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News • Autismus, Bewegungsstörungen, beeinträchtigtes Schmerzempfinden
Ursache für seltene kindliche Entwicklungsstörung entdeckt
Ist das eigene Kindes in seiner körperlichen oder geistigen Entwicklung beeinträchtigt, wollen Eltern die Ursache kennen – doch rund die Hälfte der betroffenen Familien bleibt derzeit noch im Unklaren, weil die zugrundeliegenden genetischen Defekte nicht bekannt sind.
Humangenetiker des Universitätsklinikums Heidelberg haben nun eine neue Erbgut-Veränderung entdeckt, die bei den betroffenen Kindern mit Autismus, Bewegungsstörungen und zum Teil einem eingeschränkten Schmerzempfinden einhergeht. Die genetische Mutation, sowie ihre Auswirkungen auf die Entwicklung der ersten sechs Patienten, die durch internationale Kollaborationen identifiziert werden konnten, beschreibt das Team um Professor Dr. Christian Schaaf, Ärztlicher Direktor des Instituts für Humangenetik am Universitätsklinikum Heidelberg, aktuell im Fachjournal „Genetics in Medicine“. Das Wissen um die genetischen Hintergründe hilft Wissenschaftlern und Ärzten, die sehr seltenen angeborenen Störungsbilder besser zu verstehen und einzuschätzen.
Eine Therapie im Sinne einer Heilung der Symptome ist zwar derzeit häufig (noch) nicht möglich, trotzdem hilft eine Diagnose den Eltern, mit der Situation besser zurecht zu kommen
Christian Schaaf
Die neuen Möglichkeiten der Genomanalysen, die sich zunehmend auch in der Krankenversorgung durchsetzen, zusammen mit einer starken internationalen Vernetzung haben der humangenetischen Diagnostik in den letzten Jahren große Fortschritte beschert: Kontinuierlich werden bei Kindern mit Entwicklungsstörungen neue zugrundeliegende Erbgut-Veränderungen entdeckt. Allein bei den Autismus-Spektrum-Erkrankungen sind inzwischen hunderte Gene bekannt, die das Auftreten dieser Gruppe von Erkrankungen begünstigen. „Eine Therapie im Sinne einer Heilung der Symptome ist zwar derzeit häufig (noch) nicht möglich, trotzdem hilft eine Diagnose den Eltern, mit der Situation besser zurecht zu kommen. Denn sie erhalten die Gewissheit, dass sie nichts falsch gemacht oder in irgendeiner Weise die Erkrankung des Kindes verursacht haben“, so Schaaf. „Zudem macht es eine genaue Diagnose möglich, sich mit anderen betroffenen Familien zu vernetzen.“
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News • Personalisierte Medizin
Genommedizin: Deutschland hinkt hinterher
Auf dem TMF-Workshop in Berlin diskutierten Experten aus der europäischen Forschung zum Thema „Genomic Medicine in Europe – Blueprints for Germany“. Mit Blick auf die fortschrittlichen und bereits im klinischen Alltag etablierten Modelle anderer Länder wurde deutlich, dass Deutschland in Sachen Genomgesamtsequenzierung noch eine Menge von seinen europäischen Nachbarn lernen kann.
Schaaf erforscht bereits seit Jahren erfolgreich die Genetik kindlicher Entwicklungsstörungen. Die nun neu entdeckte Genmutation ist ein weiteres Puzzleteil in der Aufklärung kindlicher Entwicklungsstörungen. Sie betrifft einen bestimmten Erbgutabschnitt, das Gen PRKAR1B, das bei der Signalverarbeitung innerhalb von Nervenzellen eine Rolle spielt. Veränderungen in diesem Gen haben für die Kinder gravierende neurologische Folgen: Sie entwickeln eine Autismus-Spektrum-Störung, ihre Entwicklung verläuft verzögert und bei einigen kommt es zu einer sogenannten Dyspraxie, einer Störung in der Durchführung willkürlicher Bewegungen. So können sie beispielsweise das Sprechen nur schwer erlernen, obwohl sie Sprache durchaus verstehen. Drei der bisher sechs identifizierten Kinder sind zudem vermindert schmerzempfindlich.
Bildquelle: Marbach et al., Genetics in Medicine 2021 (CC BY 4.0)
Dass bisher erst sechs Patienten mit dieser speziellen Genmutation gefunden wurden, sagt noch nichts über die Häufigkeit dieser Entwicklungsstörung aus: „Erst wenn eine Erbgut-Veränderung in den Datenbanken vermerkt ist, können Patienten daraufhin getestet werden. Es werden jetzt sukzessive weitere Betroffene dazu kommen“, erläutert Schaaf. „In ein paar Monaten werden wir weitere Informationen über das Erkrankungsbild haben und Eltern noch gezielter beraten können.“ Darüber hinaus trägt ein besseres Verständnis der zugrunde liegenden molekularen Mechanismen dazu bei, mögliche Ansatzpunkte für Therapien auszumachen und zu erforschen.
Quelle: Universitätsklinikum Heidelberg
08.04.2021