Kaltes Atmosphärendruckplasma

Therapeutikum aus der Steckdose

Für ihn kommt nicht nur sprichwörtlich der Strom aus der Steckdose, sondern am liebsten kaltes Atmosphärendruckplasma. Jedenfalls dann, wenn sich PD Dr. med. Georg Daeschlein aus der Universitätshautklinik der EMAU in Greifswald mit dessen medizinischen Möglichkeiten auseinandersetzt, ein Steckenpferd, dem er seit Jahren nachgeht. Und für dieses Plasma - stark vereinfacht - braucht's nur Umgebungsluft, hohe elektrische Spannungen und kräftige, d.h. auch sichtbare Entladungen. Erfahrene Hersteller bieten stabile und sichere Generatoren schon im Westentaschenformat an, z.B. als“ Plasmastift“. Zugegeben, batteriebetriebene Modelle gibt es inzwischen auch… .

Report: Ralf Mateblowski

Plasma One erzeugt kaltes Plasma, das selektiv Keime wie Viren, Bakterien oder...
Plasma One erzeugt kaltes Plasma, das selektiv Keime wie Viren, Bakterien oder Pilze schnell, sicher und schmerzfrei bekämpft, ohne dabei menschliches Gewebe zu beschädigen.
Quelle: Henry Schein Services GmbH
An der Spitze der plasma ONE Instrumentensonde entsteht ein  elektrisches...
An der Spitze der plasma ONE Instrumentensonde entsteht ein elektrisches Wechselfeld, um eine Glimmentladung (Mikroentladung) zu erzeugen. Die dadurch erzielten atmosphärischen Plasmen verursachen eine zerstörerische Wirkung auf Zellwände von Bakterien.
Quelle: Henry Schein Services GmbH

Auf die Wirkkomponenten von Plasma angesprochen, räumt Daeschlein ein, dass noch Vieles offen ist: "Wenngleich die letzten molekularen Winkel noch nicht komplett erschlossen sind, ist bekannt, dass die antimikrobielle Wirkung eine zentrale Rolle spielt - äußerst potent, breit und gut reproduzierbar." Der zweite ihm wichtige Aspekt ist die Stimulation zellulärer Reparaturmechanismen und die Generierung von heilungsrelevanten Mediatoren, die die Gewebsregeneration und damit z.B. die Wundheilung fördern.

Der Blick zurück …
Plasma-Anwendungen in der Medizin z.B. als Sterilisations- und Desinfektionsverfahren und vor allem in der Chirurgie gibt es seit den 1930er Jahren, allerdings nutzen sie heiße Plasmen. Erst deren „Domestizierung“ in den letzten Jahren bahnte den Weg für eine Anwendung am Menschen mit sog. kalten Plasmen. Ihre Wirkung auf Parasiten, Bakterien, Viren und Pilzen ist beeindruckend und medizinisch nutzbar, dabei noch lange nicht ausgeschöpft. Auch wenn therapeutische Anwendungen mit kalten Plasmen bereits vor knapp 100 Jahren beschrieben und diese Therapieform nicht als Plasma-, sondern als Hochfrequenztherapie- bzw. Arsonvalisation bei einer Fülle verschiedenster Indikationen von der Migräne bis zur Vaginalpilzerkrankung und Depression angepriesen wurden, werden die Plasmaeffekte jetzt mit zeitgemäßen wissenschaftlichen Methoden untersucht, um eine möglichst gezielte und optimierte Therapie zu ermöglichen. Interessant ist, dass damals bereits  klinische Erfolge bei wichtigen Hautinfektionen wie der Hauttuberkulose beschrieben wurden, die man wissenschaftlich jedoch noch nicht erklären konnte.

… und die Gegenwart
Die heutigen therapeutischen Ansätze reichen von chronischen Hautwunden aller Art bis hin zur Hautantiseptik gegen hochresistente Problemkeime, nachdem z.B. die Arbeitsgruppe Prof. Lademann der Charité antimikrobielle Effekte zeigen konnte, die tiefer „unter die Haut gehen“ als herkömmliche Mittel, was möglicherweise große Bedeutung für die Infektionsbekämpfung z.B. bei Operationen haben könnte. Nach dem derzeit am besten beschriebenen Anwendungsbereich befragt, ist es für den erfahrenen Kliniker die "Förderung von Heilungsvorgängen, insbesondere solcher mit Beteiligung von Mikroorganismen und ansonsten schwer therapierbarer Prozesse.

