Spinalkanal I: Der Radiologe am Schalthebel

Zur Propädeutik der Rückenmarkserkrankungen

Die häufigsten Erkrankungen im Bereich des Rückens, jedem Radiologen bekannt, sind degenerative Erscheinungen wie Bandscheibenvorfälle – Verursacher für die „typischen“ Rückenschmerzen.

MRT: „Tethered cord“ (sakrale Verklebung) mit Lipom: Man behandelt durch...
MRT: „Tethered cord“ (sakrale Verklebung) mit Lipom: Man behandelt durch Lösung der Verklebung den Grund für die klinischen Beschwerden, der in einer ständigen Überdehnung des Rückenmarks aufgrund der sakralen Fixierung liegt. Eingetretene Schäden können allerdings nicht mehr rückgängig gemacht werden. (Quelle: PD Dr. Bernd Turowski)

Deutlich seltener, aber doch regelmäßig treten im Bereich des Spinalkanals Fehlbildungen, Entzündungen, Tumoren und vaskuläre Veränderungen auf, beschreibt PD Dr. Bernd Turowski. Wie lassen sich diese Erscheinungen einordnen, wie geht man mit ihnen um, wie verweist man bei Gefäßveränderungen an Spezialisten weiter?

Unter den angeborenen Fehlbildungen kennt der Allgemeinmediziner beispielsweise die Bogenschlussstörungen und Neuralrohrschlussstörungen – den „offenen Rücken“ bei Kindern, führt der Leitende Oberarzt der Neuroradiologie am Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie des Universitätsklinikums Düsseldorf weiter aus. Dank der flächendeckenden pränatalen Diagnostik ist in Mitteleuropa zwar die Erstdiagnose dieser Erkrankungen stark zurückgegangen, aber die Migration aus Ländern mit weniger guter medizinischer Versorgung trägt in letzter Zeit zur Anzahl jener Fälle bei, die hierzulande in der embryonalen Phase nicht erfasst worden waren. „Diese Fälle müssen Radiologen diagnostizieren können“, erläutert Dr. Turowski. Bei Weichteilerkrankungen am Rücken nutzt man prinzipiell die MRT, bei knöchernen Erkrankungen die CT.

Durafistel: diagnostisches Engramm

Meist erleben Radiologen Patienten mit den erwähnten Erkrankungen symptomatisch, nur selten entdeckt man diese in einem Stadium, in dem sie noch keine Symptome produzieren. So zeigen Männer mittleren Alters – seltener Frauen –mit spinalen Durafisteln häufig eine Paraparese, eine Schwäche in den Beinen und Mobilitätsstörungen. „Durafisteln treten insbesondere dort auf, wo Arterien beziehungsweise Venen durch die Dura durchtreten. Im Laufe des Lebens können sich an diesen Schwachstellen ‚Kurzschlüsse‘ zwischen Arterien und Venen entwickeln. Das arterielle Blut dringt dann in das venöse System ein. Das Rückenmark kann so sein venöses Blut nicht mehr drainieren und schwillt an. Die Symptome sind progredient und werden irreversibel, wenn der Befund nicht rechtzeitig erkannt und behandelt wird“, so der Leiter der Neuroradiologie.

 Die Modalität, die hier initial zum Einsatz kommt, ist die MRT. Das MR-Bild zeigt ein Ödem – eine Schwellung und eine Wassereinlagerung im Rückenmark – sowie kräftig geweitete Gefäße. Wer einmal als Radiologe diese Bilder gesehen und den Befund erstellt hat, wird die Erkrankung immer wieder erkennen, weiß Dr. Turowski. „Man sollte genau lokalisieren, wo sich die Durafistel befindet. Hieran orientiert sich die Weiterleitung zur endovaskulären beziehungsweise neurochirurgischen Behandlung. Wird die Erkrankung nicht diagnostiziert, wird der Patient im Verlauf rollstuhlpflichtig.“

Seltenere und komplexere Erkrankungen

Perimedulläre, arteriovenöse Fisteln werden durch eine Rückenmarksarterie gespeist und führen zum selben Drainageproblem. Solche Fisteln treten – bei der Geburt als Kurzschluss zwischen Arterie und Vene angelegt – auch innerhalb des Rückenmarks auf, wo sie sich zu größeren Knäueln von Gefäßschlingen entwickeln können. Diese arteriovenösen Malformationen sind meist intramedullär, also tief im Rückenmark angesiedelt.

Selten treten Infektionen auf, die auf die Hirnhäute beziehungsweise die Rückenmarkshäute übergehen und dort zu Symptomen führen. In der Bildgebung sind diese Entzündungen daran zu erkennen, dass sie zu starken Kontrastmittelanreicherungen führen.

Wichtige Rolle des Radiologen

Radiologen sollten auf das Bild dieser Erkrankungen vorbereitet sein – wenn auch selten, so treten die Krankheitsbilder doch in einer Regelmäßigkeit symptomatisch beziehungsweise auch inzidentell auf. Der Radiologe, der die Erkrankung entdeckt, befindet sich an der Schaltstelle für das weitere Schicksal dieses Patienten, betont Dr. Turowski: „Er stellt den Erkrankungstyp fest und entscheidet darüber, ob es angemessen ist, den Patienten an einen Spezialisten weiterzuleiten – oder ihn mit einem Erscheinungsbild ‚im Rahmen des Normalen‘ nach Hause zu schicken.“ 

IM PROFIL

PD Dr. Bernd Turowski ist Leitender Oberarzt der Neuroradiologie und Leiter der wissenschaftlichen Arbeitsgruppe Neuroradiologie am Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie des Universitätsklinikums Düsseldorf. Nach dem Studium der Humanmedizin an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und einem Aufenthalt an der Universität Nancy promovierte er 1991. Seine Facharztausbildung in diagnostischer Radiologie absolvierte er am Universitätsklinikum Essen. Nach dem klinischen Jahr in der dortigen Klinik für Neurologie absolvierte er die Ausbildung zur Zusatzbezeichnung Neuroradiologie im Institut für Neuroradiologie der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt, wo er mehrjährige Erfahrung als Oberarzt in der interventionellen Neuroradiologie sammelte. Im Jahr 2003 wechselte er an das Klinikum der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, wo er 2008 im Fach Neuroradiologie habilitierte.

 

05.11.2013

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