber wenn man Biomarker für deren Nachweis oder Therapieansätze entwickeln möchte, ist es sehr wichtig zu verstehen, was in ihrer Frühphase vor sich geht“, erklären die Studienleiter Prof. Dr. Martin Fuhrmann und Prof. Dr. Stefan Remy.
Bildquelle: Sosulina et al., Journal of Neurochemistry 2021 (CC BY-NC-ND 4.0)
Aus vorherigen Alzheimer-Studien weiß man, dass Eiweißablagerungen – so genannte Plaques – dazu beitragen, dass Nervenzellen und ihre Verbindungen – die Synapsen – im Gehirn verloren gehen. Die Betroffenen entwickeln eine Demenz. Erstautorin Dr. Liudmila Sosulina hat in der Studie den Hippocampus von Ratten im Zusammenhang mit der Erkrankung untersucht, denn dieses Areal spielt für Lern- und Gedächtnisprozesse eine entscheidende Rolle. Sie erklärt: „Wir konnten mit unterschiedlichen Methoden nachweisen, dass es im Hippocampus der Tiere zu einer Übererregbarkeit der Nervenzellen kommt, schon bevor sich Alzheimer-Plaques ausgebreitet haben.“
Üblicherweise kommt es bei der Alzheimer-Erkrankung zu Dysfunktionen in den neuronalen Netzwerken. Bisher wurde dies schon in Mäusen gezeigt und im Menschen vermutet. Der Nachweis in anderen Spezies, wie zum Beispiel der Ratte, die ebenfalls ein wichtiges Modelltier für Lern- und Gedächtnisforschung ist, legt nahe, dass es sich um ein speziesübergreifendes Krankheitsphänomen handelt. „In unserer Studie haben wir das Mikronetzwerk im Hippocampus transgener Ratten zu Beginn der Erkrankung untersucht und festgestellt, dass die auftretenden Veränderungen ausschließlich in glutamatergen, also erregenden, Netzwerken vorkamen. Wir nehmen an, dass später auch inhibitorische, also hemmende, Schaltkreise betroffen sind“, so Sosulina. „Methodisch neu an der Studie ist, dass bildgebende Verfahren in Alzheimer-Ratten etabliert wurden, um die Calcium-Aktivität in den Zellen zu messen“, so Dr. Manuel Mittag vom DZNE Bonn. Mit Hilfe der Zwei-Photonen-Mikroskopie konnten die beteiligten Forscher bei den Tieren eine Hyperaktivität von CA1-Neuronen im Hippocampus nachweisen. In Hirnschnitten stellten sie anhand von Einzelzell-Ableitungen und Multielektroden-Arrays zudem eine erhöhte Erregbarkeit und veränderte Eigenschaften von Aktionspotentialen in den CA1-Pyramidenneuronen fest. Die inhibitorischen Netzwerke, die später die typischen Alzheimer-Symptome hervorrufen, waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht betroffen.
Die Studie zeigt: Schon bevor Eiweißablagerungen im Gehirn sichtbar sind, kann man die Übererregbarkeit von Nervenzellen im Hippocampus messen, denn bereits im frühen Stadium der Alzheimer-Erkrankung haben sich dort glutamaterge Neurone verändert. Die Mechanismen dahinter zu verstehen, ist wichtig, damit neue Biomarker entwickelt und therapeutische Maßnahmen erforscht werden können. Sollte kein Durchbruch in der Alzheimer-Therapie gelingen, wird die Zahl der Erkrankten in Deutschland laut Deutscher Alzheimer Gesellschaft bis zum Jahr 2050 auf 2,4 bis 2,8 Millionen steigen.
Quelle: Leibniz-Institut für Neurobiologie (LIN)
08.03.2021