Ein großer Pluspunkt des Verfahrens ist der Nachweis einer „physikalischen“ Antiseptik von Problemkeimen auf Haut und in Wunden von Patienten, die man anderweitig nicht oder nur sehr schwer klassisch sanieren konnte. Die Vorteile liegen neben der Wirkpotenz (wie ausgeführt) im Wegfallen von „Chemie“, d.h. keine teure Lagerung mehr von gefährlichen, d.h. brennbaren Stoffen. Die Lösung kommt in diesem Fall einfach aus der Steckdose: Anschalten. Desinfizieren. Abschalten. Das Ganze nebenwirkungsfrei.

Der Blick nach vorn
Ein klares "Ja," ist von Daeschlein auf die Frage nach den Aussichten für das Verfahren zu hören, "das Potenzial der Plasmaanwendungen ist riesig, wenngleich wichtige wissenschaftlich fundierte Fakten derzeit noch ausstehen. Ganz am Anfang steht z.B. die Tumortherapie, wobei neben der eigenen vor allem französische Arbeitsgruppen bereits im Tierversuch die prinzipielle Wirksamkeit zeigen konnten. Damit erscheint ein Einsatz bei der Tumortherapie als primäre wie palliative Behandlung denkbar, z.B. wegen der vergleichsweise einfachen Technik und Bedienung durchaus auch im Homecare-Bereich, allerdings sind hier noch lange Wege zu gehen. Z.B. haben technische Sicherheit und Sicherheit vor unerwünschten Wirkungen einen ganz zentralen Stellenwert. Voraussetzungen für die Anwendung sind also neben der Anwendungssicherheit eine gesicherte Indikation selbst und eine ärztliche Kontrolle der Anwendung wie deren Nachsorge. Mittlerweile haben wir in Deutschland mehrere seriöse Geräteanbieter und ebenso seriöse Anwender und Forscher. Der Einsatz von Plasma bei nicht gesicherter Indikation oder die (unzulässige) Erweiterung der Anwendung, die womöglich doch zu unerwünschten Effekten führen, könnten dennoch die Produktverbreitung gefährden."

Der Auftrag
Plasma ist ein Gemisch verschiedenster bewährter biophysikalische Wirkprinzipien, die aber noch nie in Kombination eingesetzt wurden. Wie geht es also weiter? "Neben der Beforschung grundlegender Wirkungsmechanismen ist die wichtigste Aufgabe der nächsten Jahre, bei nachgewiesener prinzipieller Wirksamkeit für die jeweilige Erkrankung nicht nur die dazugehörige optimale Gerätekonfiguration anzugeben (z.B. Energiedosis, Wellenlänge, Frequenz, Taktung, Signalform), sondern auch die jeweils indikationsgerechte optimale Behandlungsform zu ermitteln, d.h. Behandlungsintervall, -dosis, die auftretenden Reaktionen des Gewebes und die des Körpers. Es geht in Richtung der individualisierten Medizin, d.h. es ist für jeden Patienten zu klären und festzulegen, was für ihn und seine Krankheit als Entität gut ist."

Daeschlein betont aber auch, dass die Basis für viele medizinisch sinnvolle Behandlungen längst gegeben ist und fügt hinzu: "Ein weiteres Highlight ist die beeindruckende und nachhaltig wirkende Schmerzbehandlung bei ansonsten schwer oder nicht behebbarer chronischer schwerer Schmerzsyndrome beispielsweise nach Virusinfektion im Hirnnervenbereich. Die Ergebnisse der Behandlungenrufen bereits die Schmerzexperten auf den Plan, weil auch hier ohne klassische Medikamente Aussicht auf Erfolg besteht. Dadurch könnten viele andere Therapien aus dem Feld geschlagen werden, die invasiv, risikoreich und nicht zuletzt auch teuer und oft langwierig sind, abgesehen von hohen Rezidivraten. Schmerzbehandlung mit „Plasma zu Hause“ und in Eigenregie wie bei anderen Feedbacktherapien und Autosuggestivbehandlungen bei chronischen Schmerzen ist denkbar, sicher und bereits nachgewiesenermaßen erfolgreich."


PROFIL:
PD Dr. med. Georg Daeschlein, Jahrgang 1959 ist Laborleiter an der Klinik und Poliklinik für Hautkrankheiten der Universitätsmedizin Greifswald (Direktor Prof. Dr. med. Michael Jünger). Nach Abschluss seines Medizinstudiums an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und der Freien Universität Berlin, erlangte er 1992 die erste seiner vier Facharztqualifikationen: Auf Laboratoriumsmedizin folgte der Facharzt für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie, dann der für Hygiene und Umweltmedizin und in 2014 der für Haut- und Geschlechtskrankheiten. Daeschleins zentrale Forschungsgebiete sind Infektionsmedizin, Wundheilkunde, Physikalische Verfahren und Plasmamedizin.

18.03.2015

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