Multiresistente Erreger

Screening von Flüchtlingen: Gut angelegtes Geld

Intensive Untersuchungen von Juni bis Dezember 2015 bei 143 Flüchtlingen, die vorwiegend aus den Ländern Afghanistan und Syrien kamen, haben gezeigt, dass bei Krankenhausaufnahme dieser Patienten MRSA, ESBL und MRGN mit einer hohen Prävalenz vorkamen. Danach waren die Raten nicht nur höher als in der Allgemeinbevölkerung, alarmierend war vor allem, dass sie sogar die Zahlen von Risikokollektiven wie Alten- und Pflegeheimbewohner oder Patienten von Pflegediensten übertreffen. Prof. Dr. Ursel Heudorf vom Gesundheitsamt Frankfurt, Abteilung Infektiologie und Hygiene, spricht sich daher für das grundsätzliche Screening von Flüchtlingen bei Aufnahme ins Krankenhaus aus.

Prof. Dr. Ursel Heudorf, Ärztin für öffentliches Gesundheitswesen,...
Prof. Dr. Ursel Heudorf, Ärztin für öffentliches Gesundheitswesen, Stellvertretende Amtsleiterin und Leiterin der Hygieneabteilung des Gesundheitsamtes in Frankfurt am Main.

Die Daten sprechen für sich

In der Allgemeinbevölkerung liegen die MRSA-Raten unter 1 Prozent. Risikokollektive wie Bewohner von Alten- und Pflegeheimen weisen 6 bis 9 Prozent auf, dagegen konnte bei 9,8 Prozent der untersuchten Flüchtlinge im Rhein-Main-Gebiet MRSA nachgewiesen werden. Die Prozentzahlen zu ESBL einschließlich 3- bzw. 4 MRGN bestätigen die Diskrepanz: In der Normalbevölkerung mit ca. 8 Prozent vertreten, sind diese Erreger bei spezifischen Risikogruppen zwischen 7,5 Prozent (Dialysepatienten), 14 Prozent (Patienten von ambulanten Pflegediensten) und 18-27 Prozent (Bewohner von Alten- und Pflegeheimen). Im Rahmen der erwähnten Untersuchung konnten diese Erreger bei 23 Prozent der Flüchtlinge nachgewiesen werden, darunter bei 1,8% 4MRGN. Damit stellen Flüchtlinge ein größeres Gefährdungspotenzial für sich und andere dar als die hierzulande typische Risikoklientel. Und das, obwohl es sich vor allem um junge Menschen und Familien handelt, die normalerweise noch keine Krankenhaus-Karriere hinter sich haben sollten. „Das Ergebnis hat uns sehr erstaunt und verlangt eine Neubewertung dieser Gruppe“, so Heudorf. Wurden alte Menschen mit oft mehrfachen Krankenhaus-Aufenthalten und häufigen Antibiotika-Therapien immer schon als Risikopopulation eingestuft und unter Hygieneaspekten entsprechend behandelt, so befinden sich Flüchtlinge auf sehr ähnlichem Niveau. In der Konsequenz müssen auch für diese Gruppe entsprechende Maßnahmen getroffen werden.

Erklärungsversuche

Wie kommt es zu dieser großen Verbreitung der Erreger? Heudorf: „Wir vermuten, dass in den Herkunftsländern der Flüchtlinge offenbar wenig sachgerecht mit Antibiotika umgegangen wird.“ Fraglich ist zum einen die Qualitätssicherung der Produkte, die in den Regionen häufig nicht rezeptpflichtig sind und zum Beispiel in verdünnter Form vorliegen können. Auch der Kostenfaktor spielt möglicherweise eine Rolle: Als auf dem Markt frei verfügbare Medikamente werden Antibiotika von den Patienten solange eingenommen, wie sie finanziert werden können. Das hat zur Folge, dass die Therapie vorzeitig abgebrochen und die konsequente Einnahme aufgrund einer subjektiv empfundenen gesundheitlichen Besserung vernachlässigt wird. „Unterm Strich liegen Bedingungen vor, die die Resistenzbildung erheblich fördern,“ vermutet Heudorf.

Klares Votum auf evidenzbasierter Basis

„Wir sind der Meinung, dass Flüchtlinge  bei Krankenhausaufnahme unbedingt gescreent werden müssen.“ Auch das Robert Koch-Institut (RKI) empfiehlt inzwischen das Screening auf MRSA und 4MGRN bei Krankenhausaufnahme, nachdem es zunächst noch das Kriterium der positiven Anamnese für eine medizinische Intervention in einem Krankenhaus postuliert hatte. Aus Sicht von Heudorf lässt sich diese Anforderung in der Praxis aber nur schwer umsetzen. „Zu kompliziert und fehleranfällig. Vor allem aufgrund der Sprachbarrieren auf beiden Seiten sind die Auskünfte oft anzuzweifeln.“ Sicherheitshalber sollte das systematische Screening und Einleiten von Hygienemaßnahmen daher unabhängig davon erfolgen, ob Patienten Angaben zu einer medizinischen Behandlung im Krankenhaus machen können oder nicht. Für zukünftige Entwicklungen fühlt sich Heudorf gut gewappnet. „Motivation für unsere Untersuchungen im Großraum Frankfurt war damals die Unkenntnis über die relevant gewordene Patientenklientel der Flüchtlinge. Die vorliegenden Ergebnisse erlauben in Zukunft einen evidenzbasierten Umgang“.

Gut angelegtes Geld

Je nach Verfahren fallen zwischen drei und 50 Euro pro Test an. Als Goldstandard gilt immer noch das Anlegen einer Kultur auf einer mikrobiologischen Platte. Schneller geht es mit der PCR, die allerdings häufiger falsch positive Befunde liefert. Heudorf empfiehlt eine vorsorgliche Isolierung, noch bevor das Ergebnis des Tests feststeht, um dann ergebnisorientiert zu entscheiden, wie weiter vorzugehen ist. Kommt es zur Isolierung entstehen allerdings weitere Kosten: So nehmen zum Beispiel Personal- und Zeitaufwand zu, etwa für das Umkleiden  des Personal. Außerdem wird mehr Platz benötigt, da im Rahmen der Isolation ein zweites Bett im Zimmer nicht mehr belegt werden kann. Trotz dieses erheblichen Mehraufwands ist Heudorf überzeugt: „Geht es darum, einen Krankheitsausbruch mit multiresistenten Erregern zu verhindern, rechnen sich Screening, Isolierung und Hygienemaßnahmen am Ende immer.“

 

PROFIL:

Prof. Dr. Ursel Heudorf, Ärztin für öffentliches Gesundheitswesen, Stellvertretende Amtsleiterin und Leiterin der Hygieneabteilung des Gesundheitsamtes in Frankfurt am Main, befasst sich seit vielen Jahren nicht nur mit der Hygiene in medizinischen und Gemeinschaftseinrichtungen allgemein, sondern ganz besonders auch mit der Problematik der multiresistenten Erreger.  Sie ist Initiatorin und Vorsitzende des MRE-Netz Rhein-Main, das neben einem umfangreichen Beratungsangebot für die Bevölkerung und für Fachleute zahlreiche Studien zur MRE-Prävalenz im außer-akutklinischen Bereich durchgeführt hat. Aus diesem Netzwerk wurde im letzten Jahr die bislang größte multizentrische Untersuchung zu MRE bei Flüchtlingen publiziert (Alle Studien und weitere Informationen unter: www.mre-rhein-main.de).

22.06.2017

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